Und plötzlich ist der Kopf ab ...

In der Kindergalerie des Bode-Museums können Skulpturen auch mal zerlegt werden

  • Lydia Nehring
  • Lesedauer: 3 Min.
Der kleine Junge steht im Bode-Museum vor einer hölzernen Skulptur in fließendem Gewand, die schon recht alt zu sein scheint. Mit schräg gehaltenem Kopf mustert er die Figur. Plötzlich streckt er die Hände aus und ergreift den Kopf des Mannes, um ihn von den Schultern zu trennen.
Der Albtraum aller Eltern, die mit ihrem Nachwuchs die hehren Hallen der Kunst betreten? Schon möglich, im Bode-Museum jedoch kein Grund zur Panik. Denn die Figur ist eine Scheiben-Skulptur, die nur darauf wartet, in ihre Einzelteile zerlegt zu werden. Sie steht in der Kindergalerie, die sich seit 1974 im Bode-Museum befindet. Im Rahmen der Generalsanierung des Hauses wurde auch dieser Ausstellungs- und Werkraum neu gestaltet. Nun lädt er neugierige Gäste ein, in der Schau »Von Kopf bis Fuß - Proportion und Bewegung« auf Entdeckungsreise zu gehen. Spezielle Führungen und museumspädagogische Aktivitäten wie Malen, Töpfern, Collagieren und Schnitzen ergänzen das Angebot.
Schon am Eingang des Raumes, der in der unteren Etage hinter einem Saal für romanische Exponate liegt, gerät der Betrachter ins Grübeln. Denn die vier Seiten eines eckigen, mannshohen Turmes zeigen merkwürdige Bilder. Da trägt ein bärtiger Prophet ein rötliches Kleid, während der Körper einer blonden Frau ziemlich männlich wirkt. Doch schnell gehen kleine Kenner ans Werk und drehen die verschiedenen Ebenen des Turmes, bis sie die »Maria der Verkündigung«, die »Personifikation einer Tugend«, den »Propheten« und die Proportionsstudien von Albrecht Dürer in Gänze bewundern können.
Anschließend betreten sie den hellen Raum mit orangefarbenem Interieur, der nicht sehr groß ist, jedoch voller Anregungen zur Proportionslehre steckt. So kann man auf einer Plexiglaswand die Körperkonturen seines Gegenübers vom Kopf bis zu den Füßen nachzeichnen. Alte Streitigkeiten lassen sich auf diesem Weg aus der Welt schaffen, denn nebeneinanderstehende Konturen beweisen, wo der größere Kopf oder die längeren Arme gewachsen sind. Wer häufig vor sich hinzappelt, ohne es zu bemerken, sollte eine grüne, orangefarbene oder graue Stoffhülle überstreifen. Diese umschließt den Körper und zeigt deutlich seine Umrisse, so dass Bewegungen plötzlich stärker wahrgenommen werden. Außerdem sind Nischen vorhanden, in denen besondere Haltungen von Kunstmodellen nachempfunden werden können.
Ein hölzernes Podest, das mit einer speziellen roten Farbe gestrichen ist, widmet sich abermals dem spielerischen Vergleichen. Denn wo die Besucher ihre Finger, Beine oder ganzen Körper hinlegen, entstehen helle Abbildungen, welche die verschiedenen Formen und Längen deutlich werden lassen.
Bewegliche Holzpuppen und Skulpturen aus dem 15. bis 17. Jahrhundert vervollständigen die sinnliche und zugleich informative Ausstellung für die jüngsten Museumsgäste. Dass auch Erwachsene auf ihre Kosten kommen, beweisen zwei junge Frauen, die mit einem leisen Schmunzeln feststellten: »In der Kindergalerie gefällt es uns am besten.«

Kindergalerie im Bode-Museum, Ausstellung »Von Kopf bis Fuß« bis auf weiteres, Besuchereingang Monbijoubrücke, Öffnungszeiten: Mo. bis Mi. und Fr. bis So. 10-18 Uhr, Do. 10-22 Uhr. Tel.: 20 90 55 77
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