Ein Bärendienst für die LINKE
Ellen Wesemüller fehlt die feministische Bürgermeisterkandidatin
Der Schock über den Verlust von Evrim Sommer als Politikerin sitzt auch fünf Tage nach ihrer Wahlniederlage tief. Unbenommen, dass ihre Angaben im Abgeordnetenhaushandbuch missverständlich waren, sie selbst hat es zugegeben. Auch wenn die Art und Weise, wie sie es geschrieben hat, für jeden geübten Lebenslaufschreiber und -leser Signal hätte sein müssen, dass Sommer eben noch nicht fertig ist mit ihrem Studium, sonst stünde da kein Zeitraum, sondern das Datum samt Abschluss.
Brutal ist, dass gleichzeitig mit der Frage, ob diese Angaben ehrenrührig waren, die Frage beantwortet wurde, ob Sommer eine geeignete Bürgermeisterin abgegeben hätte. Dass die AfD nun feiert, ist naheliegend, wenn auch schizophren: Denn eine korrekt angegebene, da fertig ausgebildete Geschlechterforscherin wäre ihnen sicherlich nicht lieber gewesen.
Die LINKE hat sich mit ihrem Abstimmungsverhalten einen Bärendienst erwiesen. Um das zu erkennen, hätte sie die Messlatte für das Amt allerdings höher hängen müssen als das Kriterium eines nach neun Jahren abgeschlossenen Bachelorstudiums anzulegen. Sie hätte fragen müssen, ob Sommer als Migrantin, Feministin und Linke eine geeignete Kandidatin wäre, die zuhören, sich positionieren und dafür kämpfen kann, ihren Worten Taten folgen lassen. Sie hätte fragen müssen, ob es nicht politisch klug wäre, Sommer als erste Bezirksbürgermeisterin mit Migrationshintergrund einen Ort regieren zu lassen, in dem das AfD-Personal selbst für deren Verhältnisse weit rechts außen steht.
Inhaltliche Kritik an Sommer hätte früher und konsequenter vorgebracht werden müssen: als sie zur Spitzenkandidatin gewählt wurde. So aber sind alle beschädigt: Sommer, die Linkspartei und Lichtenberg, dem ein Neuanfang mit einer linken Bürgermeisterin gut zu Gesicht gestanden hätte. Wer sich nun weiterhin innerparteilichen Scharmützeln hingibt, hat den Ernst der Lage nicht verstanden.
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