Roma-Familien verlieren ihre Wohnungen
Viele Klingelschilder in der Emser Straße 92 in Neukölln sind mehrfach überklebt. Andere wiederum sind abgerissen oder durchgestrichen. »Bald ist das Haus leer«, sagt eine Nachbarin, die mit ihren Hunden vor dem Haus steht. Tatsächlich soll ein Großteil der Bewohner bis Ende August das Haus verlassen. Seit eineinhalb Jahren sind dort wohnungslose Menschen untergebracht. Die meisten sind Romafamilien aus Osteuropa. Das Jobcenter übernimmt die Kosten von 25 Euro pro Person und Tag. Doch die im Mai in Kraft getretene Zweckentfremdungsverordnung stoppte weitere Zuweisungen und die weitere Kostenübernahme.
»Dieses an sich sinnvolle und begrüßenswerte Gesetz geht hier leider in erster Linie zulasten der ohnehin schon prekären Bewohner, denen nun wieder die Obdachlosigkeit droht«, sagt Hendrik Lackus dem »nd«. Der Sozialberater engagiert sich beim Roma-Stammtisch, einem wöchentlichen Treffen auf einem öffentlichen Platz in Neukölln. Der Stammtisch wird bewusst unabhängig von staatlichen Institutionen organisiert, damit die Menschen freier über ihre Probleme sprechen können.
Bewohner der Emser Straße 92 berichteten auf dem Stammtisch, dass sie ihre Wohnungen verlassen müssen und nicht wissen, wo sie unterkommen können. Unter ihnen sind auch Familien mit Kindern, die regelmäßige medizinische Hilfe benötigen, sagt Lackus.
Vermieterin des Hauses ist Meta Seibert-Diebel. Sie hatte zunächst Zimmer an Montagearbeiter vermietet, bevor sie 2015 ihr Geschäftsmodell umstellte und Verträge mit der Sozialen Wohnungshilfe machte. »Ich will weiterhin an die Romafamilien vermieten und kann nicht verstehen, dass die nun unter die Zweckentfremdungsverordnung fallen sollen«, erklärte sie dem »nd«. Nachdem allerdings auch das Amtsgericht das Vorgehen der Behörden bestätigt habe, sehe sie zum Auszug der bisherigen Bewohner keine Alternative. Da die Ämter die Kosten nicht mehr übernehmen, würden zahlreiche Bewohner seit Monaten mietfrei wohnen. Zur Forderung der Nachbarschaftsinitiative »Emsianer«, mit den Roma reguläre Mietverträge abzuschließen, wollte Seibert-Diebel sich nicht äußern. Die bezirkliche Soziale Wohnhilfe ließ mehrere Nachfragen nach einer Stellungnahme unbeantwortet.
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