Regierungsfernsehen Tagesschau
Kommunikationsforscherin vergleicht russische und deutsche Hauptnachrichtensendungen - und kommt zu dem Schluss, dass beide regierungsnah berichten
Die beiden Nachrichtensendungen »Tagesschau« und »Wremja« haben einiges gemeinsam, obwohl sie doch so ganz verschieden sind. Die eine ist die Nachrichtensendung eines öffentlich-rechtlichen Senders in Deutschland, die andere die Hauptnachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens. Die Unterscheidung zwischen »öffentlich-rechtlich« und »Staatsfernsehens« ist deshalb wichtig, weil ein öffentlich-rechtlicher Sender anders als ein Staatssender regierungsunabhängig sein sollte.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Daria Gordeeva kommt bezüglicher der »Tagesschau« zu einem anderen Urteil. Nicht nur »Wremja« berichte regierungsnah, dies treffe auch für die »Tagesschau« zu. Die in St. Petersburg aufgewachsene und heute in Deutschland lebende Wissenschaftlerin hat beide Nachrichtensendungen für ihre Master-Arbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) auf rund 90 Seiten untersucht, wie die »Tagesschau« von Dezember 2016 bis Mai 2017 über Russland berichtete und welches Bild von Deutschland und der deutschen Politik im gleichen Zeitraum von »Wremja« vermittelt wurde. Für ihre Abschlussarbeit wurde Gordeeva vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU mit dem dem »Best Thesis Award 2017« ausgezeichnet.
Gordeevas Resümee bezüglich der »Tagesschau« ist ernüchternd. »Russland als Aggressor, Putin als unberechenbarer, autoritärer, verbrecherischer Politiker ist ein ›common sense‹ der ›Tagesschau‹-Berichterstattung (...). Dem logischen, rationalen und guten Willen der westlichen Regierung werden zweifellos böse Absichten Russland gegenübergestellt. Durch den Verzicht auf Perspektivenwechsel konstruiert die ›Tagesschau‹ eine Wirklichkeit, in der das westliche Wertesystem als Bewertungsmaßstab gilt und Russland dagegen offenbar verstoße. Für positive Nachrichten aus Russland gibt es in dieser ›Tagesschau‹-Welt einfach keinen Platz.« Bezüglich einseitiger Berichterstattung sei die »Wremja« noch deutlicher als die »Tagesschau«, so Gordeeva. Deutschland werde als ein »Land am Abgrund, als ein unsicherer Ort mit einer verängstigten Bevölkerung, unprofessioneller Polizei, unzuverlässigen Sicherheitsdiensten und machtlosen Politikern« dargestellt. Demgegenüber erscheine die Politik der russischen Regierung als rational und verantwortungsbewusst.
Die beiderseitigen Einseitigkeiten führten »zu einer wachsenden Distanz zwischen beiden Nationen«, resümiert Gordeeva. Sie zitiert den FAZ-Autor Frank Lübberding, der 2014 zu Beginn der Ukraine-Krise anmerkte, dass »maßgebliche Teile der westlichen Politik« es »schlicht verlernt (haben), die Welt mit anderen Augen zu sehen«. Die »eigenen gesellschaftspolitischen Ideen« seien »zur einzigen Richtschnur politischen Handelns geworden«. Aber, so Gordeeva, »auch russische Journalisten und Politiker verzichten auf den Perspektivenwechsel und greifen auf gewohnte Muster, Klischees und bestehende Freund-Feind-Bilder zurück«.
Die Masterarbeit im Internet unter: medienblog.hypotheses.org/1001
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