Hoffnungsträger Gottfried Benn

Museum in Mansfeld soll Besucher anlocken - Beispiel für Sorgen der Prignitz

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Über Acker und Wiese liegt Bodennebel. Dann beginnt es zu regnen. Die Straße führt von der Stadt Putlitz in das vor fünf Jahren eingemeindete Dorf Mansfeld. Wir befinden uns in der Prignitz, wo es viel regnet und oft neblig ist, weit weg von Berlin und dem Speckgürtel - in einer Gegend, die keine der Stärken hat, die die Landesregierung mit Fördermitteln ausbauen möchte und deshalb von der Politik buchstäblich im Regen gelassen wird. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, liegt offiziell bei 20 Prozent und wird realistisch auf 40 Prozent geschätzt. Kein Wunder also, wenn Mansfeld nach einem Strohhalm greift und sich an den hier zwischenzeitlich vergessenen Sohn Gottfried Benn erinnert, eine Gedenktafel an sein Geburtshaus hängt und die Kirche zu einem kleinen Benn-Museum umfunktioniert. Dabei ist der Lebensweg des Schriftstellers Gottfried Benn (1886-1956) durchaus heikel. 1933 und 1934 begrüßte er in seinen Schriften »Der Neue Staat und die Intellektuellen« und »Kunst und Macht«, dass die Faschisten ans Ruder kamen. Benn avancierte zum Vizepräsidenten der Union nationaler Schriftsteller, die nach Plänen von Goebbels an die Stelle des aufgelösten deutschen PEN-Zentrums treten sollte. Immerhin begann der Literat mit den Jahren umzudenken. Die SS hielt seine Gedichte für »pervers«. In dem Zyklus »Morgue« etwa thematisierte Benn auf schockierende Weise seine ärztliche Tätigkeit in einem Leichenschauhaus. 1938 wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Nun durfte nichts mehr von ihm veröffentlicht werden. Doch ein Makel bleibt. Allerdings pocht Rainer Hasse, der zweite Vorsitzende des Mansfelder Gottfried-Benn-Förderkreises, da- rauf, dass sich der Schriftsteller später von den Nazis distanzierte. Das stimmt. Unbestritten ist die literarische Leistung. 1919 veröffentlichte Benn acht Gedichte in der »Menschheitsdämmerung«, einer berühmten Sammlung expressionistischer Lyrik. Große Namen wie Johannes R. Becher, Iwan Goll, Else Lasker-Schüler oder Franz Werfel sind da versammelt. Bis heute verkauften sich Hunderttausende Exemplare. Der Berliner Rainer Hasse fuhr 1994 erstmals nach Mansfeld. Ihm fiel auf, dass dort nichts an Benn erinnerte. Das sollte sich ändern. 2003 gründete sich der Förderkreis. Er verfolgt nicht zuletzt die Absicht, etwas zu schaffen, das Touristen anlockt. Immerhin, es gibt in Mansfeld einen Hofladen, erinnert Manfred Tanneberger. Er ist parteiloser Ortsteilbürgermeister und zugleich erster Vorsitzender des Förderkreises. Der Hofladen ist eine kleine Kammer in einem Schuppen. Auf den Regalen warten Honiggläser auf Käufer, die alte Dorfkirche auf Besucher. Sie ist vollgestellt mit Schautafeln über Gottfried Benn. Wie hier noch ein Gottesdienst stattfinden soll, fragt man sich. Aber für religiöse Zwecke wird das Gebäude fast gar nicht mehr genutzt. Ohne den Gottfried-Benn-Förderkreis würde es wahrscheinlich verfallen. Im Pfarrhaus kam Benn einst als Sohn des damals aktuellen und als Enkel des vormaligen Dorfgeistlichen zur Welt. Er blieb nicht lange dort, machte 1903 in Frankfurt (Oder) Abitur, studierte anschließend Medizin in Marburg und Berlin. Im Pfarrhaus leben heute Mieter. Wenn die Familie da ist, schließt sie Gästen die Kirche auf. Ist niemand da, bleibt der Weg zu Tannebergers. Das sind nur ein paar Schritte. Mansfeld besteht nur aus einer schmale Straße mit einer Kurve. Die gesamte Gegend wirkt schön und traurig zugleich. Seit Dezember fährt erstmals seit 110 Jahren kein Zug mehr von Putlitz nach Pritzwalk. Putlitz ist damit komplett abgekoppelt vom Schienenverkehr. Doch damit nicht genug. »Die Starken werden noch stärker gemacht, die Schwachen fallen gelassen«, schimpfte der Putlitzer Bürgermeister Bernd Dannemann (parteilos) übers neue Förderkonzept des SPD/CDU-Kabinetts in Potsdam. Putlitz verliere 168 000 Euro, die es bisher jedes Jahr vom Land gab. Dannemann rief im vergangenen Jahr zu zivilem Ungehorsam auf. Viel genützt hat der Widerstand nicht. Jeweils 54 000 Euro sind der Stadt Putlitz und einigen anderen Kommunen versprochen, um den Verlust abzufedern. Mit der einmaligen Zahlung bekomme man jetzt gerade so einen gedeckten Haushalt hin, erzählt Dannemann. Aber was wird im nächsten Jahr? Bibliothek, Freibad, Jugendklub und Seniorentreff sind gefährdet - Dinge, mit denen der Bürgermeister jetzt noch argumentieren kann, wenn er bittet: »Zieht doch nicht alle weg!« Von 2400 auf 1800 ist die Einwohnerzahl in den letzten 17 Jahren gesunken, nur die Eingemeindung der umliegenden Dörfer trieb die Zahl auf 3000 hoch. Aus dem Hamburger Telefonbuch könnte er so viele junge Männer und Frauen von hier raussuchen, dass es für zwei Löschzüge der Freiwilligen Feuerwehr reichte, erzählt Dannemann. Vom Tourismus erhofft er sich keine Wunder. »Das kann nur ein Zubrot sein.« Es kommen vornehmlich Tagesgäste. »Die bringen Stullen mit.«

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