Konföderation der Gegensätze?

Die deutschlandpolitischen Vorschläge der SED vor 50 Jahren

  • Jürgen Hofmann
  • Lesedauer: 4 Min.
»Die völkerrechtlich gar nicht zur Kenntnis genommene DDR-Regierung hat die deutschlandpolitische Diskussion schon damals stark beeinflusst«, merkten die Autoren der fünfbändigen Geschichte der Bundesrepublik 1983 für die zweite Hälfte der 1950er Jahre an. Solche Einsichten sind aus heutigem Blickwinkel kaum noch zu erwarten. Mit dem Ende der deutschen Zweistaatlichkeit ist die Nötigung entfallen, dem ostdeutschen Teilstaat einen Anteil an aktiver Deutschlandpolitik zuzuerkennen. Die Einflüsse, auf die sich die Autoren 1983 bezogen, gingen vor allem vom Plan einer deutschen Konföderation aus. Walter Ulbricht hatte ihn am 30. Januar 1957 in seinem Referat auf der 30. Tagung des Zentralkomitees der SED offiziell unterbreitet. Während sein erster Vorstoß in einem Artikel für das »Neue Deutschland« am 30. Dezember 1956 kaum zur Kenntnis genommen wurde, fanden die Bemerkungen auf der 30. ZK-Tagung innen- wie außenpolitisch wesentlich mehr Beachtung. Ein paritätisch zusammengesetzter Gesamtdeutscher Rat sollte die Funktion der Regierung einer deutschen Konföderation übernehmen, ohne die Souveränität der beiden deutschen Teilstaaten aufzuheben. Er sollte vielmehr eine Zoll- und Valuta-Union sowie Schritte für eine einheitliche Verwaltung und Währung vorbereiten. Außerdem waren diesem Gremium Verhandlungen für gesamtdeutsche Wahlen zu einer Nationalversammlung zugedacht, deren Aufgabe die Ausarbeitung einer Verfassung und die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung gewesen wäre. Zugleich knüpfte Ulbricht aber seinen Vorschlag an Vorbedingungen, die die Idee der Konföderation abwerten mussten. Das Verlangen nach Überführung der Schlüsselindustrie in Volkseigentum, nach einer Boden- und Schulreform sowie Aufhebung des Betriebsverfassungsgesetzes konterkarierten den Vorschlag nach einem Staatenbund gleichberechtigter Partner. Erst der modifizierte Vorschlag der DDR-Regierung vom 26. Juli 1957 verzichtete auf die Klassenkampf-Rhetorik. Die deutsche Konföderation sollte »vorerst keine über den beiden deutschen Staaten stehende Staatsgewalt ... schaffen und ... jedes Herrschaftsverhältnis des einen über den anderen deutschen Staat ausschließen», hieß es nun. Der Vorschlag, über eine deutsche Konföderation der fortschreitenden Spaltung entgegenzuwirken, hatte bereits eine Vorgeschichte. Ernst Lemmer (CDU), ab 1957 Minister für gesamtdeutsche Fragen, hatte 1954 auf dem evangelischen Kirchentag in Leipzig gegenüber seinem ostdeutschen CDU-Kollegen Otto Nuschke, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR, den Gedanken eines Staatsvertrages zwischen beiden deutschen Staaten entwickelt. Im Juni 1955 und im Oktober 1956 war der CSU-Politiker und Bundesfinanzminister Fritz Schäffer nach Berlin gekommen, um sich mit Vincenz Müller zu treffen (s. ND v. 14. 10. 2006). Der ehemalige Generalleutnant der Wehrmacht und NDPD-Politiker Müller gehörte zu diesem Zeitpunkt der DDR-Regierung als Chef des Hauptstabes der Kasernierten Volkspolizei bzw. Stellvertretender Minister für Nationale Verteidigung an. Schäffers und Müllers Väter kannten sich aus gemeinsamer politischer Tätigkeit während der Weimarer Republik. In den Gesprächen bei Müller wurden Möglichkeiten eines Konföderationskonstrukts sondiert. Diese Kontakte wurden lange Zeit bestritten, obwohl Bundeskanzler Konrad Adenauer von Schäffer zuvor informiert worden war. Das Risiko solcher Kontakte hatten die Initiatoren selbst zu tragen. Maßgeblich für den Zeitpunkt der Konföderationsvorschläge der SED-Führung und der DDR-Regierung waren die deutschlandpolitischen Diskussionen in der SPD und im DGB sowie die bevorstehenden Wahlen zum Deutschen Bundestag. Die Hoffnung, damit »eine Änderung der Machtverhältnisse in Westdeutschland« zu befördern, »die mit einer Wahlniederlage Adenauers ein großes Stück näher gebracht werden könnte«, wie Horst Sindermann vor Chefredakteuren ausführte, erwies sich jedoch als Illusion. Adenauer ging gestärkt aus der Wahl hervor. Dennoch hielt sich noch lange die Vorstellung, man könne über gemeinsame Aktionen der Arbeiterklasse das innenpolitische Kräfteverhältnis in der Bundesrepublik verändern und »über die Konföderation die Staatsmacht in ganz Deutschland in die Hände nehmen«, wie Hermann Matern gegenüber westdeutschen Funktionären ausführte. Außenpolitisch erwies sich vor allem die Ablehnung der Viermächte-Verantwortung für mögliche Schritte zur deutschen Einheit als wenig realistisch. Die Konföderationsvorschläge hatten für die DDR aber auch eine innenpolitisch stabilisierende Funktion. Die Ereignisse des Jahres 1956 und das Aufkeimen einer innerparteilichen Opposition, die auch deutschlandpolitische Vorschläge entwickelte, legten entsprechende Initiativen nahe. Ein wesentliches Hindernis für eine deutsche Konföderation war außerdem durch den Alleinvertretungsanspruch und die Hallstein-Doktrin gelegt. Sie erwiesen sich noch lange als Barriere für die deutsch-deutsche Verständigung. Der Plan einer deutschen Konföderation bot der Bundesrepublik, wie Wilhelm Grewe, der damals das Adenauer-Kabinett außenpolitisch beriet, später bekannte, »keine ernsthafte Chance, die Sowjetzone allmählich zu assimilieren«. Dennoch erneuerte die DDR den Konföderationsvorschlag immer wieder in Variationen. Erst 1967 wurde diese Option von der politischen Agenda gestrichen. In der Bundesrepublik wurde die Konföderationsidee in den 1980er Jahren von der Friedensbewegung erneut aufgegriffen. In der DDR kam das Thema nach den gesellschaftlichen Erschütterungen des Jahres 1989 wieder in die öffentliche Diskussion. Doch der Vorschlag einer Vertragsgemeinschaft mit konföderativen Strukturen von DDR-Ministerpräsident Hans Modrow hatte zu diesem Zeitpunkt nur geringe Chancen. Die sowjetische Führung hatte sich deutschlandpolitisch bereits auf andere Lösungen ausgerichtet. Die Bundesregierung war unter den neuen Umständen ohnehin nicht an einer Lösung der deutschen Frage interessiert, bei der die DDR als gleichberechtigter Partner fungiert.
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