Der singende Figaro

Schellacks & Raritäten zum 80. Geburtstag von Herbert Roth

  • Volkmar Andrä
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Da saß im Frühjahr 1951 ein schmächtiger, knapp fünfundzwanzigjähriger Mann im Vorzimmer des Musikredakteurs beim Landessender Weimar und wartete auf seine Chance. Es ging um eigene Rundfunkaufnahmen. Als Akkordeonsolist hatte sich dieser junge Suhler Friseurmeister namens Herbert Roth schon einen Namen gemacht. Das Warten sollte sich lohnen: Im April 1951 kam es zu ersten Rundfunkaufnahmen in Erfurt, zunächst zwei Instrumentalstückchen im Akkordeonduett mit Waltraut Schulz. Während der langen Wartezeit war ihm aber auch die Idee zu einem neuen Lied gekommen, das später einmal Deutschlands beliebtestes Wanderlied werden sollte: das »Rennsteiglied«. Die älteste Aufnahme dieses Liedes stammt vom Januar 1952. Die ersten Erfolge stachelten ihn an. Mit seinem Jugendfreund und Texter Karl »Kaschi« Müller lieferte Herbert Roth jetzt neue Lieder am laufenden Band: »So klingt's in den Bergen« (später Erkennungsmelodie von Radio DDR, Studio Suhl), »Kleines Haus am Wald«, »Auf der Oberhofer Höh« (für die DDR-Wintersportmeisterschaften 1952) und »Die Wandergretel«. Nun meldete sich aus Berlin auch der VEB »Lied der Zeit« mit einer Anfrage zu ersten Schallplattenaufnahmen. Im Studio in der Berliner Taubenstraße herrschte wohl ein etwas anderer Ton als beim Radio, denn man erklärte dort sehr deutlich: »Herr Roth, Sie können gern wieder zu uns kommen, aber bitte mit einer anderen Rhythmusgruppe!« Herbert Roth fügte sich zähneknirschend und arbeitete seitdem bei allen Schallplattenaufnahmen mit zwei Gastmusikern (Gitarre und Kontrabass) vom Großen Berliner Rundfunkorchester zusammen. Der kometenhafte Aufstieg des Herbert Roth rief auch Neid und Missgunst auf den Plan, häufig vorgetragen mit fadenscheinigen kulturpolitischen Argumenten. »Eine Musik, die nicht anknüpft an das Kulturerbe und revolutionär um das Neue ringt«, sei formalistisch, hieß es in der Presse. Und der Vorwurf des Formalismus kam damals einem künstlerischen Todesurteil gleich. In Weimar soll es sogar spontane Anti-Roth-Demonstrationen von Musikstudenten gegeben haben. Für Roth nahm die Sache eine kuriose Wendung: Walter Ulbricht fuhr jedes Jahr nach Oberhof zum Wintersport-Urlaub und bestellte 1958 den umstrittenen Volksmusikanten als abendliche Unterhaltung in seine Residenz. Ulbrichts Kommentar nach dem Konzert - »Das gefällt mir eigentlich« - beendete augenblicklich alle Diskussionen. Fortan verkörperte der singende Figaro aus Suhl mit seinem Ensemble so etwas wie DDR-Heimatgefühl und durfte bei keinem Anlass mehr fehlen, ob im Adlershofer Fernsehen, bei der Leipziger Messe oder bei »Da lacht der Bär« im Berliner Friedrichstadtpalast. Der VEB Deutsche Schallplatten hatte die Turbulenzen um Herbert-Roth-Musik weitgehend ignoriert - dort hatten schon damals Umsatz und Gewinn Priorität. Kurios erscheint aus heutiger Sicht, dass die ersten 16 Aufnahmen bis 1955 auf Schellackplatten des Klassik-Labels ETERNA gepresst wurden. Man hatte dieses Repertoire damals wohl als »wahre« Volksmusik eingeordnet und nicht dem Schlager-Label AMIGA zugeschrieben. Seit 1956 erschienen Herbert Roths Melodien dann aber dort. 1963 folgte die erste AMIGA-LP und bis 1983 erschienen zehn weitere Langspielplatten. In über 300 Liedern besang Herbert Roth fast jede Landschaft am Rennsteig. Als Beitrag für die Tanzestrade des VEB Kaltwalzwerk Bad Salzungen entstand zu den Arbeiterfestspielen 1975 in Erfurt der Titel »Zwischen Rennsteig und Rhön«. Dieses Lied wurde 1980 seine letzte Rundfunkaufnahme mit Waltraut Schulz. Roth wusste inzwischen mit den Mächtigen des Landes umzugehen und war sich seiner Stellung sehr bewusst. Er erhielt Orden und Ehrungen - zwei Mal den Vaterländischen Verdienstorden der DDR -, aber er verlor nicht den Boden unter den Füßen. Seine Liebe zu den Thüringer Bergen wirkte nie aufgesetzt und blieb immer echt und ehrlich. Am 17. Oktober 1982 starb Herbert Roth mit 56 Jahren nach längerer und mit Disziplin ertragener Krankheit. Die jetzt erschienene CD »Schellacks & Raritäten« - mit ausfü...

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