Auf der Suche nach der Stolperfalle

400 Tester sollen Schwachstellen bei der künftigen S-Bahn-Fahrzeuggeneration finden

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

382 neue S-Bahnwagen sollen zwischen Anfang 2021 und Herbst 2023 den Betrieb auf den Ringbahnlinien S 41, S 42, S 46, S 47 sowie S 8 übernehmen. Rund 900 Millionen Euro werden dafür investiert. Die Entwicklung läuft auf Hochtouren. »Bis Ende Oktober muss der Sack zugemacht werden, dann müssen die Komponenten für die Produktion bestellt werden«, sagt S-Bahnchef Peter Buchner. In den Wochen bis dahin sollen 400 Menschen das an diesem Dienstag im S-Bahnwerk Schöneweide vorgestellte Modell in Originalgröße ausgiebig getestet haben. Vertreter von Behindertenverbänden, dem Fahrradclub ADFC und auch Mitarbeiter der S-Bahn sind darunter sowie viele Fahrgäste, die sich auf einen entsprechenden Aufruf beworben hatten.

»Wir hatten über 2000 Anmeldungen«, berichtet Annekatrin Westphal, die das Fahrgastmarketing bei der S-Bahn leitet. »Um einen repräsentativen Querschnitt zu bekommen, haben wir die Menschen auch nach einem Migrationshintergrund gefragt«, sagt sie. Das hatte bei manchem für Irritationen gesorgt. Auch unterschiedliche Körpergrößen waren ein Kriterium für die Auswahl. »Woran sich eine 1,50-Meter-Person gut festhalten kann, daran stößt sich jemand, der 2,15 Meter groß ist, den Kopf«, erläutert Westphal.

19 Meter misst das täuschend echte Modell, das in wochenlanger Arbeit in den Ateliers der Babelsberger Filmstudios entstand. Während der nachgebildete Wagenkasten aus Holz gefertigt wurde, sind für die Inneneinrichtung meist Originalteile verwendet worden. Sitze, Haltestangen und -schlaufen sowie die Wagentüren sollen schließlich auf Eignung geprüft werden.

»15 Leute - 15 Meinungen«, diese Erfahrung hat Annekatrin Westphal schon bei einem kleinen Testlauf des Testlaufs gemacht. »Vor allem an der sehr kantigen Fahrzeugfront scheiden sich die Geister«, berichtet sie. Fast wie abgeschnitten wirken die Züge von vorne, mit einer großen schwarzen Frontscheibe, die an ein Smartphone erinnert. »Jüngere Leute um die 20 mögen die Front, ältere Menschen ab 55 überhaupt nicht«, so Westphal.

Für Diskussionen sorgt auch die Lackierung. Die Originalfarbtöne rot und gelb wurden etwas aufgehellt und der rote Streifen unterhalb der Fenster ist deutlich schmaler geworden. Der rote Zierstreifen unterhalb des Daches ist ganz weggefallen. »Nach 100 Jahren darf eine alte Dame auch mal ein Facelift machen«, findet die Marketingexpertin. Und doch weiß sie auch, dass jede kleine Änderung an den S-Bahnfarben stets für Empörung sorgte. Die Türen wiederum sind komplett schwarz, Sehbehinderte sollen sie dank des Kontrasts künftig leichter finden.

Vor allem geht es bei den Befragungen um die inneren Werte. Sind die Haltestangen an der richtigen Position? Gibt es Stolperfallen? So eine hat Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) bereits im Türbereich ausgemacht. »Ich glaube, die Sprechsäule im Mehrzweckabteil überlebt keine Partynacht auf der Ringbahn.« Susanne Henckel, Chefin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) gefällt dagegen die klare Aufteilung innen.

Harte Nüsse hatten die Ingenieure der Hersteller Siemens und Stadler vor allem beim Stromverbrauch zu knacken. »Die neuen Wagen sind schwerer als die alten«, sagt S-Bahnchef Buchner. Unter anderem die erstmals eingebauten Klimaanlagen und Magnetschienenbremsen sorgen dafür. Das bringt die schwach dimensionierte Fahrstromversorgung der Berliner S-Bahn an ihre Grenzen. Und so müssen die einzelnen Verbraucher - hauptsächlich Motoren und Klimaanlagen - zu bestimmten Zeiten gedrosselt werden. »Es wird eine Herausforderung, die Runde auf der Ringbahn trotzdem in 60 Minuten zu schaffen«, sagt Buchner.

Im April 2019 sollen Testfahrten mit den ersten Zügen stattfinden. Fahrgäste sollen erstmals am 1. Januar 2021 mitfahren können.

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