Finanzamt steigt den Huren nach

30 Euro Vorab-Gewerbesteuer pro Arbeitstag sollen Berliner Prostituierte ab April zahlen

  • Anke Engelmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Kein Gewerbeschein, aber Steuern zahlen: Immer noch wird das älteste Gewerbe der Welt diskriminiert.
Von A wie Arzt bis Z wie Zoohändler: Das Gewerbeamt erfasst jedes Gewerbe mit einer Kennziffer. Doch ausgerechnet das älteste Gewerbe der Welt bleibt dabei außen vor, weil es für die Gewerbebehörde keines ist: die Prostitution. Und das, obwohl seit der Einführung des Prostituiertengesetzes im Jahr 2002 Sexarbeit nicht mehr sittenwidrig ist. Seitdem können Huren Sozialabgaben wie Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung abführen und in Anspruch nehmen, Arbeitsverträge abschließen und Kunden, die nicht zahlen, strafrechtlich verfolgen. Gleichzeitig jedoch hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Gewerbe (BLA) seinerzeit Prostitution als nicht zulassungsfähiges Gewerbe klassifiziert. Auch ohne Gewerbeschein: Steuern zahlen müssen die Huren trotzdem, wenn sie Gewinn machen. Dabei müssen Einnahmen und Ausgaben fein säuberlich mit Rechnungen und Quittungen belegt und erfasst werden. Nicht nur lästig, sondern in vielen Fällen nicht zu leisten. Damit die Prostituierten nicht schwarz arbeiten, hat sich der Fiskus vielerorts etwas einfallen lassen. So soll in Berlin ab April das »Düsseldorfer Modell« eingeführt werden. Dabei werden die Betreiber der Bordelle in die Pflicht genommen und müssen für jede Sexarbeiterin eine Vorsteuer-Pauschale abführen. Denn das Betreiben von entsprechenden Etablissements wiederum ist gewerbefähig. Für die Berliner Prostituierten bedeutet die Regelung, dass jedesmal, wenn sie ihre Arbeitsstelle betreten, 30 Euro fällig werden - egal, wie viel sie tatsächlich verdienen. Dieser Betrag sei exorbitant hoch, kritisiert die Hurenorganisation Hydra. Das Finanzamt gehe von Einnahmen von 100 Euro täglich aus, so Hydra-Geschäftsführerin Katharina Cetin. Viel zu viel, vor allem, wenn sie der Prostitution nur als Nebenerwerb nachgehen. Zudem bekommen die Frauen und Callboys in den seltensten Fällen einen Beleg, mit dem sie sich am Jahresende per Steuererklärung zu viel gezahlte Vorsteuer zurückholen könnten. Abgesehen davon, dass beim Eintreiben der Pauschale auch die Anonymität flöten geht. Hydra schlägt eine Pauschale von zehn bis 15 Euro vor. Schluss mit der Diskriminierung fordert der Verein Dona Carmen aus Frankfurt (Main). Hier hat die Polizei eine besonders kreative Form des Steuereintreibens praktiziert: Mit Polizeikontrollen und Platzverweisen wurden Prostituierte, die aus EU-Ländern kommen, genötigt, sich Gewerbescheine auf Adressen Frankfurter Bordelle ausstellen zu lassen - und sich damit, weil sie nur ein »falsches« Gewerbe angeben können, strafbar zu machen, kritisiert der Verein. Und das, obwohl die Sexarbeiterinnen laut Doppelbesteuerungsabkommen das Recht hätten, den Obolus auch in ihren Heimatländern zu entrichten, so Dona-Carmen-Sprecherin Juanita Henning. Wenn sie jedoch hier einer Betriebsstätte zuzuordnen seien, müssten Einkommens- und Umsatzsteuer in Deutschland entrichtet werden, gibt sie Nachhilfe im Steuerdschungel. Der Verein hat die Stadt Frankfurt und die Polizei wegen Nötigung angezeigt. »Das hätte so nicht stattfinden dürfen«, bestätigt Hanns-Joachim Kühn, stellvertretender Leiter des Kassen- und Steueramtes in Frankfurt (Main). Gestern nun haben sich die hessischen Minister für Inneres und für Wirtschaft darauf verständigt, eine Lösung zu finden. Nicht auszuschließen, so Kühn, dass man sich in Hessen darauf einigen werde, den Gewerbe-Erlass der BLA aufzuheben. Nicht nur weil die Bordell-Betreiber zum verlängerten Arm des Finanzamtes gemacht werden, geriet das »Düsseldorfer Modell« in die Kritik: Neben dem fehlenden Datenschutz kritisieren Huren-Verbände auch die Ungleichbehandlung: Schließlich verdiene eine Domina mehr als eine normale Prostituierte, so Juanita Henning. Die Pauschale, die in Berlin am höchsten liegt, richtet sich in Stuttgart nach der Gegend: pro Arbeitstag 25 Euro im Innenstadtring, 15 Euro in der Außenstadt. In Düsseldorf und Dortmund zahlen Sexarbeiter 20 Euro, in Düsseldorf ab einem Einkommen von 100 Euro. In der Hauptstadt ist man immerhin aufgeschlossen und sucht gemeinsam nach einer besseren Lösung. Mit allen Beteiligten soll nun ein runder Tisch Prostitution eingerichtet werden. Ob die fatale Gewerberegelung auch in Berlin fallen wird, musste gestern allerdings offen bleiben. Der zuständige Sprecher der Finanz-Senatsverwaltung war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

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