Was wir an ihm haben
Vor 100 Jahren wurde der Dichter Georg Maurer geboren
Was haben wir an einem Dichter wie Georg Maurer heute, was ist von seinem Werk lebendig? Sicher, populär im Sinne eingängiger Gelegenheitsdichtung ist er nie gewesen. Doch wer die DDR-Schule besuchte, dem wird vielleicht der »Schreitbagger« noch gegenwärtig sein, der in den Lesebüchern zu finden war und über den nun allzu schnell der Stab gebrochen wird. Freunde der Dichtkunst mögen den schönen »Dreistrophenkalender« zur Hand nehmen, mit den heiter-spielerischen Versen und den trefflichen Klemke-Illustrationen, und sich an ausladende Dichtungen erinnern, in denen von Gott und Welt, Leben und Tod, Arbeit und Liebe die Rede war. Diejenigen aber, die von ihm gelernt haben, und das waren nicht nur die Hörer der Leipziger Schriftstellerschule, an der er wirkte, werden nicht umhin können, sich auch heute den bohrenden Fragen zu stellen, die Maurers Dichtung aufwirft, die Antworten zu prüfen, die seine bedachtsamen Essays enthalten, den Gang seiner Biografie zu bedenken. Auch wird ihnen sein Bild vor Augen bleiben: die fröhliche Freundlichkeit wie der entschiedene Ernst, das genießerische Behagen und die strenge Genauigkeit, seine Orte und Zeit vergessende unermüdliche Bereitschaft zum Disput, zum Lernen und zum Lehren.
Georg Maurer kam 1926 aus Siebenbürgen nach Deutschland und schlug sich als Student und Journalist in Leipzig durch, schrieb und veröffentlichte Gedichte religiösen, mystischen Charakters. Das erschütternde Unglück des Zweiten Weltkriegs, die maßlosen Verbrechen des Faschismus bestimmten seinen weiteren Weg. »Beethoven und Auschwitz« spannte er 1949 in seiner »Deutschen Klage« zusammen. Als endlicher Ausbruch aus der Dunkelheit, als ein Akt persönlicher Befreiung, entstanden 1950/51 die bald 100 Gedichte des »Dreistrophenkalenders», deren spontane Ausgelassenheit und kunstvolle Naivität eine Seite im Werk des Dichters anschlugen, die für ihn charakteristisch bleiben sollte, auch wenn sie nicht immer so anschaulich hervortrat. Freude am Leben, Liebe, Natur, Tages- und Jahreszeiten wurden da mit sinnlicher Direktheit besungen. Dass es mehr als zehn Jahre dauerte, bevor diese Verse gedruckt wurden, war nicht der geringste der Skandale, die dogmatische Kulturpolitik jener Jahre provozierte. Maurer litt auch nicht zum letzten Mal darunter und kämpfte dagegen an, als Kritiker, als Essayist, als Lehrer einer jungen Dichtergeneration.
Vor allem aber auch mit einer groß angelegten Gedankendichtung, die sich in die klassischen Traditionen dieses Genres stellte und auf den Menschen in der geschichtlichen Bewegung gerichtet war. Es ging Maurer um die Kräftigung des dem Menschen Möglichen und um das Abtasten der Bedingungen dafür. Auf Marx gegründet, rückte die Kategorie der Arbeit darin ins Zentrum, Liebe stand für die Utopie freien, friedlichen Zusammenlebens. Dergleichen Begriffs-Netze gaben den meist zyklisch angelegten Versgebilden eine programmatische Abstraktheit, die aber durch die stets spürbare engagierte Ansprache, durch äußerste sprachliche Präzision und eine eindringliche Bildhaftigkeit aufgewogen wurde. Reale Grundlage dieses poetischen Weltentwurfs waren die gesellschaftlichen Veränderungen in des Dichters Lebensumfeld, die er grundsätzlich bejahte und mit seinen Hoffnungen begleitete. Dass es sich dabei auch um Illusionen handelte, wissen wir heute. Die tägliche Erfahrung aber lehrt uns ebenso, dass die von Maurer aufgeworfenen Probleme unabgegolten und damit keineswegs hinfällig sind. Ihn also als Anhänger einer flachen Fortschrittsgläubigkeit abzutun, dürfte bestimmt zu kurz gedacht sein. Wäre doch zumindest in Betracht zu ziehen, dass er sich nicht nur die hochfliegenden Erwartungen wie die Irrtümer mit einer ganzen Phalanx bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts teilte, sondern in seinen späteren Werken auch den Traum von einer wahrhaft menschlichen Existenz in ihrer Widersprüchlichkeit artikuliert, die Konstellationen des Individuums zwischen Leben und Tod schärfer ins Auge gefasst hat, ohne dabei allerdings sein Konzept von der entscheidenden Rolle des energischen Prinzips, des aktiven menschlichen Handelns preiszugeben. Letzteres unterschied ihn von vielen heute hoch gehandelten Künstlern, eine Differenz, die er in seinen Essays nachdrücklich hervorhob. Georg Maurer starb 1971. Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages am 11. März wird in der Leipziger Menckestraße 18, der langjährigen Wohnadresse, eine Gedenktafel enthüllt. Das war fällig. Aber wie steht es mit seinen Gedichten in den Schullesebüchern? Es muss ja nicht gerade der »Schreitbagger« sein, der zum Sinnbild eines nun gescheiterten Projekts wurde. Doch vielleicht käme ein Text wie »Die Dinge« in Frage, dessen philosophisch inspirierten Verse so lakonisch wie geheimnisvoll lauten: »In den Dingen ist verborgen,/ eine Formel schön./ Grund von allen unsern Sorgen/ ist: sie nicht verstehn,/ wie wir nicht begreifen wollen/ diese schöne List,/ dass die Kette aller Dinge/ unsre Freiheit ist.«
Da hätten nicht nur die Schulkinder etwas zum Nachdenken, wäre Dialektik gefragt, Verständnis für die Rätselhaftigkeit von Poesie. Und dem Werk eines Dichters widerführe mehr Gerechtigkeit, das uns über die »nächste Welle der Zeit« hinaus noch viel zu sagen hat.
»Ich sitz im Weltall auf einer Bank im Rosental« heißt eine Auswahl von Gedichten Georg Maurers, die Eva Maurer in der Edition Wörthersee der Connewitzer Verlagsbuchhandlung herausgegeben hat (96 S., brosch., 11 EUR).
Die Festveranstaltung zum 100. Geburtstag des Dichters findet am 11.3. 11.30 Uhr im Gohliser Schlößchen, Leipzig, Menckestraße 23, statt. Lesungen und Gespräche gibt es am 12. und 14. 3. jeweils 20 Uhr im Haus des Buches, Gerichtsweg 28, sowie im Mediencampus Villa Ida, Poetenweg 28. Eine Ausstellung über Georg Maurer ist in der Stadtbibliothek, Wilhelm-Le...
Georg Maurer kam 1926 aus Siebenbürgen nach Deutschland und schlug sich als Student und Journalist in Leipzig durch, schrieb und veröffentlichte Gedichte religiösen, mystischen Charakters. Das erschütternde Unglück des Zweiten Weltkriegs, die maßlosen Verbrechen des Faschismus bestimmten seinen weiteren Weg. »Beethoven und Auschwitz« spannte er 1949 in seiner »Deutschen Klage« zusammen. Als endlicher Ausbruch aus der Dunkelheit, als ein Akt persönlicher Befreiung, entstanden 1950/51 die bald 100 Gedichte des »Dreistrophenkalenders», deren spontane Ausgelassenheit und kunstvolle Naivität eine Seite im Werk des Dichters anschlugen, die für ihn charakteristisch bleiben sollte, auch wenn sie nicht immer so anschaulich hervortrat. Freude am Leben, Liebe, Natur, Tages- und Jahreszeiten wurden da mit sinnlicher Direktheit besungen. Dass es mehr als zehn Jahre dauerte, bevor diese Verse gedruckt wurden, war nicht der geringste der Skandale, die dogmatische Kulturpolitik jener Jahre provozierte. Maurer litt auch nicht zum letzten Mal darunter und kämpfte dagegen an, als Kritiker, als Essayist, als Lehrer einer jungen Dichtergeneration.
Vor allem aber auch mit einer groß angelegten Gedankendichtung, die sich in die klassischen Traditionen dieses Genres stellte und auf den Menschen in der geschichtlichen Bewegung gerichtet war. Es ging Maurer um die Kräftigung des dem Menschen Möglichen und um das Abtasten der Bedingungen dafür. Auf Marx gegründet, rückte die Kategorie der Arbeit darin ins Zentrum, Liebe stand für die Utopie freien, friedlichen Zusammenlebens. Dergleichen Begriffs-Netze gaben den meist zyklisch angelegten Versgebilden eine programmatische Abstraktheit, die aber durch die stets spürbare engagierte Ansprache, durch äußerste sprachliche Präzision und eine eindringliche Bildhaftigkeit aufgewogen wurde. Reale Grundlage dieses poetischen Weltentwurfs waren die gesellschaftlichen Veränderungen in des Dichters Lebensumfeld, die er grundsätzlich bejahte und mit seinen Hoffnungen begleitete. Dass es sich dabei auch um Illusionen handelte, wissen wir heute. Die tägliche Erfahrung aber lehrt uns ebenso, dass die von Maurer aufgeworfenen Probleme unabgegolten und damit keineswegs hinfällig sind. Ihn also als Anhänger einer flachen Fortschrittsgläubigkeit abzutun, dürfte bestimmt zu kurz gedacht sein. Wäre doch zumindest in Betracht zu ziehen, dass er sich nicht nur die hochfliegenden Erwartungen wie die Irrtümer mit einer ganzen Phalanx bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts teilte, sondern in seinen späteren Werken auch den Traum von einer wahrhaft menschlichen Existenz in ihrer Widersprüchlichkeit artikuliert, die Konstellationen des Individuums zwischen Leben und Tod schärfer ins Auge gefasst hat, ohne dabei allerdings sein Konzept von der entscheidenden Rolle des energischen Prinzips, des aktiven menschlichen Handelns preiszugeben. Letzteres unterschied ihn von vielen heute hoch gehandelten Künstlern, eine Differenz, die er in seinen Essays nachdrücklich hervorhob. Georg Maurer starb 1971. Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages am 11. März wird in der Leipziger Menckestraße 18, der langjährigen Wohnadresse, eine Gedenktafel enthüllt. Das war fällig. Aber wie steht es mit seinen Gedichten in den Schullesebüchern? Es muss ja nicht gerade der »Schreitbagger« sein, der zum Sinnbild eines nun gescheiterten Projekts wurde. Doch vielleicht käme ein Text wie »Die Dinge« in Frage, dessen philosophisch inspirierten Verse so lakonisch wie geheimnisvoll lauten: »In den Dingen ist verborgen,/ eine Formel schön./ Grund von allen unsern Sorgen/ ist: sie nicht verstehn,/ wie wir nicht begreifen wollen/ diese schöne List,/ dass die Kette aller Dinge/ unsre Freiheit ist.«
Da hätten nicht nur die Schulkinder etwas zum Nachdenken, wäre Dialektik gefragt, Verständnis für die Rätselhaftigkeit von Poesie. Und dem Werk eines Dichters widerführe mehr Gerechtigkeit, das uns über die »nächste Welle der Zeit« hinaus noch viel zu sagen hat.
»Ich sitz im Weltall auf einer Bank im Rosental« heißt eine Auswahl von Gedichten Georg Maurers, die Eva Maurer in der Edition Wörthersee der Connewitzer Verlagsbuchhandlung herausgegeben hat (96 S., brosch., 11 EUR).
Die Festveranstaltung zum 100. Geburtstag des Dichters findet am 11.3. 11.30 Uhr im Gohliser Schlößchen, Leipzig, Menckestraße 23, statt. Lesungen und Gespräche gibt es am 12. und 14. 3. jeweils 20 Uhr im Haus des Buches, Gerichtsweg 28, sowie im Mediencampus Villa Ida, Poetenweg 28. Eine Ausstellung über Georg Maurer ist in der Stadtbibliothek, Wilhelm-Le...
Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.