»Ein stumpfes Schwert gegen Verdrängung«

Politiker und Akteure diskutieren Fragen der Wohnungspolitik im Zeichen von Rot-Rot-Grün

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Koalitionsvertrag werde »den eigentlichen Problemen nicht gerecht«, eine durchgreifende Strategie gegen den strukturellen Wohnungsmangel in der Hauptstadt sei nicht erkennbar. So lautet die pessimistische Einschätzung von Joachim Oellerich, Chef der Berliner Mietergemeinschaft, zu den Ergebnissen der rot-rot-grünen Verhandler. »Die privaten Immobilienunternehmen werden außerhalb des Hochpreissektors nicht nennenswert bauen und angesichts der Finanzmarktlage auch keine mit Sozialbindungen verbundenen Fördergeldern in Anspruch nehmen«, sagt der für seine deutlichen Worte bekannte Oellerich,

Man könne der erwarteten Bevölkerungsentwicklung der Hauptstadt »niemals vollständig hinterherbauen«, sagt die designierte Bausenatorin Katrin Lompscher (LINKE). Daher strebe man Kooperationen mit Brandenburg für eine Gesamtentwicklung der Hauptstadtregion an. All das brauche Zeit.

Es ist keine Kuschelveranstaltung, zu der die Hermann-Henselmann-Stiftung geladen hat, die sich Fragen der Architektur und des Städtebaus unter sozialen, ästhetischen und gesellschaftspolitischen Aspekten widmet. Die Wohnungspolitik nach der Wahl ist Schwerpunkt der gut besuchten Veranstaltung am Montagabend.

In den Koalitionsvertrag der künftigen Landesregierung schrieben SPD, LINKE und Grüne den Ausbau der sozialen Wohnraumversorgung durch ein ambitioniertes Neubauprogramm sowie Ankäufe der städtisches Wohnungsbaugesellschaften. So sollen die städtischen Gesellschaften in den kommenden fünf Jahren 30.000 Wohnungen bauen und 25.000 weitere erwerben, von denen mindestens 50 Prozent im unteren Preissegment angeboten werden sollen. Auch der Mieterschutz soll ausgeweitet werden, unter anderem durch mehr Milieuschutzgebiete und weitere Deckelung von Mieterhöhungen im kommunalen Wohnungsbestand.

Der Milieuschutz bleibe in seiner jetzigen Form »ein stumpfes Schwert gegen Verdrängung«, sagt Oellerich. Zudem sei nicht erkennbar, dass sich der künftige Senat im »Neubauverhinderungsdiskurs« eindeutig positioniere, der mit dem Tempelhof-Volksentscheid in der Stadt entfacht worden sei.

Auch SPD-Bauexperte Volker Härtig betrachtet den Koalitionsvertrag mit einer gewissen Skepsis, denn dieser habe »viele blinde Flecken«. Der Anteil städtischer und genossenschaftlicher Wohnungen am Gesamtbestand betrage weniger als ein Viertel. Die Mieter in den städtischen Gesellschaften »können sich sicherlich freuen, aber was ist mit dem Rest?« Er vermisse vor allem konkrete Zielvorgaben für den gesamten Neubau. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage klaffe immer weiter auseinander. Den Bedarf beziffert Härtig auf mindestens 250.000 neue Wohnungen in den kommenden zehn Jahren. Neben Nachverdichtung müsse die Erschließung neuer Siedlungsgebiete hohe Priorität haben. Dass der Standort Elisabeth-Aue in Pankow aufgegeben wurde, sei in dieser Hinsicht kein gutes Signal, zumal dieser Standort weitgehend erschlossen sei.

Lompscher sagt, niemand dürfe »erwarten, dass man die aufgetürmten Probleme auf dem Wohnungsbau in einer Wahlperiode lösen kann«.

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