Landschaft oder »unberührte« Natur?
Paläoökologie wirft neues Licht auf die biologischen Grundlagen des Umweltschutzes
Dass die Natur kein Museum mit einem festen Bestand an Tier- und Pflanzenarten ist, wollen manche Umweltschützer bis heute nicht wahrhaben. Sie sind daher bestrebt, den ökologischen Status quo unter allen Umständen aufrecht zu erhalten. Dagegen zeigt die sogenannte Paläoökologie, dass die Natur in der Geschichte mehrfach gewaltigen Veränderungen unterworfen war.
Somit kann die Frage, was »die« Natur eigentlich ist, nicht schlüssig beantwortet werden. Eines allerdings halten viele Umweltschützer für unbezweifelbar: Der Mensch trägt die Hauptschuld daran, dass immer mehr Pflanzen und Tiere aus ihren angestammten Biotopen verschwinden, und dass die einst unberührte Natur immer weiter zusammenschrumpft. Was aber heißt »unberührt«? Gewöhnlich wird mit diesem Begriff der Zustand der Flora und Fauna vor Beginn der Industrialisierung beschrieben. Ein solcher Zeitschnitt ist jedoch aus ökologischer Sicht nicht begründet. Denn viele geschützte Arten, die etwa für Mitteleuropa als typisch gelten, sind hier »von Natur aus« gar nicht heimisch, sondern erst in jüngerer Vergangenheit eingewandert. Gleichwohl spricht nichts dagegen, diese Tier- und Pflanzenwelt so gut es geht zu bewahren. Umweltschutz bedeutet aber auch, dafür zu sorgen, dass historisch gewachsene Landschaften, wie in Deutschland etwa die Lüneburger Heide, in ihrer Identität erhalten bleiben. Das jedoch ist nur dann möglich, meint der Hannoveraner Geobotaniker Hansjörg Küster, wenn man gegen natürliche Prozesse verstößt und mithin »keinen Naturschutz im wahrsten Sinne des Wortes betreibt«. Tatsächlich sind die meisten Heidelandschaften durch Übernutzung entstanden, also durch Eingriffe des Menschen. Und nur durch solche können sie auf Dauer erhalten werden. Wer statt einer Landschaft hingegen die unberührte Natur schützen will, muss zulassen, dass diese sich unablässig wandelt. Im Fall des weltweit einzigartigen Wattenmeers ist ein solcher Schutz durchaus zu begrüßen. Ganz anders sehen die Dinge im Naturpark Bayerischer Wald aus. Hier habe die ungestörte Entwicklung der Flora und Fauna zwar eindrucksvolle natürliche Waldbilder hervorgebracht, sagt Küster. Von den Einheimischen würden diese jedoch mit Skepsis betrachtet, da sie nicht mit der vertrauten Identität von Wald übereinstimmten. Um herauszufinden, ob Veränderungen in der Natur auf menschliche Eingriffe zurückgehen oder einfach natürliche Schwankungen darstellen, lohnt häufig ein Blick in die Geschichte. Denn dabei ließen sich überraschende Einsichten gewinnen, schreiben Katherine Willis von der Oxford University und John Birks von der University of Bergen im US-Fachblatt »Science« (Bd. 314, S. 1261). Ein Beispiel nur: In Kambodscha haben lokale Naturschutzbehörden die Brandrodung verboten - mit der Begründung, dadurch werde die Umwandlung des einst geschlossenen Waldes in eine savannenartige Landschaft beschleunigt. Indes ergab eine Untersuchung der letzten 10 000 Jahre, dass heute in Südostasien weit weniger Feuer brennen als jemals zuvor. Der Verlust des Waldes dürfte vorrangig auf den Monsun zurückzuführen sein. Inzwischen ist mit der »Paläoökologie« eine spezielle Disziplin entstanden, die das Wechselspiel von Umwelt, Klima und Mensch im Verlauf der Erdgeschichte erforscht. So kann man etwa durch die Analyse von Pollen aus verschiedenen Ablagerungsschichten feststellen, seit wann bestimmte Pflanzenarten in bestimmten Regionen heimisch sind, und ob ihre Ansiedlung mit oder ohne Hilfe des Menschen erfolgt ist. Damit nicht genug sind manche Paläoökologen bestrebt, aus der Wechselwirkung von Klima und Umwelt in der Geschichte den künftigen Einfluss des Klimas auf die Biosphäre zu prognostizieren. Stichwort: Treibhauseffekt. Durch die globale Erwärmung dürften sich die Verbreitungsgrenzen zahlreicher Arten erheblich verschieben. Doch welche Pflanzen und Tiere wären von einem solchen Geschehen besonders betroffen? Und wo sollte im Notfall der Mensch schützend eingreifen? Auch hier ist laut Willis und Birks die Paläoökologie gefordert. In Südskandinavien beispielsweise haben Forscher unlängst die Ausbreitung von Fichte und Buche nach der letzten Eiszeit untersucht. Ergebnis: Während die Fichte der »unberührten« klimatischen Entwicklung gefolgt ist, war die Buche auf Waldbrände und die Unterstützung des Menschen angewiesen - eine Tatsache, die bei einem ...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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