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Dies kleine Begehren

»Die Frau des Michelangelo« im Renaissance-Theater

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Sechs Jahre nach Einweihung des Renaissance-Theaters erlebte 1929 das Drama »Krankheit der Jugend« des früheren Intendanten Ferdinand Bruckner alias Theodor Tagger seine Berlin-Premiere. Knapp neun Dezennien später kam im Sommer 2017 im Oval des Bruckner-Foyers das Solo »Die Frau des Michelangelo« von Eric Assous zu seiner deutschen Erstaufführung. Die biografische Literatur muss aber nicht umgeschrieben werden: Der Renaissance-Titan starb hohen Alters unbeweibt. Michelangelo ist hier der Name des fiktiven Nobelhotels, in dem beginnt, was der französische Autor auf fast zwei Stunden vorm geneigten, häufig amüsierten Zuschauer ausbreitet: die zerquälte sexuelle Befreiung einer sonst eher biederen namenlosen Ehefrau.

Weder besonders glücklich noch besonders unglücklich lebt sie an der Seite von Antoine, dem Leiter eines Haarinstituts, und der beiden Kinder. Abwechslung bringen die Treffs mit Freundin Florence, denn ein Gatte kann kein Vertrauter sein, nur jemand zum Anlehnen - mit Distanz. Wieder mal erscheint die Freundin nicht, der Mann am Nebentisch allerdings interessiert sich augenfällig für die Wartende, platziert sich neben ihr und bietet ihr Geld für eine gemeinsame Nacht. Viel Geld. Nichts passiert vorerst, doch die offene Offerte setzt der Frau zu. Schließlich geht sie an einem anderen Tag ins selbe Hotel - und trifft den Mann. Da geschieht es, für viel Geld. Wie sehr sich die Frau wehren mag, bald entwickelt sie Gefühle für den Rechtsanwalt, wie sie der Visitenkarte entnimmt, lässt das Tête-à-Tête im stets anderen Hotelzimmer zur wöchentlichen Regel werden, neun Monate lang, und spart sich so ein nettes Sümmchen an. Außer der begeisterten Florence weiß das niemand. Als die Frau nervös die Kanzlei des Schlafgefährten aufsucht und ihm ihre Liebe gesteht, erntet sie Gefühlskälte: Er will nur Sex. Das geht, bis sie in einer Anwandlung von Courage die Affäre beendet. Doch was tun mit dem auf einem geheimen Konto deponierten Liebeslohn?

Die Frau und Florence finden eine überraschende Lösung, die den Familiensegen rettet, dem Gemahl den Geldsegen erklärt und der Frau in ihren Gewissensqualen frisches Selbstbewusstsein verleiht.

Thomas Arnold inszeniert die deutsche Übersetzung von Kim Lagner pointiert und lässt seiner Protagonisten Zeit, ihre Ich-Erzählung der Geschehnisse komödiantisch auszuloten. Katja Weitzenböck ist die Frau, die sich in ihr Eheverhältnis eingefügt hat, doch die kleine Sehnsucht nach etwas Aufregung unbewusst in sich trägt. Mit Eigenironie kommentiert sie ihr anfangs verkrampftes Verhalten, verteidigt, entschuldigt und entblößt verschüttetes Begehren, macht sich lächerlich und ist doch so menschlich in ihrem kleinen Wollen und dem koketten Spiel um Anerkennung in einer bürgerlich normierten Umwelt der ehernen Moralgesetze. Nach anfänglicher Nervosität findet sich Katja Weitzenböck zunehmend in die Figur mit ihrem adrett glattgestrichenen Rock und den verborgenen Wünschen darunter ein und läuft zu Hochform auf. Harry Ermer am Klavier unterstützt akustisch die heiteren Gefühlswallungen.

Nächste Vorstellung am 30. September im Renaissance-Theater, Knesebeckstr. 100, Charlottenburg

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