Wetterfrosch kämpft gegen die Eiszeit

Ulrich Maurer zur Buchvorstellung bei »ND im Club«

Für Ulrich Maurer war die »Welt noch in Ordnung«, als Oskar Lafontaine SPD-Vorsitzender war und er im Präsidium. Der Schwabe, der gern bekennt, einer zu sein, der ehemalige SPD-Linke, Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, der Kettenraucher, der halbe Zigaretten raucht, um seinen Konsum wenigstens zu mindern - er galt vielen in seiner Partei lange Zeit als Hoffnung. Solchen vor allem, für die die Welt schon damals nicht mehr in Ordnung war. Dass die SPD sich irgendwie noch selbst am Schopf aus dem Sumpf des wabernden Neoliberalismus ziehen könnte. Maurer machte die SPD erträglicher, bis er sie selbst nicht mehr ertragen konnte. »Die SPD hat eigentlich mich verlassen«, sagt Maurer. Er hat ein Buch geschrieben, das er im ND-Club am Mittwochabend vorstellte. »Eiszeit« - die gefühlte Temperatur bei der Begegnung mit den alten Genossen mag ein wenig zum Titel beigetragen haben. Und so ist der Begriff ein mühsam kühles Dach über dem Kampf der Alternativen, die ihm beigefügt sind: »Staatsstreich des Kapitals oder Renaissance der Linken«. Die Linke muss es mit beidem aufnehmen, mit Eiszeit und Kapital. Deshalb ist Maurers Buch auch, aber nicht nur, ein wütendes Buch. Er sinniert darin über die Genesis von Weltreichen wie dem Imperium romanum, das nach heutiger imperialistischer Logik einen dauerhaften Krieg um die damalige Energieressource führte - die menschliche Arbeitskraft. Er rechnet im Buch mit der »Generation Golf« ab, die Parteien als Unternehmen betrachten, und mit den 68ern, die krakeelten, bis sie sich im Kapitalismus eingerichtet hatten und ihn ab sofort als alternativlos bezeichneten. Gerhard Schröder kommt schlechter weg als Helmut Kohl. Ein Buch der Enttäuschung auch, aber Maurer hat die SPD schon weit hinter sich gelassen. Er ist bereits wieder Hoffnungsträger. Einer selbsttragenden gesamtdeutschen politischen Kraft links von der SPD. Dass die Linke sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen könnte - der zum Teil selbst gewählten, zum Teil verordneten Isolierung. Und so sieht Maurer die Eiszeit schon wieder ein wenig schwinden, wenn er den alten Genossen begegnet, von denen immer weniger offenen Hass zeigen, aber immer mehr offene Sympathie. Er fühle sich ein bisschen wie ein Wetterfrosch, wenn die Reaktionen auf seine Person das Klima signalisierten, auf das sich die neue Linke einstellen könne. 160 000 Mitglieder hat die SPD verloren. »Die sind doch nicht alle unpolitisch geworden.« In der SPD brauchte Maurer lange bis zur Erkenntnis, dass »Veränderung aus dieser Partei nicht mehr möglich war«. Jetzt ist Veränderung im Zeitraffer angesagt. Er hat eine neue Liebe entdeckt, die Wälder- und Seenlandschaft im Nordosten, er ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag. Und er schreibt Bücher, mit Hans Modrow zusammen und nun allein. Er bemüht sich um Sensibilität gegenüber den Befindlichkeiten im Osten und nennt das eine Aufgabe der Westlinken bei der Fusion. Auch den Ostdeutschen misst er eine Lernaufgabe zu: Nach den Erfahrungen mit dem Staatssozialismus habe das Pendel eines pluralistischen Parteienbildes zu weit ausgeschlagen. Jede Partei habe Flügel, aber Mehrheiten müssten für Handlungsfähigkeit sorgen. »Beschlüsse müssen gelten«, so Maurer. Die Linke müsse inhaltlich glaubwürdig sein, Identität »Osten« reiche als verbindender Kitt nicht länger aus. Parteiausschluss für Kritiker? So weit geht Maurer im ND-Club nun doch nicht. Nach den Schwierigkeiten der Annäherung sieht er die Fusion jetzt auf der »Straße der Feierlichkeiten«. Allerdings seien die zwischen Linkspartei und WASG vereinbarten Eckpunkte ein »breiter Mantel« - die kommenden Debatten werden spannend, so Maurer. Die Zeit brauche eine klare Sprache, sagt Maurer und meint damit sein Buch. Zu vielen Punkten ist das letzte Wort der neuen Partei noch nicht gesprochen - die Haltung der neuen Linken zum Islam, zu Israel, zu Migration, zu UNO-Einsätzen gegen Völkermord sind Themen, die er selbst nennt. »Uns eint die Ablehnung dessen, was der neoliberale Kapitalismus mit den Menschen macht.« Ein bisschen braucht die Welt noch, bis sie wieder in Ordnung ist - so wie damals, als ...

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