Anomalie im Erdreich beunruhigt Oranienburg

Schon wieder rücken die Kampfmittelräumer an - 12 000 Menschen werden vorsorglich in Sicherheit gebracht

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn man in der Stadt Oranienburg (Oberhavel) und in deren Umgebung bei der systematischen Munitionssuche oder im Zuge sonstiger Arbeiten im Erdreich auf unbekannte Metallgegenstände trifft, steigt bei allen Betroffenen der Adrenalinspiegel. Denn häufig handelt es sich bei den Funden um gefährliche Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Ausgerechnet wenige Tage vor dem Weihnachtsfest macht sich erneut Unruhe breit.

Die Stadt ist Brandenburgs am stärksten mit Blindgängern und Munitionsresten verseuchter Ort. Oranienburg war bis 1945 für die Nazis ein bedeutendes Zentrum der Rüstungsproduktion und -forschung sowie ein wichtiger Verkehrsknoten. Tausende Tonnen Fliegerbomben, darunter allein rund 10 500 Großbomben, warfen die Alliierten deshalb schwerpunktmäßig auf die Auer-Werke in der Lehnitzstraße, den Bahnhof, die Heinkel-Flugzeugwerke in Annahof, den Flugplatz sowie SS-Depots ab. 300 große Blindgänger, zum Teil mit chemischem Langzeitzünder, werden noch im Boden vermutet.

Erst im September hatten Kampfmittelexperten auf einem privaten Baugrundstück eine amerikanische 250-Kilogramm-Fliegerbombe entschärft. Es war die 202. Großbombe seit dem Ende der DDR. Seit Mitte November sind die zuständigen Stellen, allen voran die Stadtverwaltung, bereits wieder in Alarmbereitschaft. Bei der systematischen Kampfmittelsuche am Louise-Henriette-Steg war ein metallischer Gegenstand im Boden festgestellt worden. Seither ist vorsichtig von einer »Anomalie im Erdreich«, von einem »Verdachtspunkt« die Rede. Noch können Ordnungsamt und Kampfmittelräumfirma nicht bestätigen, ob es sich bei dem in vier Meter Tiefe ausgemachten verdächtigen Gegenstand tatsächlich um einen Blindgänger handelt.

Wie die Stadtverwaltung mitteilte, werde planmäßig daran gearbeitet, möglichst rasch Klarheit zu schaffen. Um herauszufinden, womit man es zu tun hat, muss der Verdachtskörper freigelegt werden. Dazu haben die Experten in den vergangenen Tagen eine Anlage zur Absenkung des Grundwasserspiegels installiert und erfolgreich in Betrieb genommen. Nach Auskunft des Kampfmittelbeseitigungsdienstes des Landes Brandenburg soll am Dienstag genauer geklärt sein, ob es sich um eine Bombe handelt und ob diese noch einen Zünder hat.

Sollte dies der Fall sein, so trete sofort ein kleinerer Sperrkreis mit einem Radius von etwa 100 Metern rund um den Fundort in Kraft, hieß es in der Mitteilung der Stadt. Dieser müsse innerhalb von drei Stunden verlassen werden. Davon betroffen wären gut 200 Anwohner, das Louise-Henriette-Center sowie knapp 50 Gewerbebetriebe, zahlreiche Praxen und Büros.

Für den Fall, dass eine Bombenentschärfung vorgenommen werden muss, hat die Stadt am Mittwoch, dem 20. Dezember ab 8 Uhr einen 900-Meter-Sperrkreis eingerichtet. Von dessen Evakuierung wären dann unter anderem fast 12 000 Personen - nicht ganz ein Viertel der Einwohnerschaft - , sechs Kitas, neun Schulen sowie Stadt- und Kreisverwaltung betroffen. Auch der Bahnverkehr wäre an diesem Tag unterbrochen.

Die Sicherung des Sperrkreises würden Polizei und Wachschutz übernehmen, heißt es. Ab 8 Uhr würden Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr den Sperrkreis kontrollieren. Sie müssen sicherzustellen, dass sich keine unbefugten Personen im Sperrkreis aufhalten. Erst dann könne die Entschärfung beginnen. Geht alles gut, hofft man, gegen 11 Uhr die Entschärfung beginnen und gegen 15 Uhr abschließen zu können.

Für Bewohner des Sperrkreises und Betroffene evakuierter Einrichtungen werden Anlaufstellen in der behindertengerechten Turnhalle der Grundschule Germendorf und im nicht barrierefreien Kulturhaus »Friedrich Wolf« in Lehnitz vorbereitet. Die Verkehrsgesellschaft OVG richtet dafür einen Bus-Shuttle ein.

Die letzte S-Bahn wird um 7.51 Uhr den Bahnhof Oranienburg verlassen, die letzte S-Bahn Um 7.55 Uhr in Oranienburg ankommen. Wegen der folgenden Schließung des Bahnhofs richtet die S-Bahn Schienenersatzverkehr mit Bussen ab Birkenwerder ein. Der Fernverkehr rollt ab 8 Uhr ohne Halt durch Oranienburg und wird zu 11 Uhr eingestellt.

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