Eine Straße für Helmut Schmidt

Mit der Ehrung des Alt-Kanzlers präsentiert die Stadt Bernau gewachsenes Selbstbewusstsein

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist schon ein wenig irritierend, wenn man aus Bernau (Barnim) kommend von der Schönower Chaussee in die Pappelallee abbiegt und in der Helmut-Schmidt-Allee landet. Das ist seit Donnerstag so. Amtsmitarbeiter haben begonnen, die bisherigen Straßenschilder mit roten Streifen quer zu überkleben und darüber die neuen Schilder anzubringen. Am frühen Nachmittag erscheint dann Bürgermeister André Stahl (LINKE) und sanktioniert die Aktion mit der Autorität seines Amtes.

Offiziell tritt die Neuregelung nach Angaben der Stadtverwaltung erst zum 1. Januar in Kraft. »Wir haben die Schilder aber schon jetzt aufgehängt, so können sich die Leute schon mal daran gewöhnen«, sagt Stadtsprecherin Cornelia Fülling dem »nd«.

»Helmut Schmidt hatte, was viele nicht wissen, sehr wohl einen persönlichen Bezug zu Bernau. Er war hier im Zweiten Weltkrieg zeitweilig stationiert«, erläutert André Stahl. Die Pappelallee in Schönow habe man ausgewählt, weil Schmidts Familie längere Zeit dort gelebt habe.

»Die Schmidts haben vor Kriegsende in Schmetzdorf, das zu Schönow gehört, in einem Zimmer in einer alten Schnitterkaserne gewohnt«, ergänzt seine Sprecherin. Das erste Kind der Familie sei dort geboren worden. Der Junge - Helmut Walter - starb allerdings kurz nach seiner Geburt im Februar 1945 und wurde in Schönow beigesetzt.

Im Krieg diente Helmut Schmidt als Luftwaffenoffizier bei der Fliegerabwehr. Dann wurde er ins Reichsluftfahrtministerium als Referent für Ausbildungsvorschriften in der leichten Flak-Artillerie versetzt. Nach einem Bombenangriff wurde seine Dienststelle nach Bernau verlegt. Seine Frau Loki war nach der Bombardierung Hamburgs Anfang 1944 erst in Berlin und dann in Schmetzdorf untergekommen.

Helmut und Loki Schmidt seien 1983, also zu DDR-Zeiten, am Grab in Schönow gewesen. Nach dem Tod von Loki Schmidt sei das Grab eingeebnet und der Grabstein im Garten von Schmidts Haus in Hamburg aufgestellt worden. Die Konifere, die auf der Grabstelle gewachsen war, sei auf Lokis Wunsch stehen geblieben.

Die Bernauer Stadtverordneten hatten sich im Frühsommer dieses Jahres - Helmut Schmidt war 2015 im Alter von 96 Jahren gestorben - mehrheitlich für die Umbenennung der Straße entschieden. Schmidt sei »einer der bedeutendsten Politiker der Nachkriegszeit« gewesen, hieß es zur Begründung. Mit der Straßenumbenennung solle seine besondere Lebensleistung gewürdigt werden.

Die Allee, mit der die Stadt den populären Altkanzler ehrt, ist alles andere als stattlich. Sie hat nur 111 Anwohner, und es sind dort 36 Gewerbe angemeldet. Doch sie führt am großzügig erschlossenen Gewerbegebiet im Ortsteil Schönow vorbei, mit dessen Weiterentwicklung Bernau große Hoffnungen verbindet. Mit mehr als 60 Prozent Auslastung hat das 23 Hektar große Areal noch genügend Potenzial. Der Name Helmut Schmidt steht also auch für Stabilität und Zukunftszugewandtheit.

Bernaus Bürgermeister strahlt Selbstbewusstsein aus. Die Stadt wachse seit zwei Jahren endlich wieder, 2015 hatte sie fast 37 200 Einwohner. »Wir werden in diesem Jahr ein Bevölkerungswachstum von rund zwei Prozent haben«, sagte Stahl bei einem Gespräch zum Jahresausklang. Bernau entwickle sich erfolgreich als landesweit anerkannter Gesundheitsstandort weiter und arbeite als Ausgangs- und Endpunkt von täglichen Pendlerströmen im nördlichen Umland von Berlin an der Verbesserung seines Nahverkehrsnetzes. Vor allem gehe es um eine verlässliche Verdichtung der Takte der Buslinien nach Wandlitz, Ahrensfelde und Biesenthal. Man profitiere nicht nur im Ausflugstourismus auch sehr von der wald- und gewässerreichen Umgebung, so der Bürgermeister. Wohnen im Grünen sei nicht nur für Berliner interessant. Das zeige sich beispielsweise an der Entwicklung des Ortsteils Waldfrieden mit der Brandenburg-Klinik auf dem Gelände der ehemaligen Wohnsiedlung des SED-Politbüros (»Wandlitz«). »Waldfrieden hat sich zu einem richtigen Highlight entwickelt, rund 1000 Menschen wohnen dort inzwischen - zuzüglich zu den Patienten der Klinik.«

Stolz ist der Bürgermeister auf den ausgeglichenen Haushalt seiner Stadt, den die Stadtverordnetenversammlung verabschiedet habe. Und man habe wie vorgesehen noch in diesem Jahr das größte Wohnungsbauvorhaben in Angriff genommen.

»Bernau wird in den Jahren 2015 bis 2020 insgesamt 2500 Wohnungen bauen, so haben wir es beschlossen«, sagt André Stahl. »Pünktlich am 23. November haben wir am Schönfelder Weg den Grundstein für den ›Panke Bogen‹ und damit für den Bau von rund 600 modernen Wohnungen auf einem ehemaligen Militärgelände gelegt.«

Es geht um das ehemalige »Reichsheeresbekleidungsnebenamt«, dessen gewaltige Klinkerbauten entlang der Straße künftig auch Platz für aufwendige Appartements und Lofts bieten werden. Das Areal war nach dem Krieg von der Sowjetarmee genutzt worden und stand seit dem russischen Truppenabzug leer.

Noch nicht ausgestanden sind die Auseinandersetzungen um die Finanzierung der Bodensanierung - das Grundwasser ist hoch belastet und steht bislang der Entwicklung des ebenfalls geplanten »Panke-Parks« entgegen. Der Bürgermeister ist mit den Miteigentümern, der Deutschen Bahn und der Bodengesellschaft, im Gespräch, um Fördermittel für die auf mehrere Jahre angelegte Bewältigung dieser Aufgabe zu erstreiten.

Ein ebenso ehrgeiziges Projekt wird der geplante Bau des neuen Rathauses. Die Stadt beschäftigt (einschließlich Kitas) 400 Mitarbeiter, 170 davon in der Kernverwaltung. Für sie soll für 15,8 Millionen Euro am Markt ein bürgerfreundlicher Verwaltungssitz entstehen - mit Tiefgaragen und Multifunktionssaal. Der Bürgermeister und allen Stabsstellen werden im Altbau bleiben. In der Vorweihnachtswoche hofft Stahl, den Widerstand der Opposition und einer Bürgerinitiative gegen das Finanzierungskonzept mit guten Argumenten überwinden zu können.

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