Schalke freut sich zu früh

Nach 110 Minuten feiern die Fußballspieler von Schalke 04 das 3:0 - als Amsterdam doch noch zurückschlägt

  • Andreas Morbach, Gelsenkirchen
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei seinem Hochgesang auf die Schalker Mannschaft sah Benedikt Höwedes sehr trotzig aus. Die Arme durchgehend vor der Brust verschränkt, schwärmte der Kapitän fünf Minuten lang von der Leistung der Königsblauen im zweiten Viertelfinalduell mit Ajax Amsterdam. »Wir haben ein Riesenspiel gezeigt, das hat so viel Spaß gemacht«, betonte Höwedes und scheute auch nicht die Feststellung: »110 Minuten haben wir einen Freudentaumel sondergleichen erlebt - auf dem Platz und auf den Rängen.«

Bis dahin hatten die Schalker das 0:2 aus dem miserablen Hinspiel wettgemacht, in der Verlängerung gar das 3:0 erzielt - doch dann wurden sie von zwei Amsterdamer Treffern und der eigenen Gegenwart eingeholt. Denn auch wenn das Team von Markus Weinzierl sich in dieser ersten Saison unter dem neuen Trainer zwischendurch immer wieder zu starken Partien aufrappelt: In dieser Saison steckt der Wurm ganz tief. Das wurde auch gegen das junge Ensemble von Ajax wieder deutlich aufgezeigt. Nicht zuletzt in jener ominösen 111. Minute, als den Gästen das folgenschwere 1:3 gelang.

»Da bekommen wir ein Tor, an dem wir sehr beteiligt sind«, brachte Weinzierl die Sache weit nach Mitternacht auf den Punkt. Ein Einwurf der Niederländer, eine nicht verhinderte Flanke, dazu ein ungeschicktes Abwehrmanöver von Matija Nastasic - schon hatte der angeschossene Nick Viergever die helle Freude der Schalker über die Treffer von Leon Goretzka, Guido Burgstaller und Daniel Caligiuri mit einem Schlag ausgeknipst. Weinzierl sprach von einem »unglücklichen Klärungsversuch« und wollte Nastasic zwar »keinen Vorwurf machen«, empfahl dem Serben nachträglich aber schon: »Er hätte den Ball vorher besser zur Ecke geklärt.«

Als Trainer habe er in solchen Situation keinen Einfluss mehr, seufzte der angezählte Schalker Coach. Es klang, als ginge Weinzierl im zunehmend kühleren Gelsenkirchener Klima langsam in die Verteidigungshaltung über. Als Gewinner der Europa League wäre der Revierklub plötzlich noch in die Champions League geplumpst - doch auch diese elegante Möglichkeit ist nun vertan. Trotz des positiven Spielverlaufs vor eigenem Publikum, der durch die Gelb-Rote Karte für Amsterdams Joël Veltman in der 80. Minute einen zusätzlichen Schub bekam.

»Für einen kurzen Moment habe ich nicht mehr daran geglaubt, dass wir es noch schaffen. Weil alles gegen uns lief«, gestand der frühere Gladbacher Amin Younes, seit Sommer 2015 bei Ajax. Nun darf der 33-malige niederländische Meister weiter vom ersten internationalen Titel seit 1995 träumen, während den Schalkern fünf Ligaspiele bleiben, um eine verhunzte Saison mit der neuerlichen Qualifikation für die Europa League noch einigermaßen glimpflich abzuschließen.

Abgänge von wichtigen Akteuren wie Sead Kolasinac oder Goretzka drohen im Sommer so oder so. Zudem sind die mentalen und körperlichen Aufbauarbeiten bis zur anspruchsvollen Aufgabe am Sonntag gewaltig. »Natürlich wartet Leipzig, natürlich ist das ein wichtiges Spiel, natürlich müssen wir die Kräfte bündeln. Aber die Enttäuschung sitzt tief. Wir alle sind Menschen, haben alle Gefühle - und dieses Ausscheiden tut so weh, das tut wirklich so weh«, klagte Höwedes, der in seinem geballten Leid der Ansicht war, Schalke habe sich nichts vorzuwerfen.

Da allerdings erhob sein Trainer Einspruch. »Wir haben eine Riesenchance vergeben, hätten nach dem 3:0 mehr auf Ballbesitz spielen müssen. Damit wir erst gar nicht in so eine Situation wie beim ersten Gegentor geraten«, ärgerte sich Weinzierl über das taktische Fehlverhalten seiner Elf - der Spielmacher Goretzka zu dem Zeitpunkt nicht mehr angehörte. Weil er mit Verdacht auf Gehirnerschütterung auf dem Weg ins Krankenhaus war.

Unmittelbar vor dem Pausenpfiff hatte sich der 22-Jährige bei einem Zusammenprall mit Ajax-Keeper Andre Onana den Kiefer ausgerenkt. »In der Halbzeit musste er sich etliche Male übergeben, wollte aber weiterspielen und hat sogar noch das 1:0 geschossen. Er steht für eine tolle Mannschaft«, betonte Weinzierl. »Alle Hochachtung, dass er sich da aufgeopfert hat«, pflichtete ihm Höwedes bei und war in diesem speziellen Punkt auch zu einem Blick nach vorne bereit. »Gegen Leipzig«, forderte Schalkes Kapitän, »müssen jetzt eben ein, zwei Leute für einen starken Goretzka in die Bresche springen.«

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