Medusa hilft sich selbst
Ursula Burkowskis Rita geht ungewöhnliche Wege
Da hat sich Bitterkeit angesammelt, die nach innen frisst. Ihre Ehe war nichts, die DDR war nichts, der Westen ist nichts. Rita streicht sich selbst Lebensjahre weg und reagiert inzwischen abrufbar aggressiv, vergreift sich im Ton, rächt sich fürchterlich, wenn sie sich schlecht behandelt fühlt. Eine Medusa eben. Die Autorin wählte diese Figur aus der Mythologie zum Sinnbild, um die Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit ihrer Rita zu zeigen. Das gelang. Auch der gut aussehende Berater in der Arbeitsagentur soll am Ende ihre Rache zu spüren bekommen.
Neben den vielen Erfahrungen, die Ursula Burkowski auch als Mutter mit diesem Buch weitergeben will, beweist sie viel Fabulierkraft. So lässt sie ihre Rita Burk in guten Tagen Bewerbungen für die ungewöhnlichsten Arbeiten an Ministerien und Unternehmen schreiben. Diese Schreiben wurden tatsächlich abgeschickt.
Geschmückt mit dem Kanzlerwort »Es gibt nichts, was man nicht lernen kann«, bewirbt sich Rita als S-Bahn-Coach, als Schaufenster-Animateurin im KaDeWe, als Café-Assistentin, als Aktien-Sitter bei der Börse Berlin Bremen, als Händchen-Halterin im Domina-Studio, Verkehrserzieherin im Verkehrsministerium, Stopftechnikerin im Finanzministerium, Ministerfürsorgerin im Auswärtigen Amt und schließlich als wandelnde Agenda beim Regierenden Bürgermeister von Berlin. Da würde sie zur Not den roten Teppich vorm Rathaus von welken Blättern freihalten, verspricht sie im Arbeitsgesuch.
Arbeit bekommt sie dort natürlich nicht, aber tatsächlich Antwort von den entsprechenden Stellen, die man im Roman und an dessen Ende abgedruckt findet. Aus dem Roten Rathaus dankt man ihr für die »erfrischende Bewerbung«. Was auch die Autorin mit ihren Bewerbungen beabsichtigt haben mag - erfrischen wollte sie sicher keinen.
Vor allem im Bezirk Mitte spielt sich ab, was Rita erlebt. Von ihrer Plattenbauwohnung aus blickt sie auf drei Brücken. Da gehen ihre Gedanken auf Wanderschaft, wenn sie am Küchenfenster sitzt. In der kleinen Wohnung lebt sie mit ihrer erwachsenen Tochter, die zu ihr steht. Die Autorin beschreibt treffend Viertel und Milieu. Bei Straßen- oder Theaternamen nimmt sie es nicht so genau. Muss sie auch nicht in einem Roman. Warum auch immer fühlt sich die Autorin verpflichtet, dem Westmenschen in ihrem Roman Nachhilfe über die DDR zu geben. Wenn sich heute deren Mängel nicht bis ins letzte bayerische Dorf rumgesprochen haben, kann man so auch nicht mehr helfen. Wir haben das Jahr 2007. Jemanden, der ihrer Rita den Westen erklärt, findet man in dem Buch jedenfalls nicht.
Diskussionsstoff liefert Ursula Burkowski also reichlich mit ihrem Roman. Es stellt sich das Gefühl ein, dass sie bei mehr innerer Gelassenheit eine gute Kriminalautorin sein könnte. Fantasie besitzt sie, einen längeren Atem beim Erzählen bräuchte sie, ihre Sprache könnte durch die Kunst des Weglassens intensiver werden. Wenn sie will, dürfte all das kein Problem werden. »Es gibt nichts, was man nicht lernen kann.«
Ursula Burkowski: Medusa in der Platte, Verlag Fanny Zettl, 2007, Taschenbuch 288 S., 16,80 Euro.
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