Wässrige Terra incognita

Fraunhofer-Forscher wollen die Tiefsee mit einem Roboterschwarm erkunden

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Europäische Union plant nichts Geringeres als ein »Weltforum für Rohstoffe«. Das neue Forum, so die federführende Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, soll das größte seiner Art werden. Der Startschuss wird bereits in zwei Jahren fallen. Ab dann soll das Weltforum regelmäßig Regierungen, Forschungsinstitute und Industrien aus allen Kontinenten zusammenbringen. »Sicher« und »gerecht« soll die Rohstoffversorgung der globalen Wirtschaft erfolgen. Auch aus dem Meer. Aber dort stoßen Forscher und Firmen im 21. Jahrhundert immer noch auf eine Terra incognita, ein unbekanntes Land: Drei Viertel unserer Erde sind Wasser bedeckt, doch die Tiefsee ist vermutlich weniger erforscht als der Nachbarplanet Mars.

Selbst die von der Bundesregierung gepachteten Meeresgebiete, sagen Forscher, seien nicht ansatzweise erkundet. Zum Hotspot für die Internationale der Rohstoffjäger und Medien entwickelt sich derweil der Arktische Ozean, obwohl auch dessen Potenzial »noch weitgehend unbekannt« ist, wie ein BGR-Sprecher sagt. Trotz des geringen geologischen Erkundungsstandes haben die Anrainerstaaten ihre hoheitlichen Ansprüche auf die derzeit noch internationalen Gewässer bereits nachdrücklich geltend gemacht.

Für Deutschlands Mächtige in Wirtschaft und Politik hat der europäische Teil des Nordpolarmeeres aufgrund seiner geografischen Nähe besondere rohstoffpolitische und strategische Bedeutung. Nach Schätzungen des US-amerikanischen Geologischen Dienstes werden 30 Prozent aller noch unentdeckten Ressourcen an Erdgas und rund 15 Prozent an Erdöl nördlich des Polarkreises vermutet.

Überraschungen sind bei einer weiteren Erforschung der Meere durchaus zu erwarten. So entdeckten kürzlich Wissenschaftler auf Tauchexpeditionen im deutschen Pachtgebiet im Pazifik eine bisher unbekannte Krakenart. Die Kraken brüten in 4000 Metern Tiefe ausgerechnet an Manganknollen. Diese Knollen enthalten wertvolle Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt und Zink und sollen eines Tages gewissermaßen im Tagebau abgebaut werden. Die Entdeckung der Kraken belegt für das BGR, dass einem industriellen Abbau von Wertstoffen in der Tiefsee »gründliche Untersuchungen« zu den ökologischen Folgen vorausgehen müssen.

Licht ins Dunkel der Tiefsee zu bringen, planen »die Arggonauts«. »Sehen, was noch kein Mensch zuvor gesehen hat«, das will Arggonauts-Projektleiter Gunnar Brink. Dafür sollen Tauchdrohnen entwickelt werden, die im Schwarm die Weltmeere erkunden. Ein technisch anspruchsvolles Projekt, das im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs des Shell-Konzerns stattfindet.

Weder Funkwellen noch optische oder akustische Signale dringen bis in die Tiefsee, erklärt der Leiter Strategiemanagement des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) in Karlsruhe. Die Drohnen müssen also über viele Stunden völlig eigenständig operieren können. Die Fortbewegung der Roboter und die Bedienung der Messgeräte an Bord eines Kommandoschiffes erfordern einen hohen Energieaufwand. Gleichzeitig sind Größe und Gewicht der Drohnen extrem begrenzt. Dies macht besonders effiziente Sensoren, Motoren und Computer nötig. Eine weitere Herausforderung für die Ingenieure ist der enorme Druck: In 4000 Metern Tiefe lastet auf jedem Quadratzentimeter ein Gewicht von 400 Kilogramm.

Die Arggonauts, ein Team des IOSB, verfügen über Erfahrungen aus zwei früheren Projekten in den vergangenen Jahren. Doch die neuartigen Tauchdrohnen sollen statt 750 nur noch 300 Kilogramm wiegen. Und deutlich kleiner werden als ihre Vorläufer. Unter anderem, damit ein Schwarm aus acht oder zwölf »autonomen Fahrzeugen« an Bord eines Forschungsschiffes passt.

Die Konstruktionsphase sei abgeschlossen, berichtet Brink. Man habe mit dem Einkauf der Komponenten begonnen. Versuche mit den autonomen Fahrzeugen sollen beginnen. Die Kosten von etwa vier Millionen Euro tragen das Fraunhofer-Institut sowie noch ungenannte Sponsoren aus der Wirtschaft. Diese öffentlich-private Mischfinanzierung ist typisch für die praxisorientierten Fraunhofer-Institute. »Fraunhofer« gilt mit seinen mehr als 20 000 Beschäftigten als die größte Institution für angewandte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen in Europa.

Der vom britisch-niederländischen Erdölkonzern Shell ins Leben gerufene »Shell Ocean Discovery XPRIZE« ruft Wissenschaftler »aus der ganzen Welt« dazu auf, mit neuen Lösungen die Erforschung der Ozeane voranzutreiben. Gemeldet haben sich 32 Teams aus 22 Ländern. 21 sind ins Halbfinale eingezogen, darunter als einzige Mannschaft aus Deutschland die Arggonauts des IOSB - elf Männer und eine Frau. Das Team will natürlich gewinnen.

In einer zweijährigen »Mission« entwickelt die Crew um Gunnar Brink neue Lösungen zur Kartographierung des Meeresbodens. Die Roboter werden Echtzeitbilder von Orten liefern, die noch nie ein Mensch zuvor erblickt hat. Dann wird auch die Europäische Union mit ihrem »Weltforum für Rohstoffe« an den Start gehen. Brink und den anderen Teilnehmern des Shell-Wettbewerbs winken Preise für den ersten und zweiten Platz von umgerechnet sechs Millionen Euro. Egal, wie das Rennen ausgeht: »Wir bleiben auf jeden Fall dran«, versichert Brink. Die modifizierten Tauchroboter sollen später auf dem internationalen Markt verkauft werden.

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