Gepfählt, gerädert und gehenkt
Grausame Strafen - ein Relikt aus dem Mittelalter
Folter in Abu Ghoreib und Guantanamo, die Bilder von der Hinrichtung Saddam Husseins, die um die Welt gingen - all das erinnert ans »finstere« Mittelalter.
Dunkel und unheimlich erscheint das Mittelalter nicht zuletzt wegen der grausamen Strafen und der Foltermethoden, die damals auch in Europa üblich waren. Tatsächlich sind die Machthaber im Hoch- und Spätmittelalter erschreckend erfinderisch, wenn es gilt, Geständnisse zu erzwingen oder Vergehen zu vergelten. Da wird verbrannt, gepfählt, gevierteilt, gerädert, gehenkt und verstümmelt, dass es normal veranlagte Menschen heute schaudern macht. Doch warum war das so? Die Menschen des europäischen Mittelalters sind zu über 90 Prozent ungebildete Bauern, denen in Kirchen gepredigt wird, ein gottgefälliges Leben zu führen. Über allem steht die göttliche Ordnung der Dinge, überwacht vom Klerus und durchgesetzt von weltlichen Fürsten als von Gott eingesetzten Vollstreckern. Auch die Bürger der Städte erleben sich nach Ansicht von Professor Wolfgang Schild, einem Experten für mittelalterliches Strafrecht an der Universität Bielefeld, vor allem als »Sakralgemeinschaft«. Sünden, ob im Geschäftsleben oder im Privatleben, entfachen den Zorn Gottes und verlangen nach Buße, um die göttliche Ordnung wiederherzustellen. Im Glauben des mittelalterlichen Menschen werde Gott nicht als »der Geist der Liebe« erkannt, sondern als der »richtende und strafende Gott« des Alten Testaments. Dabei stehe der Allmächtige »im fortwährenden Kampf mit dem Teufel«. Entweder ist man mit ihm oder man schlägt sich auf die Seite Satans. Wer dies tut, muss vernichtet werden: Sünder werden ertränkt im heiligen Element des Wassers und am besten obendrein noch den »reinigenden Flammen« des Feuers übergeben. Weit verbreitet sind im Mittelalter die Gottesurteile (»Ordale«). Schon die Germanen haben Zweikämpfe durch die »größere heilsmächtige Kraft« entscheiden lassen, wie Wolfgang Schild es ausdrückt. Im Mittelalter wird der Allmächtige selbst zum Richter. So greift er vermeintlich bei diversen Spielarten der Feuerprobe ein, etwa jener, bei der ein Beklagter seine Hand ins Feuer halten oder legen muss - noch heute eine Redensart. Verheilt die Hand schnell, steht die Unschuld des Verdächtigten fest. Bei der Kaltwasserprobe, die mancherorts bei angeblichen Hexen zum Einsatz kommt, werden Frauen gefesselt in Flüsse oder Teiche geworfen. Die meisten gehen natürlich unter. Versinkt eine Frau nicht, gilt sie als überführte Hexe - weil das Wasser, ein Inbegriff der Reinheit, sie abstößt. Auf »echte« Hexen wartet gleich der Scheiterhaufen, nicht selten zuvor aber noch die Folter. Die ab dem Spätmittelalter übliche »peinliche«, also schmerzhafte Befragung (heute: »harte Verhörmethoden«) ist selber keine Strafe, sie schafft durch das erwünschte Geständnis vielmehr die Grundlage dafür. Denn im Mittelalter gelten durchaus »hohe Beweisanforderungen«, sagt Günter Jerouschek, ein Fachmann für Strafrechtsgeschichte an der Universität Jena. »Wenn es nicht mindestens zwei Augen- oder Ohrenzeugen einer Tat gibt, kann der Verdächtige nicht bestraft werden.« Dann muss eben ein Geständnis her, sei es auch durch Folter erzwungen. Strafen sollen den Missetäter nicht etwa zurück auf den Pfad der Tugend führen, sondern die beschädigte göttliche Ordnung wieder herstellen. Es geht um Vergeltung, nicht um Resozialisierung. Wer einmal straffällig geworden ist, gehört nicht länger zur Gemeinschaft der Ehrbaren - hingerichtet oder lebendig. Nicht getöteten Verurteilten soll man den Rechtsbruch lebenslänglich ansehen. Augenfällig erfüllen Verstümmelungen diesen Zweck. Meineidigen hackt man die Schwurhand ab; Brandstifter, Falschmünzer und Diebe werden geblendet, Gotteslästerer oder Verräter büßen ihre Zunge ein. Nach mittelalterlichem Verständnis ist Gottes Zorn oft nur durch schlimmste Todesstrafen zu besänftigen. Allein so lässt er die Menschheit nicht insgesamt büßen - durch Landplagen wie Pest und Cholera. Zum Tode Verurteilte werden »in der Art des Metzgerhandwerks abgeschlachtet und zerstückelt, ihre Reste auf Galgen gehängt oder angenagelt, verbrannt oder gesotten« - oder »bei lebendigem Leibe von Tieren zerrissen oder mit glühenden Zangen zu Tode gezwickt«, wie Wolfgang Schild aufzählt. Auch wenn das Errichten der Galgen an Verkehrsadern oder auf Anhöhen (»Galgenbergen«) tathungrige Mordbuben und Diebe warnen soll, dienen die Grausamkeiten des Strafrechts nicht nur der Abschreckung. Wichtiger zu ihrem Verständnis ist, dass es in der rohen und gefahrvollen Welt des Mittelalters »niemals um den Menschen« geht, wie Schild sagt, sondern »zutiefst um Gott und um die Beziehung zu ihm als dem vergeltenden Gott des Alten Testaments«. Schmerzen und Qual gelten im Mittelalter zudem als Prüfsteine des Glaubens. Manche Missetäter flehen sogar darum, besonders übel gequält zu werden, damit ihre Seele wirksam von Sünden gereinigt werde. Dass Menschen des Mittelalters sich am qualvollen Tod eines Sünders auf dem Marktplatz weiden, entspringt einerseits schierer Schaulust. Doch sie gaffen laut Schild auch »aus einer Leidenschaft am Triumph des Guten, aus dem man wieder Kraft für das eigene armselige Leben schöpfen kann«. Indem die verletzte Ordnung Gottes durch die Schmerzen des Gepeinigten geheilt und dies als moralisches Lehrstück sinnlich erfahrbar wird...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.