Merkels breites Youtube-Lächeln

Robert D. Meyer über #DeineWahl und die große Weltpolitik als schnelles Coffee-to-go-Erlebnis

  • Lesedauer: 4 Min.

Was war über dieses angekündigte Interview im Vorfeld nicht alles gelästert worden! Eine einstündige PR-Veranstaltung für Merkel wurde befürchtet. Ganz unberechtigt schien dieses Unbehagen nicht: Für die Kanzlerin war das Gespräch mit bekannten Youtube-Bloggern kein Neuland. Vor zwei Jahren gab Merkel Florian Mundt alias LeFloid schon einmal die Möglichkeit, ihr (kritische) Fragen zu stellen. Am Ende musste LeFloid, der selbst nie behauptete, Journalist zu sein, viel Kritik einstecken, während in der CDU-Zentrale im Konrad-Adenauer-Haus wahrscheinlich die Augen des PR-Beraterstabes zu leuchten begangen. Immerhin war ihnen für ein 30 minütiges Stück Smalltalk viel mediale Aufmerksamkeit geschenkt worden.

Damit war es der CDU damals erstmalig gelungen, sich an eine Zielgruppe heranzurobben, die piefige Wahlstände in den Einkaufsstraßen dieser Republik schon allein deshalb nicht wahrnimmt, weil der Gang durch die Innenstadt mit gesenktem Blick auf ihre Smartphonedisplay erfolgt. Besagte Zielgruppe konnte genau da aber am Mittwochnachmittag die wahlkämpfende CDU-Vorsitzende entdecken, die sich den Fragen von vier (in der Zielgruppe bekannten) Youtubebloggern stellte: Im Gegensatz zu LeFloid hatte das Quartett immerhin durchgesetzt, dass die Interviews live stattfinden mussten. In solch einer Situation besteht theoretisch eher die Wahrscheinlichkeit, seinem Gegenüber etwas ungeplantes zu entlocken - so das Kalkül.

Doch an den sonstigen Rahmenbedingungen hatten die CDU-Strategen ihre Freude: Jeder der Vier arbeitete sich nacheinander an der Kanzlerin ab, wofür jeweils zehn Minuten Zeit blieben. DeineWahl, so der Titel dieses journalistischen Gehversuches, entsprach exakt dem Sehverhalten, auf das sich die Generation Youtube jahrelang dressieren ließ: Nicht ganz frei von Ironie heißt das Youtube-Format von Mirko Drotschmann, einem der vier Fragenden, »MrWissen2go«. Information als Beiwerk, nebenbei konsumiert und weggekippt wie der schlecht schmeckende Kaffee im Pappbecher aus der Backshopfiliale an der nächstbesten, beliebigen Ecke. Immerhin ist Drotschmann ausgebildeter Journalist, sein Kanal widmet sich durchaus interessanten Fragen, wie dem Umgang mit Trump oder der Meinungsfreiheit. Letztlich scheiterte er - ähnlich wie seine drei Kollegen Lisa Sophie (ItsColeslaw), Alexander Böhm (AlexiBexi) und Ischtar Isik - an dem selbstauferlegten Zwang, möglichst viele Themen und Fragen in zehn Minuten packen zu wollen.

»Bringt man den im Zweifel unentschiedenen Jungwählern Politik näher, wenn man in Wirklichkeit nur sporadisch darüber spricht?«, fragt Florian Schillat auf Stern.de. Und wer nur gelegentlich über Politik spricht, dann aber plötzlich einen medienerfahrenen Profi wie Merkel vor sich sitzen hat, darf sich nicht wundern, wenn auf die Frage, ob man Angst vor dem Dritten Weltkrieg haben müsse, weil in Washington und Pjöngjang zwei scheinbar völlig Verrückte den Finger auf dem roten Knopf legen, die Kanzlerin nur antwortet: Nein. »Was hätte sie sagen sollen? Ein bisschen?«, fragt sich auf Welt.de Thomas Vitzthum und liefert die passende Reaktion der Medien gleich hinterher: »›Merkel warnt vor drittem Weltkrieg‹ - hätte dann die Schlagzeile gelautet. Nicht auszudenken.« Inhaltlich ist an der knappen Antwort Merkels nicht einmal etwas falsch, da derzeit alle seriösen Experten zum Nordkoreakonflikt allenfalls von einem etwas überhitzen, aber sonst üblichen Säbelrasseln ausgehen. War Drotschmann, der besagte Frage stellte, einfach schlecht informiert über die Weltlage oder meinte er, die Taktik des leider nicht geladenen Videobloggers Tilo Jung einsetzen zu können, indem er »Jung & Naiv« (So der Titel der gleichnamigen Sendung) unvoreingenommen grundsätzliche Fragen stellte? Merkels Strategen dürften gewusst haben, warum sie die Kanzlerin nicht eine Stunde lang live mit Jung in einen Raum gesetzt haben.

Dabei gab es, wie 2015 beim insgesamt eher missglückten LeFloid-Interview, durchaus Momente, in denen lediglich ein letztes Nachgreifen fehlte, um Merkel etwas substanzielles zu entlocken. Isik brachte die Kanzlerin dazu, sich für eine Frauenquote in der nächsten Regierung auszusprechen, hakte dann allerdings nicht nach, als die CDU-Chefin sich herausredete, sie könne dies ja nur für die Minister der eigenen Partei entscheiden. Wie wäre es, Quotierung zur Bedingung für eine Koalition zu machen? Eine Frage, die Isik spontan leider nicht einfiel.

Dafür wissen die 54 000 Zuschauer der Livesendung jetzt, dass das Lieblingsemoji der Kanzlerin der lächelnde Smiley ist. Für Merkels sonst zu beobachtendes Verhalten in Interviews grenzt diese Antwort fast an eine Neuigkeit. Wahrscheinlich hat ihr aber noch niemand verraten, dass es längst auch ihre bei jeder Gelegenheit hervorgeholte Raute gibt.

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