Herr Kindervater von der LINKEN

Ehrlicher Film über einen Bürgermeisterkandidaten und die Mühen der Kommunalpolitik

»Hier tritt kein einzelner Mensch an, um persönlich etwas zu werden, sondern hier tritt eine Plattform an, hier tritt eine Idee an, hier tritt ein Neuenhagen an, das man wählen kann oder auch nicht«, sagt Sven Kindervater. Der 30-Jährige ist 2008 als »kleiner Knirps« in die Linksfraktion der Gemeinde Neuenhagen bei Berlin (Märkisch-Oderland) und damit in die Kommunalpolitik »reingestolpert«, wie er es formuliert. Inzwischen ist er Linksfraktionschef. Aber das soll es noch nicht gewesen sein. Bei der Bürgermeisterwahl am 25. Februar bewirbt er sich um den Posten des Rathauschefs.

Aber es wirkt so, als wolle er gar nicht allein Bürgermeister werden, als wolle er nur sein Gesicht leihen - und natürlich auch seinen Verstand und sein Herzblut - für alle rund 18 000 Einwohner, die sich dann stärker einbringen dürfen und mitbestimmen, wie Neuenhagen im Jahr 2026 aussehen soll. Passend dazu hat er ein Team zusammengestellt. Eine 30-minütige Doku, die am Freitagabend nach Redaktionsschluss im Neuenhagener Bürgerhaus vorgeführt werden sollte, zeigt Szenen aus dem Wahlkampf und gibt überraschend ehrliche Einblicke, wie das Team Kindervater seine moderne Kampagne plante. Zu Wort kommen Kindervater selbst sowie seine Presseverantwortliche Faina Dombrowski, sein Berater Marian Krüger und die stellvertretende Linksfraktionschefin Angela Kann.

Der Streifen erinnert ein wenig an den preisgekrönten Dokumentarfilm »Herr Wichmann von der CDU«. Regisseur Andreas Dresen hatte dafür im Bundestagswahlkampf 2002 den CDU-Kandidaten Henryk Wichmann begleitet und dabei unfreiwillig komische Augenblicke eingefangen.

Erstaunlich, dass dies nun dem Fotografen Matthias Gottwald, der auch Musikvideos und Imagefilme dreht, in einem Auftragswerk mit viel bescheideneren Mitteln ebenfalls gelingt. Höchst erstaunlich, dass Team Kindervater dies zugelassen und nicht einfach einen gewöhnlichen Wahlwerbespot verlangt hat. Aber das beweist Größe und Einsicht, auch auf die Schwächen des Kandidaten Kindervater einzugehen, was ihn ja andererseits menschlich und sympathisch macht.

Sven Kindervater saß mal im LINKE-Landesvorstand und hielt auf Parteitagen kluge Reden. Aber er wirkte dabei oft ein bisschen oberlehrerhaft. Das war kein Zufall, hat er doch Politikwissenschaften und Englisch für die Laufbahn eines Pädagogen studiert. Zwar schlug Kindervater, der als Assistent in den Bereichen Kundengewinnung, Markenaufbau und Kampagnenführung jobbte, einen anderen Weg ein, ist seit 2016 selbstständiger Trainer in der Unternehmensberatung. Doch ein bisschen kam die Ausbildung früher immer durch. Es hat Pfiff, dass die Doku die weniger schmeichelhaften Charakterzüge nicht ausblendet, sondern den Kandidaten so vorstellt, wie er wirklich ist - nicht stromlinienförmig, nicht perfekt, aber lernfähig und darum unter dem Strich doch ideal.

So verrät Berater Krüger: »Seine Ungeduld ist seine größte Stärke, aber auch seine größte Schwäche.« Und die Presseverantwortliche Dombrowski plaudert unbefangen, als sie Kindervater vor acht Jahren in einer Bürgerinitiative kennen gelernt habe, sei er ihr »revoluzzermäßig« und »stark polarisierend« vorgekommen. »Er hat in unserer Fluglärmgruppe ziemlich viel Staub aufgewirbelt.« Sie hatte ihn für sich unter der Rubrik »Steinewerfer« abgespeichert. Doch als er sie nun in sein Wahlkampfteam einlud, da war sie überrascht, »wie kritikfähig er geworden ist«, wie bereit, auf Ratschläge zu hören. Dann kommt ein schöner Witz: »Was ich heute an ihm gar nicht mag? Seinen Pferdeschwanz.«

Kindervater selbst gesteht, dass es ihm manchmal schwer gefallen sei, etwas zu ändern, von dem er eigentlich überzeugt gewesen sei. Aber im Nachhinein würde er es nicht anders machen, sagt er. Nach einer Veranstaltung mit 650 Personen habe ihm sein Team zwar versichert, dass er es im Prinzip ganz gut gemacht habe, ihm aber vor allem seine Fehler aufgezählt. »Ich brauche das«, betont er. Den Hinweis: »Da ist noch mehr drin.«

Andererseits sei der Druck auch anstrengend. »Es gibt die Leute, die einen wählen sollen. Es gibt die Leute, die einen wählen wollen. Man soll auf gar keinen Fall Fehler machen. Man soll auf gar keinen Fall etwas Falsches sagen.« Einmal habe man sich auf einer Teamsitzung eine Stunde lang einfach nur erzählt, wie belastend das sei. Sich wohl und zu Hause fühlen kann Kindervater in der Linksfraktion, die mehrheitlich aus Parteilosen besteht. Die Tradition der offenen Liste wird gepflegt, und es gibt keine zwanghafte Fraktionsdisziplin. Es darf in der Gemeindevertretung unterschiedlich abgestimmt werden.

Die Presseverantwortliche im Wahlkampfteam ist auch nicht in der Linkspartei. Sie sei ideologisch sogar ziemlich weit weg von den Sozialisten, erklärt sie. »Aber ich finde die Themen, die Sven Kindervater anschneidet, sehr, sehr wichtig.«

team-kindervater.de

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