In der Falle der Gewalt

Nicolai Borger zeigt in »Liebe und Armut« menschliches Verhalten am Rande der Gesellschaft

Pola ist eine Hure, ihr Lebensgefährte Kretschmann Zuhälter und Drogendealer. Korittke ist ein etwas farbloser und zurückhaltender Postbote, seine Frau Piet ständig liebeshungrig. Was das eine Paar an Spannung zu viel hat, hat das andere zu wenig. Die Welten der beiden Paare berühren sich, es kommt zu einer dramatischen Auseinandersetzung. Unter der Regie von Rüdiger W. Kunze zeigt das Schauspiel Neukölln mit »Liebe und Armut« ein weiteres Stück ihres Hausautors Nicolai Borger, das in einer fiktiven Stadt spielt, im Grunde aber typische Großstadtphänomene beschreibt. Nicolai Borger leuchtet weniger die Motive von Menschen aus, die an den Rändern der Gesellschaft existieren, er empfindet ihr Verhalten auf der Bühne nach. Borgers Wesen sind im Kern gefühlsarme, auf ihre eingeschränkte Wirklichkeitssicht zurückgeworfene Geschöpfe, sie haben wenig Antworten und tragen deshalb zum Erhalt ihrer problematischen Umgebungen bei. Aber wie und wo können sie etwas anderes lernen? Zeitweilig erinnert ihr heftiges, aggressives Treiben an einen der Teufelskreisläufe, die der italienische Dichter Dante Alighieri in der »Göttlichen Komödie« zeichnete - Sinnbild für glückliche und unglückliche Zustände. Was sich auf der Bühne abspielt, fühlt sich manchmal bleiern schwer an, Borgers Gestalten fehlt es an jeder Leichtigkeit, tiefe Lebensfreude ist kein Gefühl, das sie in sich herstellen können. Kretschmann treibt es mit Piet, während seine Frau auf dem Boden ihren Drogenrausch ausschläft. Pola soll einen Drogenkurier ablenken, indem sie ihn bezirzt, damit Kretschmann ihn in aller Ruhe töten kann. Korittke kommt dahinter, dass ihn seine Frau mit Kretschmann betrügt, der Postbote dreht durch und ersticht den Drogendealer. Gewalt ist hier das primäre Mittel der Kommunikation, das wird in jedem Moment der Aufführung deutlich. Man kann sich zwar fragen, ob allein die Darstellung von Drogen, Gewalt und Lieblosigkeit schon einen sozialkritischen Aspekt in sich trägt, aber es bildet diese Realitäten ab, zeigt, was diese Welten am Laufen hält. Problematischen Wirklichkeiten, die immer auch ein Zerrspiegel von Gesellschaften sind, ein Gesicht zu geben, darin liegt ein Verdienst des Schauspiel Neukölln, das soziale Realitäten aufgreift und in seinen Zusammenhängen ausleuchtet. Hausautor Borger beschönigt nicht, seine Stücke sind auch nicht klischeefrei, aber was er zeigt, kommt den Realitäten auf der Straße sehr nahe. Da bleibt der Wunsch, dass auch mehr Betroffene sich das mal ansehen. »Liebe und Armut« ist gut und intensiv inszeniert, leidenschaftlich und glaubwürdig gespielt. Nur die drogenabhängige Hure Pola ist manchmal eine Spur zu übertrieben dargestellt. Es spielen Natascha Menzel, Anke Rupp, Gesine Ulrich, Paul-Alexander Aubin, K...

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