Neue Ruderer braucht das Land

Schon bei Olympia in Rio war hinter den wenigen erfolgreichen deutschen Athleten eine große Lücke zu erkennen. Die scheint nun noch weiter zu wachsen

  • Klaus Weise
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor gut einer Woche fand auf dem als »Göttersee« titulierten Rotsee in Luzern das traditionelle Finale der drei Regatten umfassenden Weltcupserie statt, die diesmal über die Stationen Belgrad und Poznan in die Schweiz führte. Luzern war die Generalprobe für die WM Ende September in Sarasota (Florida) und das letzte Aufeinandertreffen der Elite bis dahin. Von jetzt an gerechnet bleiben also noch zehn Wochen, um erkannte Stärken aus-, Schwächen abzubauen, intensiv zu trainieren, und im äußersten Falle auch noch Personalien zu verändern.

Beim Deutschen Ruderverband (DRV), so scheint es nach den Luzerner Resultaten, gibt es dafür offenbar einige Veranlassung. Denn von den 18 gestarteten Booten in den 14 olympischen Bootsklassen (Frauen-Achter nicht besetzt, Doppelzweier bei Frauen und Männern doppelt) kamen gerade mal drei in die A-Endläufe der besten Sechs. Einsame Spitze, wobei die kritische Betonung auf dem Adjektiv liegt, war wieder mal das als »Deutschland-Achter« aktive Großboot, das ja dank Steuermann Martin Sauer, der in älteren Fragebögen gerne mal Pawel Kortschagin aus »Wie der der Stahl gehärtet wird« als Idol angab, eigentlich ein »Neuner« ist. Laut dpa sei der Verband mit dessen Sieg vor »einem totalen Schiffbruch« bewahrt worden.

Das DRV-Paradeboot holte sich nach hartem Bord-an-Bord-Kampf mit Australien per Luftkasten-Vorsprung von einer halben Sekunde den zehnten Sieg im zehnten Saisonrennen und somit den Gesamtweltcup in der Königsbootsklasse. Nur acht Tage nach dem souveränen Triumph über Olympiasieger Großbritannien bei der Royal Regatta in Henley war das ein Husarenstück, das Experten der Sportart besonders zu schätzen wissen. »Es gilt als Ausnahmeleistung und nur schwer erreichbar, diese beiden Rennen so dicht hintereinander für sich zu entscheiden«, lobte auch Michael Hehlke, Geschäftsführer des Berliner Landesruderverbandes (LRV). Schlagmann Hannes Ocik (Schwerin), sprach von einem Rennen, das »unfassbar wehgetan« habe, sah darin aber zugleich auch eine Zielvorgabe: »Mit dieser tollen Mannschaft wollen wir jetzt auch Weltmeister werden!«

In realistischer Luzern-Analyse muss man allerdings feststellen, dass sich nicht allzu viele DRV-Boote für den Saisonhöhepunkt ein so hohes Ziel setzen können. Nach Rio, den Rücktritten einer Reihe von erfahrenen Spitzenruderern, nach neu gesetzten Schwerpunkten im Zusammenhang mit Beruf und Ausbildung, die Wettkampfpausen bedingen und veränderten Bootsbesetzungen befindet sich das Team mitten in Umbruch und einer Verjüngungskur. Verbandschef Siegfried Kaidel musste attestieren: »In der Summe ist es zu wenig. Bei diesem Übergang fehlen uns die Alten.« So zum Beispiel in den beiden Doppelvierern, die im Vorjahr in Rio jeweils Olympiasieger wurden - damals noch mit den jetzt pausierenden Karl Schulze (Berlin) und Hans Gruhne (Potsdam) bei den Männern und der in den Einer gewechselten Annekatrin Thiele (Leipzig) als Schlagfrau bei den Frauen. In Luzern wurden Letztere, immerhin im A-Finale, Vierte, die Männer mussten sich mit dem B-Endlauf und Endrang neun bescheiden.

Wie die Gesamtlage im deutschen Rudersport aussieht - schon in Rio war man in 14 Finals nur dreimal vertreten, gewann bei aber zweimal Gold (beide Doppelvierer) und einmal Silber (Achter), ist nach den bevorstehenden U23-Weltmeisterschaften im bulgarischen Plowdiw Ende Juni differenzierter zu beantworten. In allen 21 Bootsklassen hat der DRV gemeldet - 69 Aktive gehen aufs Wasser der Maritsa.

Dort soll an das Ergebnis des U23-Championats von 2016 in Rotterdamm angeschlossen werden, als der DRV 13 Mal in den A-Finals vertreten war und mit neun Medaillen (2-4-3) wieder in die Heimat reiste. Fast ein Dutzend der Akteure aus dem Team von damals soll jetzt bei der WM der »Großen« in den USA Erfahrungen sammeln und Hoffnung für die Zukunft des deutschen Rudersports machen. Damit wäre man in trainingsmethodisch vernünftiger Periodisierung für das große mittelfristige Ziel, die Olympischen Spiele 2020 in Tokio.

Im DRV macht man sich bereits seit längerem gezielt Gedanken darüber, wie mit klar strukturierter und konzeptionell durchdachter Basisarbeit die Grundlagen für Erfolge im Spitzenbereich in der Perspektive gelegt werden sollen. Im April haben die Bundestrainer des DRV dazu einen Offenen Brief veröffentlicht, zwei Wochen später hat das Präsidium des DRV einen Arbeitskreis eingerichtet, der die Umsetzung des Leistungssportskonzepts 2017 bis 2020 begleiten soll.

Im Offenen Brief heißt es abschließend mit Blick auf vorangegangene nicht immer zielführende und konstruktive Debatten: »Die Bundestrainer fordern, dass die Diskussionen zu Ende gebracht werden, um unsere Förderungen durch das BMI und die Länder nicht zu gefährden, um endlich zielgerichtet unsere Aufgaben erfüllen zu können, bis jetzt brachten sie nur Unruhe und Unzufriedenheit.«

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