Vergebens, nicht umsonst

Neue Stromtrasse durch Thüringen wird eingeschaltet - Gegner sind wehmütig

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gehört zur Wahrheit, dass die öffentliche Wahrnehmung und die Wahrnehmung des Einzelnen zwei ziemlich unterschiedliche Dinge sein können. Weshalb es zur Wahrheit gehört, dass die 380-Kilovolt-Trasse, die »Südwest-Kuppelleitung« oder »Thüringer Strombrücke« genannt wird, in der Öffentlichkeit inzwischen keine zentrale Rolle mehr spielt. Weil der Ausbau des deutschen Stromnetzes ein fortwährender Prozess ist, wird in Thüringen ebenso wie in anderen Teilen Deutschlands viel häufiger über die zwei anderen Stromleitungen gesprochen, die den Freistaat möglicherweise in Zukunft noch queren könnten: Südlink im Westen und Südostlink im Osten. Beide Stromleitungen sind noch nicht gebaut.

An dieser öffentlichen Wahrnehmung wird sich wohl auch dann nicht viel ändern, wenn an diesem Donnerstag die 189 Kilometer lange Südwest-Kuppelleitung vollständig ins deutsche Stromnetz eingebunden werden wird. Denn tatsächlich stehen die Masten nach mehr als zehn Jahren der Planung, der Genehmigung und des Baus sowie auch der Proteste schon eine ganze Weile im Freistaat und sind damit schlicht und einfach da. Ob da nun Strom drauf ist, macht keinen sichtbaren Unterschied. Auch deshalb wird zwar der Betreiber 50Hertz die Einbindung der Leitung als einen »Meilenstein im Ausbau des deutschen Stromnetzes« loben. In der Öffentlichkeit dürfte das aber kaum mehr als zur Kenntnis genommen werden.

Aber da ist eben noch die Wahrnehmung des Einzelnen. Und gerade bei denen, die jahrelang mit voller Hingabe gegen diese gewaltige Leitung mit sechs Strängen und 60 Meterhohen Masten gewehrt haben, kommt jetzt ein unschöner Tag. Weil er ihnen zeigt, dass sie die 380-kV-Trasse nicht verhindern konnten. Er sei nun »wehmütig«, sagt Peer Schulze, Bürgermeister der Gemeinde Ilmtal in Mittelthüringen und gleichzeitig einer von drei Vorstandssprechern der Interessengemeinschaft »Achtung Hochspannung«. In dieser IG hatten sich viele Bürgerinitiativen zusammengeschlossen, die gegen die Trasse gekämpft haben, die vom Umspannwerk Lauchstädt in Sachsen-Anhalt zum Umspannwerk Vieselbach bei Erfurt und von dort weiter durch den Thüringer Wald nach Bayern führt.

Ähnlich formuliert es Petra Enders, die durch ihren Widerstand deutschlandweit bekannt wurde. Heute ist sie Landrätin des Ilm-Kreises, der von der Leitung durchzogen wird. Gegen die Trasse gekämpft hat sie schon, als sie noch Bürgermeisterin von Großbreitenbach war, einem Ort, in dessen unmittelbarer Nähe einige der Masten stehen. Es tue ihr, sagt sie, jeden Tag weh, wenn sie zur Arbeit fahre und dabei die Leitung sehe. Dass sie wie auch Schulze noch immer fest davon überzeugt sind, die Trasse sei trotz der Beteuerungen von 50Hertz für die Energiewende nicht nötig, versteht sich fast von selbst. Während der Netzbetreiber behauptet, damit solle grüner Strom vom Norden in den Süden Deutschlands gelangen, glauben die Gegner, die Leitung diene vor allem dazu, weiterhin Kohlestrom ins Netz einspeisen zu können.

Aber auch wenn sich nicht leugnen lässt, dass der Kampf von Schulze, Enders und vielen anderen gegen die Höchstspannungsleitung letztlich vergebens war, so beharren sie doch darauf, er sei nicht umsonst gewesen. Man habe, sagen beide, nicht nur eine gesellschaftliche Debatte über Sinn und Unsinn des Netzausbaus durch Neubau »losgetreten«, wie Schulze es formuliert. In dieser Debatte seien auch viele der technischen Alternativen wie die Erdverkabelung diskutiert worden, die nun tatsächlich für andere Trassen erwogen werden. »Andere profitieren jetzt von der Arbeit, die wir geleistet haben, und das ist gut so«, sagt Enders. Zudem, sagt sie, habe der Kampf gegen die Südwest-Kuppelleitung auch dazu geführt, dass die Bürger bei derartigen Vorhaben inzwischen viel umfangreicher angehört würden als zuvor; selbst wenn es da noch einiges an »Luft nach oben« gebe.

Auch Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne), die in der Leitung einen notwendigen Beitrag zur Energiewende sieht, meint, in der Sache mit der inzwischen besseren Bürgerbeteiligung bleibe etwas vom Widerstand gegen die 380-kV-Trasse. »50Hertz hat aus Fehlern gelernt, jetzt werden dort die Dinge anders angepackt«, sagt sie. Andere Netzbetreiber seien indes »leider noch nicht so weit«.

Bei allen Differenzen, die zwischen den Gegnern der Trasse und Siegesmund bleiben, eint sie doch, dass alle trotz oder gerade wegen der Leitung durch den Wald für regionale und damit dezentrale Energieversorgung werben und einstehen wollen; die solche Strombrücken noch überflüssiger machen würde.

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