Mord im Spießerparadies

Die TV-Serie »Big Little Lies« ist ein Bekenntnis zum Glauben an wahrhaft gutes Fernsehen

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Frauenfernsehen, falls es so etwas gibt, dreht sich nur selten um Autos. Frauenfernsehen dreht sich um Frauen, die allenfalls mal schöne Autos fahren, weil schöne Autos schöne Frauen aus Sicht von Frauenfernsehmachern, die meist Männer sind, besser zur Geltung bringen. In »Big Little Lies« fahren schöne Frauen große statt schöne Autos. Dennoch handelt diese sensationell gute HBO-Serie (sonntags auf Sky Atlantic) von Autos. Gewissermaßen. Die Hauptfiguren, alle weiblichen Geschlechts, sind nämlich stets darin unterwegs. Gleich zu Beginn kutschieren Madeline, Celeste und Jane ihre Kids zur Einschulung in einer kalifornischen Kleinstadt. Und so geht es 350 Minuten weiter: im SUV die Küstenstraße rauf, im BMW die Küstenstraße runter. Kinderbringen, Einkaufen, Kinderholen, Einkaufen - es wirkt, als seien die Damen am Steuer schwer mobil.

Welch ein Trugschluss.

Denn Madeline, Celeste und Jane sind Gefangene einer scheinbar schönen neuen Welt voll riesiger Einbauküchen und Terrassen mit Meerblick, die ihre Bewohnerinnen wie in Luxusknästen einsperrt. Madeline zum Beispiel, witzig und voller Lebenslust: Sie steckt fest zwischen der Eifersucht auf die Neue ihres Ex-Mannes und der holprigen Leidenschaft für dessen Nachfolger. Oder Celeste, wunderschön und selbstsicher: Ihr Eheglück birgt trotz rauschhaft gutem Sex das Geheimnis unterschwelliger Gewalt. Und die alleinerziehende Jane mag als Gegenpol zur stöckelschuhbewehrten Midlife-Crisis ihrer Freundinnen jugendlichen Esprit verströmen; hinter der Lässigkeit lauert aber eine Traurigkeit, die Folgen hat.

Welche, das entspinnt sich mit jeder Folge des Siebenteilers etwas weiter und bleibt doch im Dunkeln. Klar ist nur: Es gab einen Mord im Spießerparadies. Benachbarte Zeugen schildern in regelmäßigen Einblendungen, warum es zwischen Los Angeles und San Francisco zu einer Bluttat kommen konnte. Die deutet sich bereits an, als Madeline (fabelhaft krampfig: Reese Witherspoon) erstmals auf Jane trifft (hinreißend jovial: Shailene Woodley) und ihr Celeste vorstellt (herrlich brüchig: Nicole Kidman).

Davon abgesehen, dass Deutschland keine solchen Schauspiel-Kaliber hat, machen die US-Amerikanerinnen den Siebenteiler zum Kammerspiel in nebelverhangener Kulisse, was hierzulande auch dramaturgisch unmöglich scheint. Die Abgründe, in denen sich das menschliche Elend bürgerlicher Selbstgenügsamkeit entfaltet, werden von Autor David E. Kelley (»Ally McBeal«) und seinem Regisseur Jean- Marc Vallée (»C.R.A.Z.Y.«) so dezent ausgeleuchtet, dass man als Zuschauer hellwach bleiben muss. Und das tut man. Wenn die Kamera in den Köpfen der Protagonisten förmlich auf Tauchstation geht oder wenn die beklemmende Atmosphäre ringsum (anders als bei deutschen Produktionen üblich) nicht mit Geigen untermalt wird, sondern eher mit einer Art Grundrauschen zerplatzter Illusionen: mehr Tinnitus als Soundtrack.

Das macht diese humor- und ironiefreie Version von »Desperate Housewives«, in der die handelnden Männer vornehmlich der Trieb- und Aggressionsabfuhr ihrer Frauen dienen, zum brillanten Statement auf die Enge sozialer Konventionen. Ein Zustand, den das Jahrhunderttalent Nicole Kidman mit einem einzigen Blick ins Nichts verkörpern kann. Wofür es aber eben auch mehr bedarf als zwei, drei Weltstars: eines Ensembles nämlich, das wirklich glaubt, was es spielt. So gesehen ist »Big Little Lies« ein Bekenntnis, und zwar eines zum Glauben an wahrhaft gutes Fernsehen.

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