Facebook und der Merkel-Schnappschuss

In Würzburg wird heute gegen das Netzwerkmedium prozessiert - womöglich mit weitreichenden Folgen

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Facebook wird immer gefährlicher: Das Netzwerk rückt nicht nur als Verbreitungsort von Propagandameldungen gemutmaßt russischer Herkunft in den Blick. Nun warnt laut »Wirtschaftswoche« der Verfassungsschutz, chinesische Dienste nutzten Facebook und die Plattform Xing zur Informantenwerbung. »Ins Visier« gerieten »Regierungsbeamte in Berlin bis hin zum Kanzleramt«. Man antworte mit »Sensibilisierungskampagnen« in Ministerien.

Nicht alles, was derzeit über die Gefahren von Internet und Facebook berichtet wird, lässt das Blut in den Adern gefrieren. Doch ein drastischer Fall von »Fake News« kommt an diesem Montag in Würzburg vor Gericht - wobei die Wortschöpfung für den Fall des Anas Modamani irrelevant ist. Denn für die Taten, deren Opfer er auf Facebook wiederholt geworden ist, gibt es andere Begriffe: Verleumdung, Beleidigung, Verletzung des Rechts am eigenen Bild.

Modamani ist jener junge syrische Flüchtling, der im Herbst 2015 mit seinem Handy ein Foto von sich neben der Bundeskanzlerin machte. Diesen stellte er stolz in sein Facebook-Profil. Er wurde zum Symbol von Angela Merkels Flüchtlingspolitik - und zur Zielscheibe geballten Hasses: Hundertfach wurden Montagen mit seinem Foto im Zusammenhang mit Straftaten und Terrorismus in dem Netzwerk verbreitet.

Hinsichtlich zweier dieser Bildnutzungen vertritt ihn nun der Würzburger Medienrechtsanwalt Chan-jo Jun gegenüber dem Internetriesen. Es geht dabei erstens um eine Bildmontage, die Modamani als einen der Täter »identifiziert«, die an Weihnachten einen Obdachlosen in einem Berliner U-Bahnhof misshandelten. Dabei, erklärt Jun, sei das Bild gezielt gestaucht worden, um mehr Ähnlichkeit zu einem polizeilichen Fahndungsfoto zu erzielen. Hunderte seien offenbar dieser Manipulation aufgesessen. Der Anwalt sieht darin eine gezielte Verleumdung.

Etwas anders ist der zweite Fall: Das Selfie wurde vor ein Bild des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19. Dezember montiert und mit dem Slogan »Es sind Merkels Tote« unterschrieben. Hier wird zwar nicht behauptet, dass Modamani mit dem Attentat zu tun hatte. Doch wird nach Juns Auffassung sein Recht am eigenen Bild nach dem Kunsturheberrecht verletzt. Anders als eine Persönlichkeit der Zeitgeschichte müsse sich der Privatmann Modamani, der »allenfalls durch ein einzelnes Ereignis« bekannt geworden sei, nicht gefallen lassen, dass sein »Bildnis zu allen möglichen politischen Zwecken missbraucht wird«.

In diesem Sinn hat der Anwalt eine Unterlassungsverfügung beantragt: Facebook soll dafür sorgen, dass Modamanis Bild nicht gegen seinen Willen im Kontext mit Straftaten auf der Plattform auftaucht. Sollte dem stattgegeben werden, stünde auch Schmerzensgeld im Raum. Jun zufolge käme dabei durchaus ein fünfstelliger Betrag in Betracht. Dabei wäre auch die Frage zu klären, ob nur Facebook oder auch Nutzer herangezogen werden könnten, die diese Bilder »geteilt« hatten.

Anwalt Jun, der über eine österreichische Aufklärungsinitiative in Kontakt mit Modamani kam, meldete die Bilder noch im Dezember. Nun betont ein Facebook-Sprecher gegenüber der dpa, man habe auch sehr schnell reagiert und »den Zugriff auf Inhalte gesperrt«, die vom Anwalt »korrekt an uns gemeldet wurden«. Man glaube daher nicht, dass ein Rechtsstreit vonnöten oder die »effektivste Methode« sei, »mit der Situation umzugehen«.

Nach Juns Darstellung wurde das Bild mit dem Lkw aber nur für IP-Adressen aus Deutschland gesperrt, nicht aber etwa für Zugriffe aus Österreich. Und das Bild mit den mutmaßlichen Gewalttätern aus dem U-Bahnhof sei von seinem Ursprungsort verschwunden, aber auch nach dem Tätigwerden von Facebook auf einzelnen Profilen zu sehen gewesen, die es als eigenen Inhalt hochgeladen hätten. Mittlerweile ist freilich das Profil »fluechtling.info«, das Jun als offenbaren Urheber der Montage mit den U-Bahn-Tätern nennt, insgesamt nicht mehr erreichbar.

Endet das Verfahren in Modamanis Sinn, könnte das weitreichende Folgen haben. Einmal für das Netzwerk, das veröffentlichte Inhalte bisher nur seinen »Gemeinschaftsstandards« unterwirft, die hinter deutsches Recht zurückfallen. Und zweitens für das Verhalten von Nutzern. »Wer falsche Tatsachenbehauptungen teilt und dadurch Rechte Dritter verletzt, haftet immer. Wer Beleidigungen teilt, haftet nur, wenn er sich damit erkennbar identifiziert«, fasst Jun sein Verständnis der Rechtslage zusammen.

Den Ausgang des Verfahrens wagt Jun - der in einem anderen Verfahren gegen Facebook-Chef Mark Zuckerberg ob rassistischer Inhalte auf der Plattform wegen Beihilfe zur Volksverhetzung vorgeht - gegenüber dpa nicht vorherzusagen: Vielleicht werde es auch nur aufzudecken helfen, wo gesetzlich nachzusteuern wäre. Die Bereitschaft dazu scheint derzeit zu bestehen. Für etwas müssen die vermeintlichen Heerscharen russischer Einflussagenten und chinesischer Geheimdienstwerber auf der Plattform ja nütze sein.

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