Putins riskantes Poker im US-Wahlkampf

Doppelstrategie des russischen Präsidenten zwischen Spannungseskalation und Gesprächsbereitschaft

  • Elke Windisch, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

Dieser Tage drohte der scheidende US-Präsident Barack Obama angesichts der Entwicklungen in Syrien mit neuen Sanktionen gegen Moskau. Dafür hatten sich zuvor trotz allen sonstigen Differenzen auch seine potenziellen Nachfolger ins Zeug gelegt: Die Demokratin Hillary Clinton und ihr republikanischer Gegenspieler Donald Trump.

Moskau keilte umgehend zurück. Die USA wollten die Beziehungen zu Russland »endgültig zerstören«, rügte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow bei einer Anhörung im Senat und drohte dunkel mit »asymmetrischer Antwort«. Das Außenamt habe mögliche Gegenmaßnahmen bereits sondiert. Welche, blieb unklar. Eine Gruppe von Abgeordneten, die mit Mandat der Kremlpartei »Einiges Russland« in der Duma sitzt, kann sich sogar die Aufkündigung des START-3-Abkommens zur Begrenzung strategischer Angriffswaffen vorstellen.

Forscher vom Moskauer USA-Kanada-Institut waren entsetzt. Russland würde sich ins eigene Fleisch schneiden. Bei Obergrenzen von jeweils 800 Interkontinentalraketen und 1500 Kernsprengköpfen pro Seite müsste Washington bis 2020 real abrüsten, Moskau indes könnte alte Systeme durch neue, moderne ersetzen. Beide Seiten werfen der jeweils anderen inzwischen sogar vor, als erste, wenn auch nur hypothetisch, die Möglichkeit eines Dritten Weltkriegs ins Spiel gebracht zu haben.

Die immer schrilleren Töne seien Teil von Präsident Putins Doppelstrategie für den »Zwang zum Frieden«, glaubt der einflussreiche Kolumnist Michail Rostowski. Um den neuen Präsidenten in Washington noch vor der Amtseinführung die Möglichkeit aus der Hand zu schlagen, die Spannungen weiter eskalieren zu lassen, gehe der Kremlchef auf der Zielgeraden des US-amerikanischen Wahlkampfs selbst bis hart an die Grenze zum heißen Krieg. Parallel dazu signalisiere er jedoch Gesprächsbereitschaft.

Es handle sich dabei um inoffizielle Signale, die von einem alten Freund aus gemeinsamen KGB-Tagen kommuniziert würden. Putin, so Rostowski, habe Sergej Iwanow zwar kürzlich als Chef der Kremladministration entlassen, vertraue ihm indes nach wie vor und setze ihn als Offizier zur besonderen Verwendung und Überbringer sensibler Botschaften ein. In der Tat: In dem großen Interview, das Iwanow kürzlich der »Financial Times« gab, ging es um Russlands Rolle in der internationalen Politik. Und die gehört nicht zu den Kompetenzen eines Sonderbeauftragten des Präsidenten für Umwelt und Verkehr, wie Iwanows offizieller Titel derzeit lautet. Iwanow setzte sich in dem Interview vor allem mit dem Verhältnis Russland-USA auseinander. Kerngedanke: Der im Wahlkampf aufgewirbelte antirussische Staub werde sich nach der Amtseinführung von Obamas Nachfolger legen, danach werde Pragmatismus die Oberhand gewinnen. Moskau sei immer bereit zu einer Politik, die auf Realismus basiere.

Allein das mache klar, dass Clinton trotz sonstiger Vorbehalte für Moskau das kleinere Übel ist. Sie, glaubt Kolumnist Rostowski, sei die eigentliche Adressatin von Putins inoffiziellen Signalen, als Hardcore-Politikerin jedoch eine sehr viel härtere Nuss als der Politneuling Trump. Dazu komme, dass in Russland das Parlament nur Dekoration ist, in den USA dagegen reale Gestaltungskompetenz hat. Und gegen die republikanische Mehrheit könne auch Clinton im Falle eines Sieges nicht regieren.

Moskaus Doppelstrategie sei daher ein Hochrisiko-Unternehmen, aber alternativlos. Einzige Alternative, glaubt Rostowski, wäre Russlands geordneter Rückzug von allen »geopolitischen Fronten«. Das sei jedoch mit Putin nicht zu machen. Gehe seine Rechnung dennoch auf, könne er einen weiteren außenpolitischen Sieg einfahren. Wenn nicht, werde es kritisch. Auch sei viel Geduld nötig, um das Konfliktpotenzial zu entschärfen, das sich in den letzten Jahren angehäuft hat und nicht nur das russisch-amerikanische Verhältnis, sondern insgesamt den Weltfrieden gefährde.

Das ist kein bisschen übertrieben. Sanktionen und Gegensanktionen, mit denen sich Moskau und Washington lange vor Beginn der Ukraine-Krise überzogen, sind nur Symptome der bisher gefährlichsten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Ihre Ursachen liegen in einander ausschließenden geopolitischen Konzepten. Ausgerechnet Obama, mit dem Moskau gleich nach dessen Wahl 2009 den Neustart der Beziehungen aushandelte, bekannte sich deutlicher als seine Vorgänger zu einer von den USA dominierten unipolaren Welt. Putin dagegen legt sich seit Machtantritt vor 16 Jahren für Rückkehr zu einer Welt mit mehreren Schwerkraftzentren wie zu Zeiten der Blockkonfrontation ins Zeug. Das Gleichgewicht des Schreckens und klar definierte Einflusszonen der beiden Supermächte, so argumentieren selbst kritische Außenpolitik-Experten in Moskau, hätten Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die längste Friedensperiode der jüngeren Geschichte beschert und die Supermächte zu effizientem globalen Krisenmanagement gezwungen.

Erschwerend bei der jetzt dringend erforderlichen De-Eskalation kommt hinzu, dass weder Russland noch die USA Europa als ebenbürtig und damit als potenziellen Mediator wahrnehmen.

Auch stört Moskau, dass die dezidiert pro-amerikanischen Osteuropäer in NATO wie EU zunehmend den Ton angeben. Groß ist die Enttäuschung vor allem über Deutschland. Als Gegenleistung für Kompromissbereitschaft bei der Wiedervereinigung hatte Moskau sich »besondere Beziehungen« erhofft.

Unterdessen hat Putin den von Washington erhobenen Vorwurf einer Einmischung in den laufenden Präsidentschaftswahlkampf als »Hysterie« und »Manipulation der öffentlichen Meinung« bezeichnet. Der Präsident wies in einer Rede in Sotschi die Verdächtigungen zurück, Russland habe Cyberangriffe auf US-Institutionen verübt. »Unsinn« nannte Putin die Behauptung, er wünsche sich Trump als Wahlsieger.

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