Wiederbelebung der Verfassung?

Sven Giegold zu Demokratisierung der EU und linker Debatte um Europa

Sven Giegold ist Mitglied im Koordinierungskreis von Attac Deutschland.

ND: 16 europäische Attac-Sektionen haben »Zehn Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag« vorgelegt. Ein Beitrag zur Wiederbelebung der Verfassung?
Sven Giegold: Uns geht es nicht darum, die Verfassung als solche wiederzubeleben. Zumal ja immer wieder behauptet wird, der vorliegende Verfassungstext sei unabänderlich. Der zentrale Punkt für uns ist auch nicht, ob es nun Verfassung oder Vertrag heißt. Entscheidend ist, dass der noch gültige Nizza-Vertrag zu Ungerechtigkeiten in Europa beiträgt. Insbesondere deshalb, weil die sozialen und steuerlichen Regeln nationalstaatlich bleiben, während der Markt und das Kapital längst europäisiert sind. Mit unserer Initiative sagen wir nicht nur Nein zum vorliegenden Verfassungsvertrag, sondern wir präsentieren auch eine Alternative, wie man zu einem sozialen und ökologischen Europa kommt.

Wie sieht diese Alternative aus?
Unser Vorschlag umfasst zehn grundlegende Prinzipien. So geht es einmal um die Frage, wie man überhaupt zu einer Verfassung kommt. Der jetzige Text wurde im wesentlichen von alten Männern, die von Regierungen bestimmt wurden, ausgearbeitet. Wir meinen aber, dass die Versammlung, die eine Verfassung oder einen neuen EU-Vertrag vorlegt, in allgemeiner Wahl bestimmt werden sollte. Danach muss es einen offenen und demokratischen Prozess der Erarbeitung des Textes geben, zu dem auch die Zivilgesellschaft und andere Interessengruppen der Gesellschaft beitragen können. Anschließend müsste ein solcher Vertrag durch Volksabstimmungen angenommen werden.

Das sind mehr »demokratietechnische« Fragen.
Inhaltlich ist uns vor allem wichtig, dass alles aus dem Verfassungstext entfernt wird, was die Weichen in Richtung Militarisierung und Neoliberalismus stellt. So hat der Teil III, also praktisch die Ausführungsbestimmungen, in der Verfassung und auch im eigentlichen EU-Vertrag nichts zu suchen. Dahin gehören die institutionellen Prinzipien und die sozialen Rechte. Wenn man einen gemeinsamen Markt hat, müssen auch diese sozialen Rechte europäisch abgesichert werden. Und zwar nicht in allgemeinen Prinzipienerklärungen, sondern mit einer Zuständigkeit auf europäischer Ebene und mit Maßstäben, die genauso bindend sind wie beispielsweise die Maastricht-Kriterien.

Das Attac-Papier ist der erste international ausgearbeitete Alternativvorschlag zur Verfassung.
Das Interessante an dem Text ist, dass zwar die einzelnen Aspekte nicht unbekannt sind. Neu ist aber, dass sich ein europaweites Netzwerk, das sich ursprünglich gegen die Verfassung positioniert hat, jetzt gemeinsam einen positiven Vorschlag vorlegt. Das haben andere progressive Kräfte bislang nicht geschafft, weil es auch in der europäischen Linken unterschiedliche Auffassungen und Traditionen bei diesem Thema gibt.

Wo liegen diese Differenzen?
Es gibt beispielsweise in Skandinavien eine lange Tradition der Ablehnung steuerlicher und sozialer Standards auf europäischer Ebene. Die skandinavischen Attac sind jetzt einen Schritt weiter gegangen. Ein anderer Konfliktpunkt ist die europäische Sicherheitspolitik. Wir erheben in unseren Prinzipien sehr weitgehende Forderungen, was Abrüstung und die Ablehnung von Militäreinsätzen anbelangt. Das war für unsere französischen Freunde nicht einfach. Letztlich ist der Text ein Kompromiss. Aber er ist ein großer Schritt, um eine gemeinsame Position der Linken zu bilden, statt sich an einer Debatte aufzuhängen, ob man für oder gegen die EU ist.

Fragen: Uwe SattlerND: 16 europäische Attac-Sektionen haben »Zehn Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag« vorgelegt. Ein Beitrag zur Wiederbelebung der Verfassung?
Sven Giegold: Uns geht es nicht darum, die Verfassung als solche wiederzubeleben. Zumal ja immer wieder behauptet wird, der vorliegende Verfassungstext sei unabänderlich. Der zentrale Punkt für uns ist auch nicht, ob es nun Verfassung oder Vertrag heißt. Entscheidend ist, dass der noch gültige Nizza-Vertrag zu Ungerechtigkeiten in Europa beiträgt. Insbesondere deshalb, weil die sozialen und steuerlichen Regeln nationalstaatlich bleiben, während der Markt und das Kapital längst europäisiert sind. Mit unserer Initiative sagen wir nicht nur Nein zum vorliegenden Verfassungsvertrag, sondern wir präsentieren auch eine Alternative, wie man zu einem sozialen und ökologischen Europa kommt.

Wie sieht diese Alternative aus?
Unser Vorschlag umfasst zehn grundlegende Prinzipien. So geht es einmal um die Frage, wie man überhaupt zu einer Verfassung kommt. Der jetzige Text wurde im wesentlichen von alten Männern, die von Regierungen bestimmt wurden, ausgearbeitet. Wir meinen aber, dass die Versammlung, die eine Verfassung oder einen neuen EU-Vertrag vorlegt, in allgemeiner Wahl bestimmt werden sollte. Danach muss es einen offenen und demokratischen Prozess der Erarbeitung des Textes geben, zu dem auch die Zivilgesellschaft und andere Interessengruppen der Gesellschaft beitragen können. Anschließend müsste ein solcher Vertrag durch Volksabstimmungen angenommen werden.

Das sind mehr »demokratietechnische« Fragen.
Inhaltlich ist uns vor allem wichtig, dass alles aus dem Verfassungstext entfernt wird, was die Weichen in Richtung Militarisierung und Neoliberalismus stellt. So hat der Teil III, also praktisch die Ausführungsbestimmungen, in der Verfassung und auch im eigentlichen EU-Vertrag nichts zu suchen. Dahin gehören die institutionellen Prinzipien und die sozialen Rechte. Wenn man einen gemeinsamen Markt hat, müssen auch diese sozialen Rechte europäisch abgesichert werden. Und zwar nicht in allgemeinen Prinzipienerklärungen, sondern mit einer Zuständigkeit auf europäischer Ebene und mit Maßstäben, die genauso bindend sind wie beispielsweise die Maastricht-Kriterien.

Das Attac-Papier ist der erste international ausgearbeitete Alternativvorschlag zur Verfassung.
Das Interessante an dem Text ist, dass zwar die einzelnen Aspekte nicht unbekannt sind. Neu ist aber, dass sich ein europaweites Netzwerk, das sich ursprünglich gegen die Verfassung positioniert hat, jetzt gemeinsam einen positiven Vorschlag vorlegt. Das haben andere progressive Kräfte bislang nicht geschafft, weil es auch in der europäischen Linken unterschiedliche Auffassungen und Traditionen bei diesem Thema gibt.

Wo liegen diese Differenzen?
Es gibt beispielsweise in Skandinavien eine lange Tradition der Ablehnung steuerlicher und sozialer Standards auf europäischer Ebene. Die skandinavischen Attac sind jetzt einen Schritt weiter gegangen. Ein anderer Konfliktpunkt ist die europäische Sicherheitspolitik. Wir erheben in unseren Prinzipien sehr weitgehende Forderungen, was Abrüstung und die Ablehnung von Militäreinsätzen anbelangt. Das war für unsere französischen Freunde nicht einfach. Letztlich ist der Text ein Kompromiss. Aber er ist ein großer Schritt, um eine gemeinsame Position der Linken zu bilden, statt sich an einer Debatte aufzuhängen, ob man für oder gegen die EU ist.

Fragen: Uwe Sattler

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