Notarzt statt neuer Bürgermeister

In Lebus konnte wegen eines Zwischenfalls im Stadtparlament erneut nicht gewählt werden

Die Wahl eines neuen Bürgermeisters der Stadt Lebus (Märkisch-Oderland) ist auch im dritten Anlauf gescheitert. Die um 18.30 Uhr eröffnete Sitzung der Stadtverordnetenversammlung (SVV) musste am Donnerstag bereits nach wenigen Minuten unter dramatischen Umständen abgebrochen werden. Der älteste Stadtverordnete Joachim Neumann (CDU) erlitt einen Schwächeanfall. Der alarmierte Rettungswagen entfernte sich um 19.05 Uhr mit Blaulicht und Martinshorn.

Etliche Journalisten von Presse, Hörfunk und Fernsehen waren vor Ort. Ein Übertragungswagen parkte vor dem Eingang des Kulturhauses an der Kietzer Chaussee. Dies alles wegen der Vorgeschichte: In Lebus waren die Bürgermeisterin und ihre Stellvertreterin zurückgetreten. Im November 2017 bestimmte die SVV den Stadtverordneten Detlev Frye zum neuen Vizebürgermeister. Da es einen neuen Bürgermeister nicht gab, wäre Frye amtierender Bürgermeister gewesen und damit der erste AfD-Bürgermeister im Land Brandenburg.

Zusätzliches Aufsehen erregte, dass in geheimer Abstimmung offenbar auch CDU-Vertreter Neumann für Frye votiert hatte, ebenso wie die parteilosen Michael Karcher und Michael Buchheim, die bei der Kommunalwahl 2014 für die LINKE angetreten waren. Doch die Wahl Fryes wurde wegen eines Formfehlers für ungültig erklärt. Beim zweiten Anlauf zwei Wochen später erschienen dann nur vier Stadtverordnete. Das Parlament war deshalb nicht beschlussfähig.

Jetzt am Donnerstagabend kamen elf der 13 Stadtverordneten. Die Journalisten unter den 36 Zuschauern im Versammlungssaal wollten sehen, ob es Frye noch einmal probiert oder nicht. Hinter vorgehaltener Hand wurde indes verraten, dass es eine neue Strategie gebe. Bei der Kommunalwahl im Mai 2019 entscheiden die Einwohner, wen sie als ehrenamtlichen Bürgermeister haben wollen. Bis dahin sollte nichts mehr geschehen. Joachim Neumann als ältester Stadtverordneter würde einstweilen das Ruder in der Hand behalten.

Doch es kam einiges dazwischen. So meldete sich überraschend der 32-jährige Martin Thiel als Bürgermeisterkandidat, nachdem es erst geheißen hatte, SPD, CDU und LINKE hätten vergeblich eine Alternative zu AfD-Mann Frye gesucht. Bewerber Thiel ist den Stadtverordneten, die den Namen erst am Donnerstagmorgen hörten, aber kein Begriff. Dies in einer Kleinstadt mit lediglich 3000 Einwohnern, wo gewöhnlich jeder Aktive jeden kennt, der sich irgendwie kommunalpolitisch engagiert oder maßgeblich in einem Verein mitwirkt. Die daraus gezogene Schlussfolgerung: Martin Thiel müsse die notwendige Erfahrung fehlen. Er hätte deswegen bei der Wahl - die Urnen standen schon bereit - voraussichtlich keine Chance gehabt. Allerdings bekam Thiel auch keine Gelegenheit mehr, sich vorzustellen und die Stadtverordnetenversammlung vielleicht noch umzustimmen.

Denn bereits als Joachim Neumann die Sitzung eröffnete, und sich bitter darüber beklagte, dass die Medien sich nicht dafür interessieren würden, »wie gut oder schlecht es uns in Lebus geht und wie viel Geld wir für Investitionen haben«, merkten die Zuschauer, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmt. Denn der CDU-Kommunalpolitiker hielt das Mikrofon trotz mehrmaliger Aufforderung nicht an seinen Mund, sondern etwas schief neben seiner rechten Schläfe. Außerdem sprach Neumann undeutlich, redete enttäuscht davon, dass die Journalisten nur auf das »parteipolitische Blabla« aus seien. Oder sagte er »parteipolitisches Gebrabbel«? So genau war das nicht zu verstehen.

Dabei redet Neumann sonst immer klar und deutlich und niemals so durcheinander wie diesmal. Die ihn kennen, haben ihn noch nie so gesehen. Jemand rief: »Dem Mann geht es nicht gut.« Frye sprang auf und verkündete, man müsse die Sitzung unterbrechen. Sofort eilten mehrere Leute zu Neumann, schenkten ihm ein Glas Wasser ein und erkundigten sich nach seinem Wohlbefinden. Er wiegelte zwar ab, griff wieder zum Mikrofon und sagte: »Also wir machen weiter.« Aber es ging nicht mehr. Man führte ihn aus dem Saal und rief einen Notarzt, denn die Symptome deuteten auf einen Schlaganfall hin. Die Sitzung wurde für beendet erklärt. Einen neuen Termin gibt es noch nicht. Frye beschuldigte die Medien und insbesondere einen der anwesenden Redakteure, mit ihrer Vorberichterstattung derartig Druck erzeugt zu haben, dass Neumann nun zusammengebrochen sei. Der schwere Vorwurf vergiftete das Klima. Die Vokabel »Lügenpresse« schwang unausgesprochen mit.

Zur Verärgerung trug bei, dass Lebus offensichtlich unverschuldet in Haushaltsnot geraten ist. Die Stadt hätte vor Jahren von einem großen Unternehmen 1,2 Millionen Euro Gewerbesteuern einnehmen sollen. Sechs Prozent der Summe habe die Kommune ans Finanzamt abführen müssen und obendrein weniger Zuschüsse vom Land erhalten, heißt es. Tatsächlich habe das Unternehmen jedoch nie gezahlt.

In Lebus wird erzählt, Frye habe sich hier niemals fremdenfeindlich geäußert, sondern stets eine an der Sache orientierte Politik gemacht. Überhaupt spiele in Lebus das Parteibuch keine Rolle, ein in der Kommunalpolitik kleiner Städte und Gemeinden alltäglicher Befund. Frye wäre demnach ein geeigneter Bürgermeister.

Frye war aber früher unter AfD-Frontmann Alexander Gauland Pressesprecher der Landtagsfraktion und ist heute als Wahlkreismitarbeiter des Landtagsabgeordneten Franz Wiese beschäftigt. Frye und Wiese wird von Experten vorgeworfen, auf Kreis- und Landesebene die Radikalisierung innerhalb der AfD mindestens mitgemacht zu haben.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal