Ein sehr schmerzlicher Einfgriff

Eine ganz andere sudetendeutsche Geschichte: Karl Kreibich und sein Artikel von 1945

  • Manfred Püschner
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Geschichte der deutschen Vertriebenen hat wieder Hochkonjunktur. Am Sonntag und Montag wird auf ARD eine zweiteilige, bereits bei arte gelaufene Dokumentation ausgestrahlt. Unser Autor hat eine Lebensgeschichte erforscht, die völlig quer zu allen Darstellungen über die Vertriebenen liegt.
Das Spannungsfeld zwischen gesichertem historischen Wissen und nationalem Geschichtsbild, zwischen Wunsch und Wahrheit ist groß. Einer, der so gar nicht in das heute gepflegte Bild der Vertriebenen passt, war Karl Kreibich, ein sudetendeutscher Kommunist. Er war Mitbegründer der KPTsch. Er sprach und schrieb als Einziger ihrer deutschen Funktionäre aus der Gründergeneration fließend Tsche-chisch und veröffentlichte seine Broschüren und Aufsätze zu historischen Themen auch in beiden Sprachen. Vor allem widmete sich Kreibich dem zentralen Problem des böhmisch-mährischen Raums, dem tschechisch-sudetendeutschen Neben-, Mit- und Gegeneinander. Seine Sicht war von eigenem Erleben geprägt, sie wies Extreme auf, zwischen denen politische und ethische Abgründe liegen. Ende 1918 wollte Kreibich beispielsweise auf das tschechoslowakische Militär schießen lassen, als es »Deutschböhmen« besetzte, das sich von Prag losgesagt hatte. 1945 befürwortete er die Vertreibung aller Deutschen aus der Tschechoslowakei, obwohl er selbst deutschstämmig war. In seinen letzten Jahren sah er die gemeinsame Geschichte von Tschechen und Deutschen in den böhmischen Ländern ohne ideologische Scheuklappen oder Zwänge, differenzierter. Er verwies mit der ihm eigenen Rigorosität vieles in das Reich der Legende, was damals zum kommunistischen Geschichtsbild der Tschechoslowakei gehörte. Das wurde nicht publik, davon wussten nur wenige. Der Vater des 1883 Geborenen war Schlosser und Maschinist, ein engagierter Sozialdemokrat. Er schickte seinen aufgeweckten Sohn auf die Bürgerschule und ein Jahr zum Tschechischlernen nach Nimburg, auf die Handelsakademie in Aussig. Karl Kreibichs Berufsleben begann als Sparkassen-Angestellter. 1902 wurde er Sozialdemokrat. Josef Seliger, bald Galionsfigur der deutschböhmischen Sozialdemokratie, holte ihn 1905 als Mitarbeiter für sein Blatt »Freiheit« nach Teplitz. Kreibich wechselte 1906 zum Reichenberger »Freigeist«, der ab 1911 »Vorwärts« hieß. Ab 1913 Chefredakteur agitierte er gegen k.u.k.-Hurra-Patriotismus und schrieb; »Österreich provoziert den Krieg.« Den Krieg erlebte Kreibich an der Italien-Front, die Nachkriegswirren als Wortführer der »Reichenberger Linken«, die sich 1920 endgültig mit der sozialdemokratischen Landesparteiführung um den »Übervater« Seliger zerstritten hatte und im Folgejahr in der KPTsch aufging. In seiner Heimat politisch kaltgestellt, ging Kreibisch in die Sowjetunion, übersetzte und redigierte im Moskauer Komintern-Apparat, kehrte aber bereits 1935 zurück, wurde in den Senat gewählt und kämpfte gegen Henlein. Schließlich musste auch er emigrieren. In London berief ihn der ehemalige CSR-Präsident Benes Ende 1941 als einzigen Sudetendeutschen und einen von drei Kommunisten in seinen Staatsrat. Kreibich durfte nach dem Krieg in Tschechien bleiben. Er betätigte sich als radikaler Verfechter des »odsun« (Vertreibung). Im August 1945 forderte er in einem Artikel unter der Überschrift »Das Ende des Sudetendeutschtums« kategorisch: »Jetzt muss für alle Zeiten mit allem Schluss gemacht werden, was mit dem Begriff "Sudeten-deutschtum" verbunden war ... Ungeachtet dessen, wie viele Deutsche hier (...) bleiben werden - je weniger desto besser.« Kreibich bezeichnete »Deutsche als Träger der schlimmsten barbarischen Reaktion in der Menschheitsgeschichte«. Unter den deutschen Minderheiten habe das Volk der Tschechen immer wieder zu leiden, denn »in allen kritischen Momenten der tschechischen Geschichte, in allen nationalen und politischen Krisen zeigte sich diese versteckte deutsche Gefahr in ihrer ganzen Größe, drohte dem tschechischen Volk mit Sklaverei und Vernichtung. Das war jahrhundertelang die schleichende Krankheit unserer Länder, die immer wieder als heftiger und tödlicher Anfall ausbrach.« Kreibich konstruierte eine permanente Verschwörung der Großdeutschen gegen das tschechische Volk, die sich unterschiedlich tarnte: in der 1848er Revolution mit der »Demokratie«, 1918 mit dem »internationalen Sozialismus« sozialdemokratischer Prägung, in den 30er Jahren mit dem Henleinschen »Nationalsozialismus«. An eine »Umerziehung« der Sudetendeutschen glaube er nicht. »Gegen diese schleichende Krankheit hilft nur eine gründliche Operation, ein tiefer und notwendigerweise sehr schmerzlicher Eingriff.« Die Geduld der Tschechen sei nach 1000 Jahren Leiden, nach Okkupation und Krieg erschöpft: Und auch deutsche Antifaschisten müssten anerkennen, dass die Sudetendeutschen das Land verlassen müssen. »Grausam« sei das, aber der Weg zur Grenze glücklicherweise nicht weit. Auch sudetendeutsche kommunistische Mitstreiter und Tschechen wandten sich danach vom Artikelschreiber ab. Kreibich war schon immer ein Enfant terrible, nahm sich die Freiheit, offen zu sagen, was es dachte und für richtig hielt. So hatte er es auch gewagt, Lenin im Vorfeld der KPTsch-Gründung zu widersprechen. Und Stalin warnte 1925 im Exekutiv-Komitee der Komintern: »Vom Genossen Kreibich gibt es mindestens einen pro-trotzkistischen Artikel.« Der Generalissimus weigerte sich später auch, Kreibisch als CSR-Botschafter zu empfangen. Ich habe Lotte und Karl Kreibich 1965, ein Jahr vor seinem Tod, in ihrer Prager Wohnung aufgesucht und den Eindruck gewonnen, seine extrem deutschfeindlichen Äußerungen aus dem Jahre 1945 bedrückten beide. Er wirkte auf mich aufgeschlossen, nicht wie ein Apparatschik. Miroslav Klír, der spätere stellvertretende Direktor des Instituts für KPTsch-Geschichte (unter Husák abgelöst und kurz darauf gestorben), erlaubte mir 1965, das Manuskript von Kreibichs Erinnerungen zu lesen, für das er erst 1968 einen Verlag finden sollte. Ich entdeckte ein von ihm 1966 »für höhere Stellen« bestimmtes kritisches Schreiben Kreibichs über die offizielle »Geschichte der KPTsch«. Erst während des »Prager Frühlings« wurde bekannt, dass Kreibich bereits 1955 die politischen Prozesse und Antisemitismus intern verurteilte. Der Publizist und Historiker Johann Wolfgang Brügel schloss daraus zu Unrecht, Kreibich habe mit dem Kommunismus gebrochen. Kreibichs Tod wurde 1966 mit einer kleinen Zeitungsnotiz abgetan, was dafür spricht, dass der KPTsch-Mitbegründer in Ungnade gefallen war. Das Parteiorgan »Rudé Právo« Unternahm erst Anfang 1990 den Versuch einer zaghaften Würdigung, nannte ihn einen »Rebellen in der eigenen Partei«.
App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal
Mehr aus: