Der Bauchnabel der Pharaonin

Kleopatra - eine Ausstellung in Hamburg zeigt, wie sie wirklich war und aussah

  • Ronald Sprafke
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.
»Sie fesselte die zwei größten Römer ihrer Zeit und nahm sich wegen des dritten das Leben.« (Cassius Dio, 51,15,2-4)
Gottkönigin und exotische Schönheit, Femme fatale und Geliebte, Mutter und königliche Hure - eine Frau, deren Leben Anlass für zahlreiche Legenden und Skandalgeschichten war und Vorlagen bot für Dramen, Opern, Gemälde, Filme: Kleopatra VII., letzte Königin des ägyptischen Ptolemäerreiches. Drei Männer sollten in ihrem Leben eine entscheidende Rolle spielen, wie auch sie in deren Leben.
Als Kleopatra im Jahre 51 v. Chr. zusammen mit ihrem Bruder Ptolemaios XIII. den Thron besteigt, gehören Griechenland und Kleinasien schon zum römischen Reich. Lediglich das reiche Ägypten hat sich noch eine relative Unabhängigkeit bewahrt. In die folgenden Machtkämpfe zwischen Schwester und Bruder greift Rom ein und schickt Caesar nach Alexandria. Die erste Begegnung zwischen Caesar und Kleopatra ist legendär: In einen Teppich gerollt wird sie zu ihm in den Palast getragen. Eine junge Frau, eine Herrscherin, ein Königreich liegen ihm zu Füßen. Der Römer beendet den Krieg zu ihren Gunsten. Der Bruder stirbt in den Kämpfen, ihr jüngster Bruder wird als Ptolemaios XIV. inthronisiert. Beide Seiten sind zufrieden. Caesar hat Ägypten quasi über Nacht für Rom erobert.
Kleopatra kann die Dynastie sichern, denn im September 47 wird Kaisarion geboren, den Caesar zwar als leiblichen Sohn anerkennt, nicht aber als offiziellen Erben. Kleopatra folgt ihm mit Sohn und Bruder nach Rom und wohnt als »regina amica populi Romani«, als befreundete Königin des römischen Volkes (in Wirklichkeit als Klientelkönigin) in Caesars Privathaus. Die Verschwörung in den Iden des März 44 beendet ihr Verhältnis abrupt. Kleopatra kehrt überstürzt nach Alexandria zurück. Ptolemaios XIV. stirbt, man munkelt von Gift und ihrer Mitschuld. Denn Kaisarion wird, kaum dreijährig, als Ptolemaios XV. neuer Pharao an der Seite seiner Mutter. In Rom tobt derweil der Machtkampf zwischen Octavian und Marcus Antonius. Letzterer befielt die Königin zu sich. Sie empfängt ihn als Göttin Isis, bekleidet nur mit goldener Krone, Perlenkette, Perlenkollier und Perlentanga. Marcus Antonius wird schwach und Kleopatra schwanger. 40 v.Chr. werden die Zwillinge Alexander Helios und Kleopatra Selene geboren. Vier Jahre später trennt Marcus Antonius sich von seiner Gemahlin Octavia, Kleopatra gebiert ihm einen weiteren Sohn, Ptolemaios Philadelphos. Als Caesars Adoptivsohn Octavian rechtswidrig bekannt macht, dass Marcus Antonius laut seinem Testament in Alexandria neben Kleopatra bestattet werden wolle, ist der Skandal perfekt, und Rom erklärt beiden den Krieg. Octavian erzwingt die Entscheidung im September 31 in der Seeschlacht von Actium und besiegt die ägyptisch-römische Flotte. Als er im Folgejahr in Alexandria einrückt, stürzt sich Marcus Antonius in sein Schwert. Und als Kleopatra erfährt, dass Octavian sie »als vornehmste Zierde seines Triumphes« in Rom vorführen will (Plutarch Antonius 78), beendet auch sie im August 30 v. Chr. ihr Leben durch Selbstmord. Der Biss der Uräusschlange, einer Kobra, in Arme oder Brust ist gleichfalls Legende. Ihren Sohn und Mitkönig Ptolemaios XV. Kaisarion lässt Octavian ermorden. Das Ende der Ptolemäerdynastie ist besiegelt. Das ägyptische Großreich existiert nicht mehr, wird Provinz.
Nach über 2000 Jahren nahm sich wieder ein Mann ihrer an: Bernard Andreae, Archäologe und ausgewiesener Spezialist für hellenistische und römische Plastik. Er stellt eine Verbindung her zwischen der ägyptischen Königin und der berühmten »Venus vom Esquilin«. 1874 wurde in Rom auf dem Esquilin die knapp lebensgroße Marmorstatue einer jugendlichen Frau gefunden. Bis auf eine Stoffbinde im Haar und Sandalen ist sie unbekleidet. Beide Arme sind am Schulteransatz abgebrochen. Die erhaltenen Finger der linken Hand halten den Haarknoten umfasst. Die Rechte hielt einst die Enden der um den Kopf geschlungenen Stoffbinde. Ihr Gewand hängt über einer neben ihr stehenden Vase. Um die Vase windet sich eine Uräusschlange.
Diese Statue hat nun zum ersten Mal den Konservatorenpalast der Kapitolinischen Museen in Rom verlassen und ist glanzvoller Mittelpunkt der Ausstellung in Hamburg. Schon 1955 hatte der Philologe Licinio Glori diese Statue mit Kleopatra in Verbindung gebracht, war aber in der Fachwelt auf Ablehnung gestoßen. Nun nimmt Andreae diese Identifizierung wieder auf. Wie sah Kleopatra aus?
Münzbildnisse zeigen einen rundlichen Kopf mit Doppelkinn und Adlernase. Die Nasenform ist aber auf die Physiognomie ihres Vaters Ptolemaios XII. zurückzuführen. Die Münzbilder beweisen lediglich ihr Bestreben, die große Tradition des ptolemäischen Königshauses fortsetzen zu wollen.
Andreae nun zeigt durch detaillierte Beobachtungen, dass die Statue nicht die ideale Schönheit hellenistischer Göttinnenstatuen aufweist: Ein kurzer Oberkörper steht einem langen Unterkörper gegenüber. Etwas zu breite Oberschenkel gehen in schmale Unterschenkel über. Die kleinen weit auseinanderstehenden Brüste zeigen nicht die typischen vollen Brüste griechischer Liebesgöttinnen. Der große, tief ausgehöhlte Bauchnabel weist auf ägyptische Darstellungen hin. Ein in Berlin aufbewahrter und mit Kleopatra sicher identifizierter Porträtkopf zeigt einen Frisurtyp und charakteristische Züge von Mund und Lippen, die auch bei der Statue zu beobachten sind. Eine weitere Besonderheit: Die doppelte Falte auf dem Unterleib oberhalb des Schamhügels, feine, aber deutlich erkennbare Hautlinien. Mediziner sprechen von der Gebärfalte, ein Anzeichen, dass die Frau ein Kind geboren hat. Bei keiner griechischen oder römischen Göttin ist eine derartige Hautmodellierung bekannt. Schließlich die Vase für das Badewasser. Es ist eine ägyptische Balustervase mit einem Palmblattdekor. Die Uräusschlange auf der Vase gilt als Machtsymbol des ägyptischen Pharao. Caesar weihte 46 v. Chr. auf seinem Forum den Tempel der Venus Genetrix mit einer Kultstatue der römischen Göttin. Appian berichtet im 2. Jahrhundert: »Caesar ließ zur Seite der Göttin Venus ein schönes Bild der Kleopatra aufstellen.« (Appian, Bella civilia 2, 102)
Andreae kommt letztlich zu dem Schluss, dass die Marmorkopie die jugendliche Königin als Venus-Isis in göttlicher Nacktheit darstellt. Sie verkörpert ein ägyptisches Schönheitsideal, zeigt dabei individuelle Gesichtszüge der Königin und weist propagandistisch auf ihre Mutterschaft zu Caesars einzigem Sohn hin.
Mag man die Identifizierung der Statue mit Kleopatra nun unterstützen oder ablehnen, die Ausstellung ist noch aus einem anderen Grund sehenswert. Andreae ist es gelungen, Ahnen, Familienmitglieder, Freunde und Feinde der Königin in Porträts und Statuen zum ersten Mal zu einem eindrucksvollen Kreis um die Statue zu versammeln. Eine Statue aus Rosengranit zeigt Alexander den Großen in Gestalt eines ägyptischen Pharaos, die einzige bekannte Darstellung dieses Typs. Zum ersten Mal vereint sind die drei sicher mit Kleopatra verbundenen Porträtköpfe aus der Antikensammlung Berlin, den Vatikanischen Museen und einer französischen Privatsammlung.
Eine weitere Sensation in dieser Ausstellung ist ein kleines Kalksteinköpfchen. Andreae fand es in einem Museum in Haifa (Israel) und identifizierte es mit Marcus Antonius. Das Besondere: Octavian verhängte nach dessen Selbstmord die damnatio memoriae über ihn. Sein Name wurde ausgelöscht, seine Statuen umgestürzt, seine Porträts vernichtet, und zwar gründlich. Ausgestellt ist in Hamburg das einzige erhaltene Bildnis. Und erstmals werden in einer Ausstellung die Bildnisse aller vier Kinder Kleopatras um ihre Mutter herum vereint. Darunter eine kleine Bronzestatue, die erst 2001 in einem Schiffswrack vor Cap d'Agde an der französischen Mittelmeerküste gefunden wurde und Alexander Helios darstellt.
Die Exposition bietet eine spannende Argumentationskette, vorgestellt in einer spektakulären Umgebung, in der sich jeder Besucher sein eigenes Bild von Kleopatra formen kann - mit einer Statue im Mittelpunkt, sinnlich schön und immer noch ein wenig geheimnisvoll. Aber möchte nicht jede Frau ihr kleines Geheimnis bewahrt wissen?

»Kleopatra und die Caesaren« im Bucerius Kunst Forum Hamburg, Rathausmarkt 2; bis zum 4. Februar, tägl. 11 - 19 Uhr,...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.