Du musst kein Superstar sein

Tinka Tarelkin setzt als Leiterin des Kinderensembles im Friedrichstadtpalast auf Teamgeist

  • Almut Schröter
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
An der Wand ihres kleinen merkwürdig geschnittenen Büros im Labyrinth der Gänge des Friedrichstadtpalastes hängt ein Bild, das eine Tänzerin zeigt. Das soll Tinka Tarelkin sein - im Tütü -, sie tanzt Spitze. Eigentlich heißt sie Christina. Kein Mensch sagt das hier. Umzingelt ist die eingerahmte Zeichnung von aufgeklebten Fotos. Sie zeigen Gesichter von jungen Mädchen. Manche sehen ein bisschen wehmütig in die Kamera. Das Bild ist ein Abschiedsgeschenk von 16-Jährigen, die im vergangenen Jahr das Kinderensemble verließen, wo sie in Tanz oder Schauspiel unterrichtet wurden.
Diese Abschiede seien immer fürchterlich traurig, sagt die Leiterin des Kinderensembles. Etwa fünf Prozent von ihnen gehen in einen künstlerischen Beruf. Iris Radunz beispielsweise, die 1975 bis 1984 bei Kinderrevuen in der Friedrichstraße in der Sprechergruppe mit auf der Bühne stand und Schauspielerin wurde, hat gerade selbst ein Kinderkrimimusical im Berliner Kriminaltheater auf die Bühne gebracht. Und so manche Ehemalige lassen ihre Kinder gern bei Tinka Tarelkin und ihren Kollegen ausbilden oder kommen nur mal so zu Besuch. Dann hört man mitunter Sätze wie »Hier riechts ja noch wie früher«.
Wer sich völlig anderen Berufen zuwandte, nahm aus seiner Bühnenzeit für sein Leben Disziplin, Leistungswillen und Durchhaltevermögen mit. »Das kann im richtigen Leben da draußen hilfreich sein. Auf Konkurrenzdruck, der dort gebraucht wird, baut sich die Arbeit hier allerdings nicht auf. Meine drei Kolleginnen Suzann Bolick, Petra Grube und Bärbel Heidel und ich setzen im Kinderensemble auf Teamgeist. Sicher hat der eine oder andere kleine Darsteller mal einen Höhenflug. Da holen wir ihn dann wieder runter«, lacht die 44-Jährige.
Mitunter würden Eltern ihrem Kind vor dem Casting einschärfen, es müsse nun Superstar werden. Diese Last wird den Kindern im Friedrichstadtpalast wieder von den schmalen Schultern genommen. Spaß machen soll es ihnen, wofür sie trainieren. Talent sollen sie mitbringen, nicht etwas perfekt Einstudiertes.
Ob sie aus Ost oder West kommen, ob sie deutsche, türkische, italienische, französische oder russische Eltern haben, auch all das spielt keine Rolle. Das Ensemble ist multikulturell. Das Thema Raketenstart aus dem Nichts hat Tinka Tarelkin auf eine andere Art umgesetzt. Sie choreografierte das Musical mit dem Orchester Ungelenk »Roswitha Krause Superstar« mit größtem Vergnügen.
Tinka Tarelkin sah ihre künstlerische Laufbahn als Kind auch locker. Sie begann ihren Weg in einer Tanzgruppe im damaligen Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft in Mitte, das heute Palais am Festungsgraben heißt. Als dort gebaut wurde, trainierten die Kinder im Friedrichstadtpalast. Sie blieb 1976 »hier hängen«, sagt sie. Nach der Schule kamen die Lehre als Wirtschaftskauffrau und eine Ausbildung als Trainingsmeisterin. Sie studierte Tanz und Choreografie in Leipzig.
Und dann - endlich wieder Berlin - hieß es 1988, in Hellersdorf werde eine Musicalschule aufgebaut. Daraus wurde nichts. Die Choreografin scherzt, sie hätte den Friedrichstadtpalast regelrecht umschlichen. Ab 1991 gab sie dort Training, stieg in die Choreografie mit ein, bewarb sich dann auf eine Ausschreibung und wurde im Jahr 2000 Leiterin des Kinderensembles.
Die Verantwortung für die Ausbildung von 280 Kindern trägt sie mit dem Gleichgewicht von Ernsthaftigkeit und fröhlicher Ausstrahlung. Schließlich bewahrt sie etwas Einzigartiges. Dahinter, sagt sie, steht das ganze Haus. Dieses Kinderensemble, das im vergangenen Jahr seinen 60. Geburtstag feierte, ist unverzichtbar für den Friedrichstadtpalast, für Berlin.
Begeistert erzählt Tinka Tarelkin davon, dass der Friedrichstadtpalast Pate dafür stand, dass es nun in Bremen auch kontinuierliche theaterpädagogische Arbeit mit Kindern gibt. Ein langfristig angelegtes Projekt, das sie und ihre Kollegen aufbauen halfen und das dort hoffentlich »seinen Weg« gehe. Die Begeisterung war jedenfalls unglaublich bei den Aufführungen. Die Zuschauer sangen mit. Für Oktober hat »Die Revue-Bande« im Musical Theater Bremen seine nächsten Aufführungen geplant. Was sie zeigt, war in Berlin schon sehr gut angekommen. Der Friedrichstadtpalast ist schließlich berühmt dafür, dass bewährte Profis Uraufführungen für Kinder mit derselben Ernsthaftigkeit produzieren, wie das bei Revuen für Erwachsene üblich ist.
Nun werde es Zeit, dass das Stück auf die Bühne komme, hörte man von Tinka Tarelkin vor den Premieren schon. Die Kinder sind dann wie elektrisiert. Davon kann dann ihr Mann ein Lied singen. »Du arbeitest ja nur noch«, muss sie sich anhören. Aber was solls. Ehemann Lothar Tarelkin ist Schauspieler und Autor. Er kennt schließlich das ganze Theater.
Die Arbeit mit Kindern ist von Ehrlichkeit geprägt und der Kraft, sie immer neu zu motivieren. Man kann ihnen ohne Umschweife Kritisches sagen. »Dafür muss man aber auch ihre Direktheit aushalten. Sie melden sich schon, wenn sie sich ungerecht oder zu hart behandelt fühlen oder andere Erwartungen hatten«, erzählt die Choreografin.
Ulkig sei das manchmal. Gerade ist die Besetzung für die neue Kinderrevue »Der Zauberer von Camelot« bekannt geworden, die Ende Oktober große Premiere haben wird. Da wechseln zwar die Bilder, aber die jungen Darsteller bleiben in ihren Rollen. »Was denn«, haben sie schon verwundert gefragt. »Für jeden nur ein Kostüm?«

www.friedrichstadtp...

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