Fragen an die Angst

Die Angst ist heute allgegenwärtig - Stephan Fischer möchte einiges von ihr wissen

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 6 Min.

Stört es Sie, wenn ich Sie sieze? Sie scheinen gerade Hochkonjunktur zu haben, freut Sie das? Oder fühlen Sie sich überlastet? Sind Sie grausam oder gleichgültig? Mögen Sie lieber Kinder oder alte Menschen? Machen Sie auch mal Pause? Gab es schon einmal einen Tag ohne Sie auf der Welt? Was ist Ihnen lieber, die ganz große Existenzangst oder die klitzekleine Alltagsangst? Ist die Furcht Ihre Schwester? Oder doch eher die Cousine? Macht Ihnen Ihr Dasein Freude?

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Wo fühlen Sie sich wirklich zuhause? Im dunklen Keller oder auf dem einsamen Dachboden? Suchen Sie auch Obdachlose heim? Üben Sie in Angsträumen das Hausrecht aus? Und haben Sie in Safe Spaces Hausverbot? Haben Sie ein Lieblingsland? Treten Sie überall gleichzeitig oder ganz schnell hintereinander an verschiedenen Orten auf? Is there Angst on Mars? Können Sie überhaupt sein, wo keine Menschen sind? Sind Sie in den Menschen drin oder kommen Sie über sie?

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Haben Sie Freunde? Sitzen Sie manchmal mit der Sorge und dem Schreck zusammen? Schmieden Sie dann zusammen Pläne? Eher allgemeine zur Arbeitsteilung - oder ganz konkrete? Können Sie mir sagen, wann ich das nächste Mal Angst bekomme? Und ob ich sie wieder loswerde? Kann man um sein Leben laufen, wenn man Sie nicht im Nacken hat? Sind Sie der größere oder kleinere Teil der Angstlust? Wenn Sie masturbieren - machen Sie sich da selber Angst? Ist Ihnen das zu privat?

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Der Schreck fährt in die Glieder, Sie in die Knochen - wer ist eigentlich für das Herz und den Kopf zuständig? Wenn Sie Rache nehmen wollen: Bleiben Sie dann für immer oder kommen Sie immer wieder? Haben Sie schon einmal versagt? Also so richtig, so dass Sie überhaupt nicht zum Zuge gekommen sind? Sind Sie dann nachtragend? Bis ins letzte Glied der Familie? Fühlt sich dann der Schreck nicht auf den Schlips getreten? Spinnen, Höhe, Klaustrophobie - alles nur noch Routine? Langweilen Sie sich? Können Sie sich selbst noch überraschen?

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Was wirkt gegen Sie: Wissen, Glaube, Liebe, Hoffnung? Sind Sie mit dem Tod vorbei? Wenn Menschen in die Zukunft schauen könnten - hätten sie dann keine Angst mehr oder erst recht? Sie sprechen nicht gern über sich, oder? Waren Sie während der Großen Depression glücklich? Oder haben sie ein eher nüchternes Verhältnis zu den Folgen Ihres Wirkens? Hand aufs Herz - letzteres ging Ihnen doch 1937 so richtig auf? Oder 1942? Sparen Sie sich manchmal was für zu gute Zeiten auf? Sind Sie allein?

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Verbindet Sie mit dem Mut eine Art Hassliebe oder gehen Sie einander lieber aus dem Weg? Wenn einer jemand anderem Angst einjagen möchte - gelingt das immer mit den richtigen Mitteln, haben Sie da selbst auch noch eine Aktie dran? Oder sind Sie bloße Funktion? Also immer wieder erzeugbar, wenn man einmal den Dreh raus hat? Würde es Sie stören, nur ein vorletzter Grund zu sein? Sind Sie der, der Angst macht oder der, der Angst hat? »Angst«, was ist das eigentlich für ein komisches Wort? Dieses »ng« in der Mitte, müssen Sie da auch immer schlucken? Ist das so gewollt? Können Sie etwas für Ihren Namen?

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Haben Sie auch etwas zum Gespräch beizutragen? Würden Sie nicht auch wütend werden bei so viel Schweigen? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Wovor haben Sie denn selbst Angst? Dass man erkennt, wer Sie sind? Die große Angst, auf einmal ganz klein und sprachlos? Oder doch eher nach dem Motto: »Hättest Du geschwiegen, wärst Du Philosoph geblieben«? Bereitet Mut Ihnen Unbehagen? Einfach nur genervt von Neugier, weil Neuentdecktes Angst vorm Unbekannten verkleinert? Aber eröffnet nicht gerade das Neue, Unbekannte ganz neue Potenziale für Sie?

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Können Sie einen Menschen weiterbringen? Wenn ich von Ihnen profitieren wollte, was müsste ich tun? Sie überwinden? Oder Sie in andere Herzen pflanzen? Verursachen Sie eher Taten oder Unterlassungen? Lähmen Sie lieber oder stacheln Sie lieber an? Was halten Sie von Lebensversicherungen? Sicherheitsgurten? Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln? Verringern die Ihren Einfluss oder betreiben die im Gegenteil nicht sogar Ihr Geschäft? Wer länger lebt, hat länger Angst?

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Kommen Sie gerne nackt? Essen Sie wirklich Seelen auf? Befeuern Sie sich manchmal selbst? Sind Sie ansteckend? Wie kann ich mich vor Ihnen schützen? Das wollen Sie nicht verraten, oder? Erträgt man Sie besser in Agonie oder in Panik? Schweigend oder schreiend? Betend oder fluchend? Oder macht das am Ende gar keinen Unterschied?

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Nimmt Religion die Angst oder ist Religion letztendlich selber Angst? Haben Religionen mehr Angst erzeugt oder mehr Angst genommen? Wärmt das Fegefeuer Ihr Herz? Ärgert Sie die Ruhe, die eine Buddha-Statue ausstrahlt? Leben im Westen eigentlich mehr Muslime oder Menschen, die Angst vor dem Islam haben? Empfinden Sie die Gleichzeitigkeit von Trost und Angstmacherei nicht höchst verwirrend? Können Sie als Konstante im Leben selber tröstend wirken? Was würden Sie auf die Gretchen-Frage antworten? Halten Sie sich mit so etwas auf? Was hält Sie überhaupt noch hier?

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Sie können einen Menschen schneller laufen lassen als je zuvor in seinem Leben, können Sie ihn auch besser schreiben lassen als je zuvor? Was versteht Peter Handke vom Fußball? Warum sollte der Tormann beim Elfmeter Angst haben? Kann jemand, der nichts mehr zu verlieren hat, überhaupt Angst empfinden? Können Sie über Geisterbahnen lachen? Oder sind das eher so eine Art Franchise-Unternehmer für Sie? Sozusagen das McDonalds der Angst? Überall auf der Welt das gleiche schale Gefühl? Machen Sie um manche Weltgegenden lieber einen Bogen? Mögen Sie Sonnenuntergänge?

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Sind Sie ein guter Ratgeber? Kann man Ihnen eigentlich trauen, oder muss man sich selber trauen? Befallen Sie auch Tiere? Ist nicht jedes Lachen auch ein Akt gegen Sie? Oder ist selbst Lachen Angst? Sind es am Ende Sie, die den ganzen Laden, das Universum und den ganzen Rest am Laufen halten? Fühlen Sie sich dadurch geschmeichelt? Oder ist Ihnen das Ganze nicht geheuer? So ähnlich wie das Gerede von der Lebensweise, die man weiterführen müsste, um Terroristen nicht gewinnen zu lassen, was aber am Ende nur Einkaufen bedeutet und plötzlich sind da Betonpoller und Maschinenpistolen um Weihnachtsmärkte und scheele Blicke auf Kopftücher? Nicht ganz, denn das ist ja gar nicht Ihr Problem?

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Werden Sie überhaupt noch gebraucht? Betreiben nicht Recht und Gerechtigkeit, Alternative für, Freiheitliche und wie diese ganzen Synonyme für Angst und Spaltung heißen, Ihr Geschäft viel besser? Können Sie gegen eine gute »Bild«-Schlagzeile überhaupt noch anstinken? Denken Sie über Rückzug nach? Unterliegen Sie der Evolution? Steht die Angst 2.0 schon in den digitalen Startlöchern, eine selbstlernende Angstintelligenz (AI) vielleicht, gegen die klassische Angst so überholt wirkt wie die frühere Raserei beim Anblick eines nackten Knöchels angesichts der heutigen pornografischen Selbstverständlichkeiten allerorten? Wünschen Sie sich manchmal, einfach nur in Ruhe gelassen zu werden? Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Möchten Sie manchmal die Uhr zurückdrehen? Bereuen Sie etwas?

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Sind Sie mit Vorsicht sogar zu genießen? Empfinden Sie das Bild von sich als »altem Affen« erheiternd oder respektlos? Sind Sie treu oder eher flatterhaft? Was können wir in Zukunft noch von Ihnen erwarten? Sie sprechen eher durch Taten? Zumindest selten durch die Blume, oder? Können wir das Angesicht der Wahrheit auf Angst reduzieren? Macht Sie diese Wortklauberei müde? Haben Sie noch Fragen?

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