Mit erhobenem Haupt
Ein Flüchtling aus der berüchtigten Colonia Dignidad berichtet
»Mit dem Titel des Buches "Geboren im Schatten der Angst" wollte ich dieses Gefühl der Angst, welches in der Schattenwelt der Colonia Dignidad ständig präsent ist, deutlich machen. Es ist eine Gespensterwelt ohne Gefühle, in der leblose Schatten hin und her huschen.« 32 Jahre lebte Klaus Schnellenkamp in der berüchtigten Colonia Dignidad, ein 140 Quadratkilometer großes und abgeschottetes Gebiet in Chile. 2004 gelang ihm die Flucht. Jetzt legte er ein Buch über das Martyrium seiner Jugend und seinen Weg in die Freiheit vor.
ND: Sie wurden 1972 in der Colonia Dignidad, der so genannten »Kolonie der Würde«, geboren. Wie werten Sie diese rückblickend?Schnellenkamp: Die Colonia Dignidad war für mich eine klassische Mischung aus religiösem Sektenwahn, nationalsozialistischen Wurzeln und Anwendung von Nazi-Methoden. Die Kolonie gab sich einen gemeinnützigen Samariterschein, zur Tarnung internationaler Geheimdienstaktivitäten und Waffenhandel. Kinderschänder Paul Schäfer hat es fertiggebracht, von einem unscheinbaren Fleck dieser Erde aus internationale Normen zu unterwandern. Im Schatten des Kalten Krieges konnte er korrumpierende Fäden ziehen, ohne selbst behelligt zu werden.
Paul Schäfer war seit 1996 auf der Flucht und wurde 2006 zu 20 Jahren Haft verurteilt. Haben Sie ihn persönlich kennen gelernt?
Ja. Ich lernte ihn als einen Mann kennen, dessen charismatischer Idealvater und Leitbild Adolf Hitler war. Er beanspruchte ähnlich wie Hitler alle weltlichen und religiösen Instanzen für sich. Gleichzeitig ignorierte und verfluchte er sie. Es wurden meisterhaft Gestapo-Mechanismen angewandt. Unterdrückung und Diffamierung, selbst unter Familienangehörigen, waren normal. Schäfers Terrorapparat gipfelte in Foltermethoden, wie man sie von den Nazis kennt. Aber gerade auch der psychische Terror hat zu kranken Gehirnen geführt.
Hatten Sie gar keinen Kontakt zur Außenwelt?
Nicht wirklich. Die Kolonie war gezeichnet von einer totalen Kontrolle der Binnenkommunikation und der totalen Abschottung von äußeren Einflüssen. Die Folge war die restlose und existenzielle Abhängigkeit der Mitglieder. Dieser pseudospirituelle Feldzug in die perfekte Verwirrung ermöglichte es diesem einen Menschen mit seiner Führungs-Clique, in seinem trefflich durchorganisierten Reich zu foltern, zu töten, zu entwürdigen, zu missbrauchen und zu vergewaltigen.
Warum haben die internationale Staatengemeinschaft und Chile die Colonia Dignidad so lange unangetastet gelassen?
Das ist eine Kardinalfrage. Ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg, das ist aktenkundig, lagen schon Anzeigen gegen Paul Schäfer wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger vor. Doch erst 60 Jahre später konnte gegen den Kinderschänder ein erstes Urteil gesprochen werden. Warum hat die Welt zugeschaut oder besser weggeschaut und nicht interveniert? Amnesty International hat über 20 Jahre lang ergebnislos einen Prozess geführt. Die Bundesregierung hat immer wieder versucht, Schäfer zu Leibe zu rücken. Vergebens.
Die Colonia Dignidad hat seit ihrem Bestehen immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt.
Das ist ja das Skurrile. Überall auf der Welt erfährt man etwas über die Colonia Dignidad. Der einzige Ort, an dem man die verbrecherischen Strukturen der Kolonie nicht durchschaut, ist dieses pädophile Hoheitsgebiet selbst. Dank Schäfers Strategie, die Grenze zwischen Tätern und Opfern zu verwischen.
Und noch heute schweigen Mitglieder der Colonia Dignidad.
Nicht nur von den einst engsten Vertrauten Schäfers, auch von den von ihm Verführten will heute kaum jemand etwas gewusst haben, selbst mein Vater, mein biologischer Vater, will von Schäfers Vergewaltigungen und Missbräuchen nichts mitbekommen haben. Andere leugnen politische Schmutzarbeit, die sie in Schäfers Diensten taten, Mord und Waffenhandel. Das überrascht nicht, denn sie waren ja selbst darin verstrickt.
Wie ist Ihnen die Flucht aus der Kolonie gelungen?
Mit zwölf Jahren habe ich zum ersten Mal versucht zu fliehen. Diesen gescheiterten Fluchtversuch hätte ich beinahe mit dem Leben bezahlt. 2004 habe ich es geschickter angestellt. Ich bin nicht bei Nacht und Nebel geflohen, sondern bin - einen günstigen Augenblick nutzend - mit erhobenem Haupt hinausspaziert.
Fragen: Steffen Meyer
Klaus Schnellenkamp: Geboren im Schatten der Angst. Ich überlebte die Colonia Dignidad. Herbig Verlag, München 2007. 238 S., geb., 19,90 EUR.ND: Sie wurden 1972 in der Colonia Dignidad, der so genannten »Kolonie der Würde«, geboren. Wie werten Sie diese rückblickend?
Schnellenkamp: Die Colonia Dignidad war für mich eine klassische Mischung aus religiösem Sektenwahn, nationalsozialistischen Wurzeln und Anwendung von Nazi-Methoden. Die Kolonie gab sich einen gemeinnützigen Samariterschein, zur Tarnung internationaler Geheimdienstaktivitäten und Waffenhandel. Kinderschänder Paul Schäfer hat es fertiggebracht, von einem unscheinbaren Fleck dieser Erde aus internationale Normen zu unterwandern. Im Schatten des Kalten Krieges konnte er korrumpierende Fäden ziehen, ohne selbst behelligt zu werden.
Paul Schäfer war seit 1996 auf der Flucht und wurde 2006 zu 20 Jahren Haft verurteilt. Haben Sie ihn persönlich kennen gelernt?
Ja. Ich lernte ihn als einen Mann kennen, dessen charismatischer Idealvater und Leitbild Adolf Hitler war. Er beanspruchte ähnlich wie Hitler alle weltlichen und religiösen Instanzen für sich. Gleichzeitig ignorierte und verfluchte er sie. Es wurden meisterhaft Gestapo-Mechanismen angewandt. Unterdrückung und Diffamierung, selbst unter Familienangehörigen, waren normal. Schäfers Terrorapparat gipfelte in Foltermethoden, wie man sie von den Nazis kennt. Aber gerade auch der psychische Terror hat zu kranken Gehirnen geführt.
Hatten Sie gar keinen Kontakt zur Außenwelt?
Nicht wirklich. Die Kolonie war gezeichnet von einer totalen Kontrolle der Binnenkommunikation und der totalen Abschottung von äußeren Einflüssen. Die Folge war die restlose und existenzielle Abhängigkeit der Mitglieder. Dieser pseudospirituelle Feldzug in die perfekte Verwirrung ermöglichte es diesem einen Menschen mit seiner Führungs-Clique, in seinem trefflich durchorganisierten Reich zu foltern, zu töten, zu entwürdigen, zu missbrauchen und zu vergewaltigen.
Warum haben die internationale Staatengemeinschaft und Chile die Colonia Dignidad so lange unangetastet gelassen?
Das ist eine Kardinalfrage. Ein Jahr nach dem Zweiten Weltkrieg, das ist aktenkundig, lagen schon Anzeigen gegen Paul Schäfer wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger vor. Doch erst 60 Jahre später konnte gegen den Kinderschänder ein erstes Urteil gesprochen werden. Warum hat die Welt zugeschaut oder besser weggeschaut und nicht interveniert? Amnesty International hat über 20 Jahre lang ergebnislos einen Prozess geführt. Die Bundesregierung hat immer wieder versucht, Schäfer zu Leibe zu rücken. Vergebens.
Die Colonia Dignidad hat seit ihrem Bestehen immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt.
Das ist ja das Skurrile. Überall auf der Welt erfährt man etwas über die Colonia Dignidad. Der einzige Ort, an dem man die verbrecherischen Strukturen der Kolonie nicht durchschaut, ist dieses pädophile Hoheitsgebiet selbst. Dank Schäfers Strategie, die Grenze zwischen Tätern und Opfern zu verwischen.
Und noch heute schweigen Mitglieder der Colonia Dignidad.
Nicht nur von den einst engsten Vertrauten Schäfers, auch von den von ihm Verführten will heute kaum jemand etwas gewusst haben, selbst mein Vater, mein biologischer Vater, will von Schäfers Vergewaltigungen und Missbräuchen nichts mitbekommen haben. Andere leugnen politische Schmutzarbeit, die sie in Schäfers Diensten taten, Mord und Waffenhandel. Das überrascht nicht, denn sie waren ja selbst darin verstrickt.
Wie ist Ihnen die Flucht aus der Kolonie gelungen?
Mit zwölf Jahren habe ich zum ersten Mal versucht zu fliehen. Diesen gescheiterten Fluchtversuch hätte ich beinahe mit dem Leben bezahlt. 2004 habe ich es geschickter angestellt. Ich bin nicht bei Nacht und Nebel geflohen, sondern bin - einen günstigen Augenblick nutzend - mit erhobenem Haupt hinausspaziert.
Fragen: Steffen Meyer
Klaus Schnellenkamp: Geboren im Schatten der Angst. Ich überlebte die Colonia Dignidad. Herbig Verlag, München 2007. 238 S., geb., 19,90 EUR.
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