Der gemeinsame GOTT will Frieden und Gerechtigkeit

Juden, Christen und Muslime - Geschwister einer Familie, Kinder Abrahams

  • Hubertus Guske
  • Lesedauer: ca. 10.5 Min.

Die Welt ist gefährlich verrückt. Die Menschheit will nicht in Frieden leben. Überall Not, Terror und Krieg. Da sucht man nach einem Retter. Ein Mensch vielleicht? Oder besser ein Gott? Viele Menschen haben schon ihr Bestes gegeben, die Menschheit zur Vernunft zu bringen. Mit wenig Erfolg. Und Gott? Gibt es denn überhaupt einen? Und welcher Gott der vielen Religionen könnte das fast Unmögliche schaffen?

Der Religionen Widerspruch: Sie wollen alle ein friedliches Miteinander der Menschen, aber die Gläubigen schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein. Ungläubige übrigens auch. So bleibt die Frage, was denn Religion überhaupt wert ist. Aber vielleicht ist die Frage falsch gestellt. Sie sollte wohl besser lauten: Warum handeln Gläubige nicht nach den Geboten ihrer Religion? Wenn Religion nach Cicero die »sorgfältige Beachtung« (lat. religere) des Kultes der Götter bedeutet, und wenn nach Kirchenvater Augustinus die wahre Religion jene ist, durch welche sich eine von Gott losgerissene Seele in der Versöhnung mit ihm »wieder verbindet« (lat. religare), dann wäre gottbezogenes Leben das Kennzeichen jeglichen religiösen Glaubens. Aber gottbezogenes Leben verträgt sich in keiner Religion mit ungerechter Gewalt, Hass und Mord.
Oberflächlich betrachtet scheinen sich in unseren Tagen drei Religionen zu bekriegen. Muslime terrorisierten die überwiegend christlichen Amerikaner; diese schlugen mit Bomben und Raketen gegen Muslime in Afghanistan zurück. Die muslimischen Terroristen begründen ihre Gewalt damit, dass die israelischen Juden, unterstützt von den christlichen und jüdischen Amerikanern, die palästinensischen Muslime unterdrücken, die ihrerseits die israelischen Juden terrorisieren. Dieser angebliche Religionskrieg findet seine vermeintliche Rechtfertigung auch in der Anwendung bestimmter Begriffe: Muslimische Terroristen führen einen »Heiligen Krieg« gegen die »ungläubigen« Amerikaner und Israelis. Und der Präsident der USA redete vom »Kreuzzug« gegen die terrorisierenden Islamisten. Solches Gerede verdeckt nur die wirklichen Ursachen und Interessen, die sich hinter Terror und Gegenterror verstecken.

Judentum, Christentum und Islam sind Geschwister. Sie gehören zur Familie der Monotheisten, die nur einen Gott kennen und sogar den selben. Ihr gemeinsamer Stammvater Abraham, der vor fast 4000 Jahren gelebt haben soll, war religiös ein Revolutionär: In einer Welt der Vielgötterei predigte er Jahwe, den einen Gott, von dem er Offenbarungen empfing. Er gilt allen als Vorbild des Glaubens und des Gehorsams gegenüber Gott. Ihm folgte im 13. Jahrhundert v. Chr. Moses, der dem »auserwählten Volk« Jahwes, den Israeliten, die göttlichen Gesetze offenbarte und so zum Stifter des Judentums wurde. Die biblischen fünf Bücher Moses (Pentateuch) bilden noch heute als Thora (hebr. Gesetz) das Grundgesetz des jüdischen Glaubens. Diese Thora mit ihren 248 Geboten und 365 Verboten wurde später ergänzt durch den Talmud (hebr. Lehre), die rabbinisch kodifizierte Auslegung von Gesetz und nachbiblischer Gesetzesüberlieferung. Die Offenbarung durch Moses sollte vollständig und endgültig sein. Am Ende aller Tage werde der Messias die Welt erretten.
Aus diesem jüdischen Volk ging dann vor 2000 Jahren Jesus hervor, der zwar den einen Gott Abrahams und Mose predigte, auch das jüdische Leben in Palästina teilte, aber durch Lehre und Wundertaten sich als der angekündigte Messias (griech. Christos) präsentierte, als Sohn Gottes, Verkünder eines neuen Bündnisses Gottes mit den Menschen und Erlöser der Menschheit. Das wollten die jüdischen Schriftgelehrten nicht gelten lassen. Sie ließen mit Hilfe der römischen Besatzungsmacht den Gotteslästerer, Gesetzesbrecher und Aufrührer kreuzigen. Doch Jesu Anhänger trugen nach dessen Wiederauferstehung und Himmelfahrt die neue Lehre in den ganzen Mittelmeerraum und bald weit darüber hinaus. Und sie schrieben Jesu Worte und Taten auf in Evangelien und Apostelbriefen als Wort Gottes, als das Neue Testament in Ergänzung des weiter gültigen Alten Testaments der Juden. Beide zusammen bilden die christliche Bibel, die den verschiedenen Konfessionen (Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Anglikaner usw.) gemein ist.
Etwa 600 Jahre nach dem Juden Jesus, der zum Stifter der christlichen Kirche wurde, verkündete in Arabien ein Mann namens Mohammed, der die Lehre Jesu wohl nur vom Hörensagen kannte, also kaum schriftliche christliche Quellen gelesen hatte, neue Offenbarungen Allahs (arab. der Gott). Der Prophet verstand sie als die endgültig letzten Offenbarungen des gemeinsamen Gottes von Juden und Christen. In dem von Allah wörtlich und unabänderlich den Menschen gegebenen Koran (arab. Lesung) wird das Alte und Neue Testament ergänzt, korrigiert und neu interpretiert. Zum Koran trat später noch die Sunna (arab. Gewohnheit), in der Worte und Taten Muhammads den Gläubigen als verpflichtend für das eigene Leben auferlegt werden. So entstand der Islam (arab. völlige Hingabe), der keine Trennung von Glauben und Leben, von Religion und Politik erlaubt. Alles Sein und Tun ist auf Allah ausgerichtet.
Diese dreistufige Entwicklung des Monotheismus verlief nicht friedlich. Jede neue Stufe wurde als Abweichung vom alten Glauben, als Angriff empfunden. Andererseits trachtete jeder neue Glauben danach, den alten zu überwinden.
Auseinandersetzungen zwischen den Geschwistern in der Familie Abrahams resultierten hauptsächlich aus unterschiedlichen Sichten ihrer Propheten und Heiligen Schriften sowie aus voneinander abweichenden Interpretationen einzelner Glaubenssätze. Im jüdischen Talmud zum Beispiel wird Jesus vorgeworfen, er sei als falscher Prophet aufgetreten, habe Israel durch Zauberei (gemeint sind seine Wundertaten) zum Götzendienst verführt und vom Gesetz der Juden abtrünnig gemacht. Das Papsttum warf fast zwei Jahrtausende lang den Juden vor, »Gottesmörder« zu sein. Da half auch kein Hinweis auf die laut christlicher Lehre gottgewollte und für die Erlösung der Menschheit notwendige Kreuzigung Jesu. Bis in die Liturgie hinein fand der Antijudaismus der römischen Kirche seinen Ausdruck. Erst 1959, nach dem Holocaust, warf Papst Johannes XXIII. ihn auf den Müllhaufen der Geschichte. Auch der Koran der Muslime, der in rund 180 Versen von 15 Suren Jesus erwähnt oder sich auf ihn bezieht, verneint, wie der Talmud, eine Gottessohnschaft Jesu und verschweigt sogar seine Kreuzigung. Für Muhammad ist »Jesus, der Sohn der Maria« nur ein Prophet, ein Gesandter Allahs wie viele andere vor ihm. Muhammad zollt diesem Propheten aus Nazareth und seinem Tun zwar hohen Respekt, aber Gott und Gottes Sohn war er nicht. Denn Allah ist der eine und einzige Gott. Eine christliche Dreifaltigkeit Gottes erschien ihm schon wie Vielgötterei.
Eine große Übereinstimmung der drei Religionen zeigt sich in den Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens. Die Goldene Regel »Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu« gehört zum Besitz aller Religionen. Darin zusammengefasst sind sowohl wesentliche Elemente der Zehn Gebote, die Moses auf dem Berge Sinai von Jahwe empfing, als auch wichtige Teile der Bergpredigt Jesu und auch viele ethische Vorschriften in den 114 Suren des Korans. Divergierende Aussagen zwischen Altem und Neuem Testament sowie dem Koran bleiben dennoch bestehen. Sie sind vor allem im Kontext unterschiedlicher Glaubenssätze und historischer Lebensbedingungen zu verstehen.

Bei Streitigkeiten in der Familie Abrahams, die auch zu gegenseitigen Verfolgungen, ja zu Kriegen führten, ging es oft weniger um Glaubenssätze als vielmehr um sehr materielle Interessen und Machtansprüche, die man religiös zu tarnen verstand. Der Missbrauch der Religion für politische Ziele hat eine lange Geschichte und reicht bis in unsere Tage. Obwohl alle Religionen - nicht nur diese drei - als Religionen des Friedens gelten können, lehrt die Geschichte doch, dass sie durch das Handeln ihrer Gläubigen auch Unfrieden und Unmenschlichkeit verursachten.
Die Juden waren meist die Verfolgten und Ausgegrenzten, die Opfer anderer Religionsgemeinschaften und politischer Mächte. Seit die römische Besatzungsmacht im Jahre 70 den Tempel in Jerusalem, das Heiligtum aller Juden, zerstörte und in der Folgezeit die Juden aus Palästina vertrieb, waren sie über Jahrhunderte eine Religion im Exil, eine Gemeinschaft in der Zerstreuung. Nur Thora und Talmud hielten sie noch zusammen, ansonsten blieben sie Fremde in muslimischer oder christlicher Umgebung, oft mit weniger Rechten als die anderen und eingeschlossen in frei gewählten oder verordneten Ghettos. Erst spät in der Neuzeit konnten sie ihre Fähigkeiten entfalten und Anerkennung finden - bis deutsche Rassenbarbaren sie in die Gaskammern jagten.
Anders die Christen, die ihre jüdischen Wurzeln bald vergaßen oder leugneten. Das »auserwählte Volk Gottes« waren jetzt sie. Von dem Juden Jesus mochte keiner reden. Kirchenmänner begründeten theologisch die Verfolgung und Unterdrückung der vermeintlichen »Gottesmörder«. Das Liebesgebot Jesu auch den Feinden gegenüber schien außer Kraft gesetzt. Nicht minder schwer wiegt die Versündigung der römischen Kirche an den Muslimen. Die Kreuzzüge im Mittelalter zur angeblichen Befreiung heiliger Stätten des Christentums von islamischer Herrschaft in Vorderasien erhielten zwar einen starken religiösen Anschub als gerechter Kampf gegen Heiden und Häretiker, doch ging es letztlich um wirtschaftliche und politische Interessen abendländischer Fürsten, wofür islamische Herrscher sich später in Südosteuropa revanchierten. Sie zeigten sich ebenso wenig zimperlich bei der Ausweitung ihrer Herrschaftsgebiete. Dabei folgten sie den Weisungen Allahs im Koran, den Islam in der ganzen Welt zu verbreiten. In den arabischen Ländern des Vorderen Orients und Nordafrikas sowie in Spanien konnten die frühen Islamisten nicht eben friedlich alte Stammesreligionen überwinden und die Ausbreitung von Judentum und Christentum stoppen. Dabei fällt auf, dass sie Juden und Christen als verwandte Monotheisten oft besser behandelten als die heidnischen »Götzendiener«, die man nach dem Koran erschlagen soll, sofern sie nicht das islamische Gebet verrichten und die Armensteuer bezahlen wollen (Sure 9,5). Diese Sure ist eine von mehreren, auf die sich auch die heutigen islamistischen »Heiligen Krieger« berufen. Indem sie den Koran fundamentalistisch auslegen, d.h. wörtlich nehmen (was an sich nach Muhammad geboten ist), mißachten sie viele andere koranische Weisungen, die solcher Mordgier entgegen stehen. Insofern ist auch heute der oft gebrauchte Begriff Dschihad interpretationsfähig. Jedenfalls legen einige islamische geistliche Autoritäten diesen Begriff, der allgemeinhin mit »Heiliger Krieg« übersetzt wird, nicht mehr als strenges Gebot aus, sondern als eine unter Umständen mögliche Form des Dienstes am Islam. Andere übersetzen Dschihad mit: Anstrengung für die Lehre. An diesem Beispiel zeigt sich ein in vielen Lebensbereichen erkennbares Problem: Da der Islam keine zentrale Lehrautorität kennt, wie etwa das Papsttum bei den Katholiken, sind regional unterschiedliche Koran-Deutungen an der Tagesordnung.

Familiengeschichte verläuft oftmals dramatisch. Die monotheistische Familie bildet da keine Ausnahme. Erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beginnt die Richtung des Dramas sich zu ändern. Aus dem langen und manchmal blutigen Gegeneinander wächst allmählich ein geschwisterliches Miteinander. Schlimme Erfahrungen der Geschichte werden jetzt eher verinnerlicht als verdrängt. Angesichts des andauernden Unfriedens und bedrückender Ungerechtigkeit in der Welt fragen sich die Religionen, ob sie nicht eigene historische Schuld, eigenes Versagen, eigene religiöse Vorurteile wandeln müssten - für Gerechtigkeit und Frieden, für eine Welt, in der religiöse und weltanschauliche Toleranz herrscht.
Mit solchem Ziel entstanden weltweit und religionsübergreifend schon unzählige Initiativen. Schritt für Schritt gingen als erstes Frauen und Männer verschiedener Bekenntnisse aufeinander zu, zunächst noch beargwöhnt von den Glaubenswächtern der Religionen. Bald aber schlossen sich geistliche Autoritäten dem interreligiösen Dialog an. Selbst der Papst ging in Synagogen und Moscheen. Immer mehr tritt das gemeinsame Handeln für eine bessere Welt in den Mittelpunkt des Gesprächs. Solche Foren des interreligiösen Dialogs sind z.B. die Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (WCRP) und die von Prof. Hans Küng in Tübingen initiierte Stiftung Weltethos mit ihrem Grundbekenntnis: Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen.
Drei Weltreligionen haben wir betrachtet. Es ist kein Frieden in der Welt. Brauchen wir die Religionen? Ja, wir brauchen sie, wenn die Gläubigen dieser Religionen nach den Geboten des gemeinsamen Gottes auch handeln. Denn Frieden, Versöhnung, Gerechtigkeit und andere Güter sind allen Religionen eigen. Krieg, Hass, Ungerechtigkeit und andere Sünden widersprechen den Geboten.
Im Blick auf die Welt an diesem Weihnachtsfest 2001 bedeutet das: Von einem Krieg der Religionen gegeneinander zu reden ist Unsinn. Auch »Religionen« durch »Kulturen« zu ersetzen, geht fehl. Überhaupt kann keine Sammelbezeichnung für Millionen Menschen das Übel unserer Tage kennzeichnen. Denn es handeln einzelne Personen und Personengruppen, die genau beschrieben werden können und deren Religion nicht immer relevant ist. Insofern ist auch die Rede vom internationalen Terrorismus fragwürdig.
Für die Anschläge vom 11. September dieses Jahres ist nach heutiger Erkenntnis eine gut organisierte Gruppe fundamentalistisch orientierter Muslime verantwortlich, die weniger das christlich-jüdische Amerika treffen wollten als vielmehr die Weltmacht, die für viel Unfrieden und Ungerechtigkeit auch in der islamischen Welt hauptverantwortlich gemacht wird. Diese Weltmacht schlug zusammen mit europäischen Bündnispartnern mit Bomben und Raketen dort zurück, wo sie unter einem Volk von Muslimen die Urheber der Anschläge vermutete. Dass dabei dieses Volk wegen seiner (auch vom Westen mit verschuldeten) wirtschaftlichen Rückständigkeit und auch wegen seines Glaubens als minderwertig betrachtet wurde, war nicht zu übersehen. Zur selben Zeit explodierte in Israel und Palästina die Zeitbombe, weil israelische (jüdische) Hardliner und palästinensische (muslimische) Fundamentalisten keinen Schritt zurück zur Vernunft weichen wollten. Viele andere Juden und Muslime in derselben Region, die nicht in Schablonen denken, könnten Frieden schaffen, wenn sie die Macht dazu hätten.
Friede den Menschen guten Willens, lautet die christliche Weihnachtsbotschaft. Sie gilt auch im Judentum und im Islam. Und das lässt hoffen, wenn die Gläubigen Gott nicht allein lassen, sondern mit ihm Frieden schaffen.
Unser Autor ist Geschäftsführer des Ökumenischen Friedensforums Europäischer Katholiken (ÖFEK) und Mitarbeiter der We...

Die Welt ist gefährlich verrückt. Die Menschheit will nicht in Frieden leben. Überall Not, Terror und Krieg. Da sucht man nach einem Retter. Ein Mensch vielleicht? Oder besser ein Gott? Viele Menschen haben schon ihr Bestes gegeben, die Menschheit zur Vernunft zu bringen. Mit wenig Erfolg. Und Gott? Gibt es denn überhaupt einen? Und welcher Gott der vielen Religionen könnte das fast Unmögliche schaffen?

Der Religionen Widerspruch: Sie wollen alle ein friedliches Miteinander der Menschen, aber die Gläubigen schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein. Ungläubige übrigens auch. So bleibt die Frage, was denn Religion überhaupt wert ist. Aber vielleicht ist die Frage falsch gestellt. Sie sollte wohl besser lauten: Warum handeln Gläubige nicht nach den Geboten ihrer Religion? Wenn Religion nach Cicero die »sorgfältige Beachtung« (lat. religere) des Kultes der Götter bedeutet, und wenn nach Kirchenvater Augustinus die wahre Religion jene ist, durch welche sich eine von Gott losgerissene Seele in der Versöhnung mit ihm »wieder verbindet« (lat. religare), dann wäre gottbezogenes Leben das Kennzeichen jeglichen religiösen Glaubens. Aber gottbezogenes Leben verträgt sich in keiner Religion mit ungerechter Gewalt, Hass und Mord.
Oberflächlich betrachtet scheinen sich in unseren Tagen drei Religionen zu bekriegen. Muslime terrorisierten die überwiegend christlichen Amerikaner; diese schlugen mit Bomben und Raketen gegen Muslime in Afghanistan zurück. Die muslimischen Terroristen begründen ihre Gewalt damit, dass die israelischen Juden, unterstützt von den christlichen und jüdischen Amerikanern, die palästinensischen Muslime unterdrücken, die ihrerseits die israelischen Juden terrorisieren. Dieser angebliche Religionskrieg findet seine vermeintliche Rechtfertigung auch in der Anwendung bestimmter Begriffe: Muslimische Terroristen führen einen »Heiligen Krieg« gegen die »ungläubigen« Amerikaner und Israelis. Und der Präsident der USA redete vom »Kreuzzug« gegen die terrorisierenden Islamisten. Solches Gerede verdeckt nur die wirklichen Ursachen und Interessen, die sich hinter Terror und Gegenterror verstecken.

Judentum, Christentum und Islam sind Geschwister. Sie gehören zur Familie der Monotheisten, die nur einen Gott kennen und sogar den selben. Ihr gemeinsamer Stammvater Abraham, der vor fast 4000 Jahren gelebt haben soll, war religiös ein Revolutionär: In einer Welt der Vielgötterei predigte er Jahwe, den einen Gott, von dem er Offenbarungen empfing. Er gilt allen als Vorbild des Glaubens und des Gehorsams gegenüber Gott. Ihm folgte im 13. Jahrhundert v. Chr. Moses, der dem »auserwählten Volk« Jahwes, den Israeliten, die göttlichen Gesetze offenbarte und so zum Stifter des Judentums wurde. Die biblischen fünf Bücher Moses (Pentateuch) bilden noch heute als Thora (hebr. Gesetz) das Grundgesetz des jüdischen Glaubens. Diese Thora mit ihren 248 Geboten und 365 Verboten wurde später ergänzt durch den Talmud (hebr. Lehre), die rabbinisch kodifizierte Auslegung von Gesetz und nachbiblischer Gesetzesüberlieferung. Die Offenbarung durch Moses sollte vollständig und endgültig sein. Am Ende aller Tage werde der Messias die Welt erretten.
Aus diesem jüdischen Volk ging dann vor 2000 Jahren Jesus hervor, der zwar den einen Gott Abrahams und Mose predigte, auch das jüdische Leben in Palästina teilte, aber durch Lehre und Wundertaten sich als der angekündigte Messias (griech. Christos) präsentierte, als Sohn Gottes, Verkünder eines neuen Bündnisses Gottes mit den Menschen und Erlöser der Menschheit. Das wollten die jüdischen Schriftgelehrten nicht gelten lassen. Sie ließen mit Hilfe der römischen Besatzungsmacht den Gotteslästerer, Gesetzesbrecher und Aufrührer kreuzigen. Doch Jesu Anhänger trugen nach dessen Wiederauferstehung und Himmelfahrt die neue Lehre in den ganzen Mittelmeerraum und bald weit darüber hinaus. Und sie schrieben Jesu Worte und Taten auf in Evangelien und Apostelbriefen als Wort Gottes, als das Neue Testament in Ergänzung des weiter gültigen Alten Testaments der Juden. Beide zusammen bilden die christliche Bibel, die den verschiedenen Konfessionen (Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Anglikaner usw.) gemein ist.
Etwa 600 Jahre nach dem Juden Jesus, der zum Stifter der christlichen Kirche wurde, verkündete in Arabien ein Mann namens Mohammed, der die Lehre Jesu wohl nur vom Hörensagen kannte, also kaum schriftliche christliche Quellen gelesen hatte, neue Offenbarungen Allahs (arab. der Gott). Der Prophet verstand sie als die endgültig letzten Offenbarungen des gemeinsamen Gottes von Juden und Christen. In dem von Allah wörtlich und unabänderlich den Menschen gegebenen Koran (arab. Lesung) wird das Alte und Neue Testament ergänzt, korrigiert und neu interpretiert. Zum Koran trat später noch die Sunna (arab. Gewohnheit), in der Worte und Taten Muhammads den Gläubigen als verpflichtend für das eigene Leben auferlegt werden. So entstand der Islam (arab. völlige Hingabe), der keine Trennung von Glauben und Leben, von Religion und Politik erlaubt. Alles Sein und Tun ist auf Allah ausgerichtet.
Diese dreistufige Entwicklung des Monotheismus verlief nicht friedlich. Jede neue Stufe wurde als Abweichung vom alten Glauben, als Angriff empfunden. Andererseits trachtete jeder neue Glauben danach, den alten zu überwinden.
Auseinandersetzungen zwischen den Geschwistern in der Familie Abrahams resultierten hauptsächlich aus unterschiedlichen Sichten ihrer Propheten und Heiligen Schriften sowie aus voneinander abweichenden Interpretationen einzelner Glaubenssätze. Im jüdischen Talmud zum Beispiel wird Jesus vorgeworfen, er sei als falscher Prophet aufgetreten, habe Israel durch Zauberei (gemeint sind seine Wundertaten) zum Götzendienst verführt und vom Gesetz der Juden abtrünnig gemacht. Das Papsttum warf fast zwei Jahrtausende lang den Juden vor, »Gottesmörder« zu sein. Da half auch kein Hinweis auf die laut christlicher Lehre gottgewollte und für die Erlösung der Menschheit notwendige Kreuzigung Jesu. Bis in die Liturgie hinein fand der Antijudaismus der römischen Kirche seinen Ausdruck. Erst 1959, nach dem Holocaust, warf Papst Johannes XXIII. ihn auf den Müllhaufen der Geschichte. Auch der Koran der Muslime, der in rund 180 Versen von 15 Suren Jesus erwähnt oder sich auf ihn bezieht, verneint, wie der Talmud, eine Gottessohnschaft Jesu und verschweigt sogar seine Kreuzigung. Für Muhammad ist »Jesus, der Sohn der Maria« nur ein Prophet, ein Gesandter Allahs wie viele andere vor ihm. Muhammad zollt diesem Propheten aus Nazareth und seinem Tun zwar hohen Respekt, aber Gott und Gottes Sohn war er nicht. Denn Allah ist der eine und einzige Gott. Eine christliche Dreifaltigkeit Gottes erschien ihm schon wie Vielgötterei.
Eine große Übereinstimmung der drei Religionen zeigt sich in den Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens. Die Goldene Regel »Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu« gehört zum Besitz aller Religionen. Darin zusammengefasst sind sowohl wesentliche Elemente der Zehn Gebote, die Moses auf dem Berge Sinai von Jahwe empfing, als auch wichtige Teile der Bergpredigt Jesu und auch viele ethische Vorschriften in den 114 Suren des Korans. Divergierende Aussagen zwischen Altem und Neuem Testament sowie dem Koran bleiben dennoch bestehen. Sie sind vor allem im Kontext unterschiedlicher Glaubenssätze und historischer Lebensbedingungen zu verstehen.

Bei Streitigkeiten in der Familie Abrahams, die auch zu gegenseitigen Verfolgungen, ja zu Kriegen führten, ging es oft weniger um Glaubenssätze als vielmehr um sehr materielle Interessen und Machtansprüche, die man religiös zu tarnen verstand. Der Missbrauch der Religion für politische Ziele hat eine lange Geschichte und reicht bis in unsere Tage. Obwohl alle Religionen - nicht nur diese drei - als Religionen des Friedens gelten können, lehrt die Geschichte doch, dass sie durch das Handeln ihrer Gläubigen auch Unfrieden und Unmenschlichkeit verursachten.
Die Juden waren meist die Verfolgten und Ausgegrenzten, die Opfer anderer Religionsgemeinschaften und politischer Mächte. Seit die römische Besatzungsmacht im Jahre 70 den Tempel in Jerusalem, das Heiligtum aller Juden, zerstörte und in der Folgezeit die Juden aus Palästina vertrieb, waren sie über Jahrhunderte eine Religion im Exil, eine Gemeinschaft in der Zerstreuung. Nur Thora und Talmud hielten sie noch zusammen, ansonsten blieben sie Fremde in muslimischer oder christlicher Umgebung, oft mit weniger Rechten als die anderen und eingeschlossen in frei gewählten oder verordneten Ghettos. Erst spät in der Neuzeit konnten sie ihre Fähigkeiten entfalten und Anerkennung finden - bis deutsche Rassenbarbaren sie in die Gaskammern jagten.
Anders die Christen, die ihre jüdischen Wurzeln bald vergaßen oder leugneten. Das »auserwählte Volk Gottes« waren jetzt sie. Von dem Juden Jesus mochte keiner reden. Kirchenmänner begründeten theologisch die Verfolgung und Unterdrückung der vermeintlichen »Gottesmörder«. Das Liebesgebot Jesu auch den Feinden gegenüber schien außer Kraft gesetzt. Nicht minder schwer wiegt die Versündigung der römischen Kirche an den Muslimen. Die Kreuzzüge im Mittelalter zur angeblichen Befreiung heiliger Stätten des Christentums von islamischer Herrschaft in Vorderasien erhielten zwar einen starken religiösen Anschub als gerechter Kampf gegen Heiden und Häretiker, doch ging es letztlich um wirtschaftliche und politische Interessen abendländischer Fürsten, wofür islamische Herrscher sich später in Südosteuropa revanchierten. Sie zeigten sich ebenso wenig zimperlich bei der Ausweitung ihrer Herrschaftsgebiete. Dabei folgten sie den Weisungen Allahs im Koran, den Islam in der ganzen Welt zu verbreiten. In den arabischen Ländern des Vorderen Orients und Nordafrikas sowie in Spanien konnten die frühen Islamisten nicht eben friedlich alte Stammesreligionen überwinden und die Ausbreitung von Judentum und Christentum stoppen. Dabei fällt auf, dass sie Juden und Christen als verwandte Monotheisten oft besser behandelten als die heidnischen »Götzendiener«, die man nach dem Koran erschlagen soll, sofern sie nicht das islamische Gebet verrichten und die Armensteuer bezahlen wollen (Sure 9,5). Diese Sure ist eine von mehreren, auf die sich auch die heutigen islamistischen »Heiligen Krieger« berufen. Indem sie den Koran fundamentalistisch auslegen, d.h. wörtlich nehmen (was an sich nach Muhammad geboten ist), mißachten sie viele andere koranische Weisungen, die solcher Mordgier entgegen stehen. Insofern ist auch heute der oft gebrauchte Begriff Dschihad interpretationsfähig. Jedenfalls legen einige islamische geistliche Autoritäten diesen Begriff, der allgemeinhin mit »Heiliger Krieg« übersetzt wird, nicht mehr als strenges Gebot aus, sondern als eine unter Umständen mögliche Form des Dienstes am Islam. Andere übersetzen Dschihad mit: Anstrengung für die Lehre. An diesem Beispiel zeigt sich ein in vielen Lebensbereichen erkennbares Problem: Da der Islam keine zentrale Lehrautorität kennt, wie etwa das Papsttum bei den Katholiken, sind regional unterschiedliche Koran-Deutungen an der Tagesordnung.

Familiengeschichte verläuft oftmals dramatisch. Die monotheistische Familie bildet da keine Ausnahme. Erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beginnt die Richtung des Dramas sich zu ändern. Aus dem langen und manchmal blutigen Gegeneinander wächst allmählich ein geschwisterliches Miteinander. Schlimme Erfahrungen der Geschichte werden jetzt eher verinnerlicht als verdrängt. Angesichts des andauernden Unfriedens und bedrückender Ungerechtigkeit in der Welt fragen sich die Religionen, ob sie nicht eigene historische Schuld, eigenes Versagen, eigene religiöse Vorurteile wandeln müssten - für Gerechtigkeit und Frieden, für eine Welt, in der religiöse und weltanschauliche Toleranz herrscht.
Mit solchem Ziel entstanden weltweit und religionsübergreifend schon unzählige Initiativen. Schritt für Schritt gingen als erstes Frauen und Männer verschiedener Bekenntnisse aufeinander zu, zunächst noch beargwöhnt von den Glaubenswächtern der Religionen. Bald aber schlossen sich geistliche Autoritäten dem interreligiösen Dialog an. Selbst der Papst ging in Synagogen und Moscheen. Immer mehr tritt das gemeinsame Handeln für eine bessere Welt in den Mittelpunkt des Gesprächs. Solche Foren des interreligiösen Dialogs sind z.B. die Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (WCRP) und die von Prof. Hans Küng in Tübingen initiierte Stiftung Weltethos mit ihrem Grundbekenntnis: Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen.
Drei Weltreligionen haben wir betrachtet. Es ist kein Frieden in der Welt. Brauchen wir die Religionen? Ja, wir brauchen sie, wenn die Gläubigen dieser Religionen nach den Geboten des gemeinsamen Gottes auch handeln. Denn Frieden, Versöhnung, Gerechtigkeit und andere Güter sind allen Religionen eigen. Krieg, Hass, Ungerechtigkeit und andere Sünden widersprechen den Geboten.
Im Blick auf die Welt an diesem Weihnachtsfest 2001 bedeutet das: Von einem Krieg der Religionen gegeneinander zu reden ist Unsinn. Auch »Religionen« durch »Kulturen« zu ersetzen, geht fehl. Überhaupt kann keine Sammelbezeichnung für Millionen Menschen das Übel unserer Tage kennzeichnen. Denn es handeln einzelne Personen und Personengruppen, die genau beschrieben werden können und deren Religion nicht immer relevant ist. Insofern ist auch die Rede vom internationalen Terrorismus fragwürdig.
Für die Anschläge vom 11. September dieses Jahres ist nach heutiger Erkenntnis eine gut organisierte Gruppe fundamentalistisch orientierter Muslime verantwortlich, die weniger das christlich-jüdische Amerika treffen wollten als vielmehr die Weltmacht, die für viel Unfrieden und Ungerechtigkeit auch in der islamischen Welt hauptverantwortlich gemacht wird. Diese Weltmacht schlug zusammen mit europäischen Bündnispartnern mit Bomben und Raketen dort zurück, wo sie unter einem Volk von Muslimen die Urheber der Anschläge vermutete. Dass dabei dieses Volk wegen seiner (auch vom Westen mit verschuldeten) wirtschaftlichen Rückständigkeit und auch wegen seines Glaubens als minderwertig betrachtet wurde, war nicht zu übersehen. Zur selben Zeit explodierte in Israel und Palästina die Zeitbombe, weil israelische (jüdische) Hardliner und palästinensische (muslimische) Fundamentalisten keinen Schritt zurück zur Vernunft weichen wollten. Viele andere Juden und Muslime in derselben Region, die nicht in Schablonen denken, könnten Frieden schaffen, wenn sie die Macht dazu hätten.
Friede den Menschen guten Willens, lautet die christliche Weihnachtsbotschaft. Sie gilt auch im Judentum und im Islam. Und das lässt hoffen, wenn die Gläubigen Gott nicht allein lassen, sondern mit ihm Frieden schaffen.

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