EU-Privatinsolvenz per Tourismus

Briefkastenadresse kann zur Falle werden

  • Manfred Godek
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Dubiose Finanzberater versuchen, die schwierige Lage Verschuldeter auszunutzen. Zu den neuesten Maschen gehört die EU-Privatinsolvenz.

»Schuldenfrei in zwölf Monaten«, heißt es in der Werbung. Sie richtet sich an Privatpersonen und persönlich haftende Unternehmer, denen die Verbindlichkeiten über den Kopf gewachsen sind und deren letzter Ausweg eine Privatinsolvenz ist. In einem regulären Entschuldungsverfahren nach deutschem Recht müssten sie sechs Jahre lang alle Einnahmen, die über der Pfändungsgrenze liegen, zur Befriedigung der Gläubiger abgeben. Das Angebot der Sanierer klingt verlockend: Sie »organisieren« eine Privatinsolvenz in einem anderen EU-Land, wo meist wesentlich mildere Bestimmungen gelten, etwa in den französischen Departments Haut Rhin (Elass), Bas-Rhin und Moselle in Lothringen. Dort kann man nach zwölf Monaten in den Genuss der Restschuldbefreiung kommen. In England wurde die Frist kürzlich ebenfalls auf ein Jahr reduziert. Auch Tschechien gilt als attraktiv für Schuldner. Im Prinzip ist das Ganze völlig legal. Bereits 2001 urteilte der Bundesgerichtshof. »Wenn sich ein deutscher Staatsangehöriger ins Ausland begibt und sich dort einem Verfahren der Restschuldbefreiung unterwirft, welches den Regelungen der deutschen Insolvenzordnung grundsätzlich entspricht, so ist eine dort erteilte Restschuldbefreiung auch im Inland anzuerkennen«, heißt es in dem Urteil (Az. IX ZB 52/00). Mit anderen Worten: Wer im Ausland keine Schulden mehr hat, hat auch in Deutschland keine mehr. Das Geschäft mit dem Insolvenztourismus floriert. Gute Ratschläge gibt es schon für 19 Euro zuzüglich Porto. Eine Rund-um-Betreuung inklusive Wohnsitzbeschaffung und Postservice kostet einige Tausend. Die Hoffnung, seine Verpflichtungen auf schnelle und bequeme Weise loszuwerden, ist allerdings trügerisch. Es muss der Lebensmittelpunkt tatsächlich in das betreffende Land verlegt werden; eine Briefkastenadresse reicht nicht aus. In Frankreich verlangen Insolvenzrichter nicht selten Benzinquittungen, Strom-, Wasser und Telefonrechnungen und Vereinsaktivitäten als Nachweise. »Die Schulden dürfen auch nur in gutem Glauben - etwa durch eine geplatzte Bürgschaft - entstanden sein«, warnt Marion Saupe, Rechtsanwältin im elsässischen Mulhouse, notorische Kreditkäufer vor Illusionen. Andernfalls wird eine Summe festgelegt, die über bis zu zehn Jahre abgetragen werden muss. Zudem muss man sich bereits ein halbes Jahr in dem gewählten Land aufhalten, bevor man dort einen Insolvenzantrag stellen kann. »Gläubiger haben die Möglichkeit, den flüchtigen Schuldnern auf die Spur zu kommen, denn Wirtschaftsauskunfteien registrieren zum Beispiel private Wohnsitzwechsel von GmbH-Geschäftsführern«, so Martina Neumayr, Risikomanagerin beim Wirtschaftsinformationsdienstleister D&B in Darmstadt. Es könne dann rechtzeitig bei einem deutschen Gericht das Insolvenzverfahren eingeleitet werden. Wer die Hürden genommen hat, ist noch längst nicht alle Sogen los. In Österreich müssen 30 Prozent der Schulden zurückgezahlt werden, um nach zwei Jahren den Rest erlassen zu bekommen. In Holland sind es drei Jahre, und der Richter bestimmt die Quote nach freiem Ermessen. In Belgien verlängert sich das Verfahren auf fünf Jahre, ...

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