Sticken und Lästern

Eine Holländerin betreibt in der Kreuzberger Wrangelstraße erstes Nähcafé Berlins

Weil Sylvia Hellinger keine Lust hatte, die Gebrauchsanweisung zu lesen, sitzt sie jetzt in dem kleinen Laden an der Wrangelstraße. Sie hat einfach ihre Maschine mitgebracht und gehofft, Linda hilft weiter. Und genauso war es. Die junge Schneiderin kennt sich bestens aus mit Nähmaschinen und konnte der Anfängerin schon einiges beibringen. »Inzwischen bin ich Stammgast und arbeite an meinem ersten Projekt«, erzählt die Kreuzbergerin stolz.
Kurzfristig will Sylvia Hellinger ein kunterbuntes Kleid mit langen Ärmeln für ihre kleine Tochter fertig haben. Hinter ihr sitzt Daniela Scherler - ebenfalls eine Kreuzbergerin, die schon sicher mit Nadel und Faden umgeht. Aber ihre Gardinen näht sie nicht zu Hause, sondern in Berlins erstem Nähcafé. Dass sie beim Nähteziehen noch etwas zum Trinken von Linda Eilers serviert bekommt und mit anderen plaudern kann, hält sie für eine gute Idee.
Seit zwei Monaten gibt es das »Stitch 'n Bitch« (Stick und lästere) im Norden Kreuzbergs. Aber nur, weil die Holländerin Linda in ihrer Heimatstadt Utrecht nicht das passende Geschäft fand. »Dort sind die Mieten und auch die Auflagen an Unternehmensgründer viel höher«, sagt die 29-Jährige. Schwergefallen sei ihr der Umzug überhaupt nicht. »Hier ist es toll, die Leute sind kreativ und aufgeschlossen für Neues«, schwärmt sie. Deshalb will sie auch für immer bleiben.
Das freut vor allem diejenigen, die schon jetzt einmal oder mehrmals die Woche den Laden nutzen. Anzumelden braucht sich niemand. Jeder, der vorbeikommt, kann sich an einen Tisch setzen und losnähen. Für fünf Euro pro Stunde gibt es noch Hilfe und gute Ratschläge der Betreiberin sowie eine Tasse Kaffee oder Tee. »Mein Vorbild waren Internetcafés«, sagt die Holländerin. Statt Computer platzierte Linda allerdings zehn Nähmaschinen auf fünf langen Sperrholz-Tischen. Direkt am Fenster steht ihre »Profi-Maschine«, an der sie oft sitzt und praktisch ihre eigene Schaufensterpuppe mimt.
Die Menschen, die stehen bleiben, interessieren aber vor allem die verschiedenen Taschen, die als kleine Ausstellung hinter den Scheiben hängen. Linda hat sie genäht. Und auch schon Kunden geholfen, abgetragene Stücke frisch zu designen. Besonders junge Männer kämen mit »Aufpepp-Wünschen«. So verwandelte die Holländerin beispielsweise gemeinsam mit einem Kreuzberger eine weite Hose aus der »Zweiten Hand« zu einem Röhren-Designer-Stück. Manche wollen sich auch nur einen neuen Reißverschluss einnähen, Knöpfe befestigen, irgendein Teil kürzen, Kissenbezüge fertigen oder die Grundlagen des Nähens erlernen. »Ich helfe den Leuten, individuelle und preiswerte Klamotten zu nähen«, sagt Linda Eilers. Schließlich liege Selbermachen im Trend.
Sie entwirft gerade eine eigene Jeanskollektion. Schon als Kind sei sie vom Nähen fasziniert gewesen und schaute sich viel von ihrer Mutter ab, die auch Schneiderin war. Mit sechs Jahren zeichnete sie Schnittmuster für Puppenkleider. Die meisten Sachen, die sie anhat, stammen aus eigner Produktion. Nächstes Jahr soll es bei »Stitch ´n Bitch« regelmäßig Nähkurse geben: Für Anfänger und Fortgeschrittene. Die können dann unter anderem probieren, wie ein Korsett entsteht.

Nähcafé, Wrangelstraße 80 in Kreuzberg. Geöffnet ist dienstags bis sonntags ...

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