Heime härter rangenommen

Pädagogen sprechen von Paradigmenwechsel bei der Aufsicht von Jugendeinrichtungen

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach der Friesenhof-Affaire werden Jugendeinrichtungen in Schleswig-Holstein stärker kontrolliert. Sanktionen sollen auch gegen juristischen Widerstand durchgesetzt werden.

Was nützen die besten Vorschriften, wenn Kontrollen unterbleiben oder nicht greifen? Die Friesenhof-Affaire in Schleswig-Holstein hat die Interventionsschwelle des Landesjugendamtes für Kinder- und Jugendeinrichtungen auf Heimebene verändert. Mitarbeiter der Heimaufsicht sprechen bei ihrer Anhörung im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) offen von einem Paradigmenwechsel. Sie seien froh, dass pädagogische Einwände und erlassene Auflagen jetzt strenger umgesetzt werden, auch wenn es juristischen Widerstand gibt.

Die behördliche Schließungsverfügung der Friesenhof-Einrichtungen im vergangenen Sommer ist kein Einzelfall geblieben. Damals waren Vorwürfe an die Öffentlichkeit gedrungen, wonach Kinder und Jugendliche unter Erziehungsmethoden wie Strafsport und gezielter Provokation litten. In diesem Jahr hat es bereits zwei weitere Entzüge von Betriebsgenehmigungen gegeben. Im Fall einer Mädcheneinrichtung in Flensburg besteht der Verdacht auf Drogenmissbrauch. Am Freitag wurde außerdem einer Unterkunft im Kreis Dithmarschen die Genehmigung entzogen, weil dort laut Sozialministerium eine akute Kindeswohlgefährdung vorgelegen habe. Es handele sich um den Vorwurf von Übergriffen auf sieben Mädchen und einen Jungen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Dem Vernehmen nach wurde auch die Polizei eingeschaltet. Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) will am 7. Juli den Sozialausschuss im Landtag über die Details unterrichten. Laut NDR-Recherchen soll sich die Einrichtung im Ort Tellingstedt befinden, von offizieller Seite wollte dies niemand bestätigen. Der betroffene Betreiber hat Berichten zufolge bereits einen Kieler Anwalt eingeschaltet und will sich nicht mit der roten Karte seitens der Heimaufsicht abfinden.

Die Zahl zu überwachender Einrichtungen ist zusammen mit vielen Kitas inzwischen auf über 2000 gestiegen. Das zuständige Personal wurde und wird bis zum Herbst auf zwölf Stellen aufgestockt. Dennoch binden Krisen- und Beschwerdemanagement die Landesjugendamtspädagogen und lassen Alltagsarbeiten auf der Strecke bleiben. Dazu gehören angemeldete Besuche in den Heimen, die eine Mitarbeiterin im PUA als »Reine Showveranstaltungen« bezeichnete. Hinzu kommen anlassbezogene unangemeldete Besuche. Geht es um konkrete Vorhaltungen, fahren die Pädogogen zu zweit in die Einrichtung (Vier-Augen-Prinzip) und sprechen mit dort tätigen Betreuern und Jugendlichen. Im PUA wurde berichtet, dass ein Betreiber, hat er erst einmal eine Betriebserlaubnis, nur einmal jährlich im November eine Meldung vorlegen muss. Ob die Angaben stimmen, lässt sich nur vage überprüfen.

Nach dem Friesenhof-Skandal hat die zuständige Referatsleitung gewechselt. Aussagen im PUA zufolge begrüßen es die Aufsicht führenden Pädagogen, dass Träger und Betreiber »schärfer rangenommen« werden, dass angedrohte Sanktionen bei Nichterfüllung von Auflagen und bei Nichtabstellung von Missständen keine Drohgebärde bleiben, sondern auch gegen juristischen Widerstand umgesetzt werden. Im Fall der Friesenhof-Heime war die Behördenspitze jahrelang davor zurückgeschreckt, ein Verwaltungsgerichtsverfahren in Kauf zu nehmen, obwohl sich die Vorwürfe häuften. Dabei spielte auch der für den Friesenhof tätige Hamburger Anwalt eine zentrale Rolle. Auf diesen ist man im Landesjugendamt nicht gut zu sprechen. In der PUA-Sitzung am Montag berichtete eine Pädagogin, dass besagter Jurist Betreibern von Heimeinrichtungen gezielt Informationsveranstaltungen anbiete.

Kritik an Umgangsmethoden wurde auch im Zusammenhang mit der heilpädagogische Kinder- und Jugendhilfe Dithmarschen in Dörpling laut. Geschäftsführer dort ist Frank Hunting, der ursprünglich im Friesenhof tätig war. Nach eigenen Angaben verließ er diesen aber frühzeitig, weil er mit der Arbeit nicht einverstanden gewesen sei. Nach NDR-Informationen wollte Hunting ursprünglich die pädagogische Leitung in Dörpling übernehmen, legte dafür aber ein angeblich falsches Zeugnis vor. Für die pädagogische Arbeit ist nun seine Ehefrau verantwortlich.

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