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Das Ich ist ein Schlachtfeld

Katinka Kaskeline und Alexander Kurfürst zu Gast in der Galerie Art Cru

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die 2008 gegründete Galerie Art Cru in der Oranienburger Straße ist die erste - und nach wie vor einzige - Berliner Galerie, die sich mit der Kunst von Outsidern, von behinderten oder psychisch erkrankten Menschen beschäftigt. Diese Künstler arbeiten oft lange unentdeckt mit bescheidenen Mitteln und Materialien, ohne sich um Konventionen zu kümmern oder sich nach dem Publikum oder aktuellen Trends zu richten.

Der unweit vom Bodensee lebende Zeichner, Maler und Lyriker Alexander Kurfürst präsentiert Wimmelbilder, die Rätsel und Geheimnisse bergen, verschlüsselte Szenen und Figurenbeziehungen, versteckte Gegenstände. Es »wimmelt« in seinen Zeichnungen nur so von Details, Menschen, Gesichten, Köpfen, Augen, Tieren, Automobilen, Architekturteilen und allen möglichen Dingen. Das Unbewusste des Künstlers äußert sich hier nicht so sehr in Impulsen und Fragmenten, sondern vor allem in Erinnerungsbildern. Es sind immer agierende Figuren, deren Ansehen und Bewegungsform manchmal mehr menschliche, manchmal mehr tierische oder dingliche Bezüge in Erinnerung rufen.

Die Linie gewinnt ihr selbstständiges Leben gegenüber den - meist nackten - Figuren und den Gegenständen, die nur noch selten direkt gezeichnet werden, sondern sich aus den Liniengespinsten traumhaft-phantastisch wie von selbst ergeben, neben aller Poesie jedoch beunruhigend und bedrängend wirken. Die Linien sind Bewegungen der Hand, die innere Gesichte niederschreibt. »Ein winziges Blatt Papier kann die ganze Welt enthalten«, hat der Maler und Grafiker Wols gesagt, der als Wegbereiter des Tachismus und Ahnherr der informellen Kunst gilt. Kurfürsts miniaturhaft gezeichnete Linien gruppieren sich meist um eine imaginäre Symmetrieachse und lassen Figuren, Köpfe wie Gewächse hervorwachsen.

Diese Gestalten entstehen nicht nach Plan, sondern aus einer Zweideutigkeit, die der Künstler wie unbeabsichtigt aus der Textur herausschält. Hier wird eine naiv-erzählerische Komponente spürbar, mit einer Beziehung zum Märchen, die das Geheimnisvolle betont und Gestalten wie absichtslos aus dem Amorphen auftauchen lässt, ohne erdrückende Dämonie, doch mit dem leichten Schauer des Gruselns. Alles ist richtungslos, voller Einfälle, voller Gesichte, ein Herauswachsen eines Elementes aus dem anderen, eine unendliche Kette von Assoziationen, eine skurrile Gesellschaft, zu der man gerne die Story kennen möchte.

Dagegen verlangt die Malerin Katinka Kaskeline die klassische Vieldimensionalität des gemalten Bildes, das den farbigen Ausdruck, die lineare Zeichnung und die Integration des Raumes einschließt. Eines Raumes, der sich davor und dahinter weiter ausdehnt, als Spannungsgegensatz von begrenzter und unbegrenzter Räumlichkeit. Ihre Körper erscheinen wie im Raum schwebende Gebilde.

Sie arbeitet mit den unterschiedlichsten Techniken, zeichnet, malt, schneidet mit der Schere, klebt auf Papier und Holz, verwendet dazu ausgeschnittene Buchillustrationen, Fragmente aus eigenen Werken, Landkarten, Bindfäden, getrocknete Insekten und vieles andere mehr. In ihren Collagen bringt sie alles Überraschende zusammen und verschmilzt alles, was sie an Material in die Hände bekommt. Die Kombination von Grundgesten zum Bild, die Artikulation der Realitätsabdrücke sowie ihre vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten und schließlich die zusammenfassende oder differenzierende farbige Übermalung resultieren dann wieder aus der Imagination und nicht etwa aus dem mechanischen Verfahren selbst. Es sind traumatische Erlebnisse, die sie immer wieder gestaltet, so in dem Bild »Scham«, in dem sich Maden und Insekten auf einem Bett von in sich verschlungenen Frauenkörpern tummeln. Mit diesen amphibischen Wesen, die zwischen Atavistischem und Trivialem angesiedelt sind, gelingen ihr eindrucksvolle Bilder sexueller Verunsicherung. Das Ich ist ein Schlachtfeld, auf dem unwiderstehlich starke Begierden auf unverrückbare gesellschaftliche Zwänge treffen.

Im Phantasiereichtum der einfachen Formen, die entfernt manchmal an Disney-Bilder und an die von der Pop-Art zu neuer Bedeutung erhobenen Comics erinnern und sich oft zu grotesken Figurationen kombinieren lassen, erweist sie sich als naive Künstlerin im besten Sinne, als Fabuliererin und Erzählerin. Die spinnwebartige fließende Linie beschreibt eine selbst erfundene Landschaft von organischen Formen, die fast in intensiven weichen Farbflecken ertrinken. Ein Blick auf die Innenseite der Körper, nicht die Außenseite, wird hier gegeben. Und doch ist alles mit der Präzision auf das Funktionieren des Bildes als Spiel und als Gesamtgestalt hin aufgebaut. In ihren Schautafelbildern kommt es zu erstaunlichen Verdichtungen der Zeichen, deren Signal- und Funktionswelt in eine komplexe Bildwelt verwandelt wird.

Mitunter mögen diese Arbeiten überfüllt und impulsiv erscheinen - aber das machen sie durch die Intensität des Gefühls wieder wett, aus dem sie eruptiv entstanden sind.

To be aware (Sich selbst bewusst werden). Katinka Kaskeline - Alexander Kurfürst, bis zum 4. August in der Galerie Art Cru, Oranienburger Str. 27, Mitte

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