Die Verdammung des Amazonasgebietes

Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass der exzessive Wasserkraftausbau im Regenwald ökologisch und wirtschaftlich unsinnig ist. Von Norbert Suchanek

  • Norbert Suchanek
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Amazonasbecken ist das größte Wassereinzugsgebiet der Erde mit einer Ausdehnung von 6,1 Millionen Quadratkilometern von den Anden bis zum Atlantik. Insgesamt 140 Dämme sind in Bau oder bereits fertiggestellt und 288 neue Wasserkraftwerke sind in Brasilien, Peru, Bolivien und Ecuador geplant, von denen die meisten bereits von den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff in Auftrag gegeben wurden.

Doch Staudämme führen zu großen Umweltschäden und Biodiversitätsverlust in der Region, und der Bau von weiteren Wasserkraftwerken wird die negativen Auswirkungen weiter verstärken und selbst die Küstengebiete betreffen. Davor warnt nun ein Team von Wissenschaftlern im Fachjournal »Nature« (DOI: 10.1038/nature22333).

Falls die Amazonasstaaten, insbesondere Brasilien, auch nur einen Bruchteil ihrer Wasserkraftausbaupläne tatsächlich umsetzten, werde dies drastische, unumkehrbare Auswirkungen haben. »Es gibt keine vorstellbare Technologie, die diese Folgen wieder rückgängig machen kann«, so Studienleiter Edgardo Latrubesse von der Universität von Texas.

Eines der Hauptprobleme der Staudämme sei die Rückhaltung von fruchtbarem Schlamm und Sedimenten. Pro Jahr schwemmt der Amazonas 200 bis 300 Millionen Tonnen Sediment in den Atlantik und an die Küste bis nach Venezuela und versorgt damit Südamerikas größte Mangrovengebiete mit Nährstoffen.

Amazonasschlamm ist auch die Grundlage der Regenwälder entlang der Flussufer und der Feuchtgebiete im Amazonas-Tiefland. Das durch die in Bau befindlichen und geplanten Wasserkraftwerke befürchtete Ausbleiben der Sedimentfracht hätte verstärkte Erosion und Degradierung von Mangroven- und Regenwäldern in riesigem Ausmaß zur Folge. Betroffen wären nicht nur Tausende von Kilometern von Flussufern, sondern auch Marajo, die größte Flussinsel der Welt, und die Amazonasküste von Brasilien sowie Küsten der Anrainerstaaten Französisch-Guayana, Suriname, Guayana und Venezuela.

Das Wissenschaftlerteam rund um Edgardo Latrubesse bewertete die Umweltbeeinflussung der geplanten und bestehenden Wasserkraftwerke in Amazonien und entwickelte den »Dam Environmental Vulnerability Index« (DEVI), eine Kennzahl von 1 bis 100, die das Schadenpotenzial der Dämme aufzeigt. 100 steht für die gänzliche Vernichtung des Flussökosystems. DEVI berücksichtigt nicht nur die Veränderungen für Flussläufe, Sedimenttransport und Fischvielfalt, sondern auch die indirekten Auswirkungen der für den Dammbau notwendigen Straßen und Entwaldung. Die bedrohtesten Gebiete liegen demnach in der südlichen Amazonasregion, wo der »Entwicklungsdruck« am größten sei.

Am schlimmsten ist die Situation am Rio Madeira, dem größten Zufluss und Sedimentlieferanten des Amazonas. Sein Gefährdungsindex DEVI ist größer als 80. Schon jetzt sei dieses Gebiet durch die beiden fertiggestellten Staudämme Santo Antônio und Jirau im brasilianischen Bundesstaat Rondônia schwer geschädigt. Und die Zukunft sehe noch düsterer aus: »Das Madeirabecken ist das bedrohteste des gesamten Amazonasgebiets.« Denn weitere rund 80 Wasserkraftwerke seien am Madeira und seinen Zuflüssen in den Anden geplant oder in Bau mit gravierenden Auswirkungen auf den Amazonas.

Kaum weniger bedroht ist das gleichfalls im südlichen Amazonasgebiet liegende Tapajósbecken. Die bereits unter Lula da Silva und Dilma Rousseff auf den Weg gebrachten Wasserkraftpläne am Tapajós sehen die Errichtung von wenigstens 118 Staudämmen vor, von denen 28 im Bau oder bereits fertiggestellt sind. Allen großen Nebenflüssen des Tapajós droht die »Verdammung«. Die ökologischen Folgen, insbesondere der Verlust an Artenvielfalt, werden noch gravierender sein als am Xingu-Fluss, wo Brasilien erst jüngst den seit Jahrzehnten umstrittenen und von den indigenen Völkern der Region vergeblich bekämpften Belo-Monte-Staudamm fertigstellte.

Die brasilianische Regierung steht auch hinter den meisten der in Peru und Bolivien geplanten Wasserkraftwerke, sollen sie doch Strom nach Brasilien liefern. Doch der größte lateinamerikanische Staat habe andere, umweltfreundlichere und billigere Alternativen, um seinen Hunger nach Elektrizität zu decken, argumentieren die Wissenschaftler. Sonne und Wind reichten aus, den um jährlich etwa 2,2 Prozent steigenden Stromkonsum seiner Bevölkerung zu decken, ohne auf fossile Brennstoffe zurückgreifen zu müssen. Jüngste Forschungen hätten zudem gezeigt, dass die großen Wasserkraftwerke, selbst wenn die negativen Folgen für Ökologie und lokale Bevölkerung ausgeschlossen würden, nicht kostendeckend seien, sprich die Milliarden von Investitionen nicht durch die Energieproduktion und deren Verkauf gedeckt würden.

Darüber hinaus tragen Staudämme in den Tropen nicht einmal zum Klimaschutz bei. Im Gegenteil, sie sind große Treibhausgasproduzenten, wie der 2007 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Klima- und Amazonasforscher Philip Fearnside vom staatlichen Amazonasforschungsinstitut INPA in Manaus schon vor Jahren nachgewiesen hat, der aber von Brasiliens Regierungen konsequent ignoriert wird.

Die »Nature«-Studie enthalte wichtige Daten vor allem über die Rückhaltung der nährstoffreichen Sedimente, kommentiert Fearnside. »Ich glaube, dass die Blockierung von Sedimenten und Nährstoffen im Falle der in Peru am Marañon-Fluss geplanten großen Dämme sogar noch größer sein wird«, sagt er. Auch die vielen kleineren in den Anden vorgesehenen Stauwerke könnten schwere Auswirkungen besonders auf die Fischproduktivität des oberen Amazonas (Solimões) und des unteren Amazonas haben. Fearnside: »Wir schießen uns damit ins eigene Knie.« Denn die Dämme werden mit dem Geld der brasilianischen Entwicklungsbank (BNDES) finanziert.

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