Energierechnungen ungewöhnlich hoch?

Fragen & Antworten zu BGH-Urteilen: Rechte der Mieter gestärkt

  • Lesedauer: 4 Min.

Kann es sein, dass in einem normalen Haushalt der abgerechnete Stromverbrauch plötzlich auf das Zehnfache steigt? Warum soll ein Mieter im Mehrfamilienhaus auf einmal fast die Hälfte der Heizenergie verbraucht haben, obwohl seine Wohnung nicht einmal 13 Prozent der Gesamtfläche ausmacht? Solche Fälle lösen regelmäßig Streit aus.

Jetzt hat der Bundesgerichtshof in zwei Urteilen vom 7. Februar 2018 (Az. VIII ZR 148/17 und Az. VIII ZR 189/17) klargestellt, dass Mieter oder Kunden dabei nicht die Beweislast tragen müssen.

Worum wurde gestritten?

Die Stromrechnung betraf ein Ehepaar in einem Einfamilienhaus, in dem zeitweise auch ein Enkel lebt. Der Oldenburger Versorger EWE forderte nach einer Ablesung für ein Jahr mehr als 9000 Euro Nachzahlung für einen Stromverbrauch von gut 32 000 Kilowattstunden. Das Ehepaar zahlte nicht, weil es von einem Fehler ausging. EWE ließ den Zähler untersuchen und blieb bei der Summe.

In einem anderen Fall ging es um die Heizkostenabrechnung einer 94 Quadratmeter großen Wohnung in einem etwa 720 Quadratmeter großen Haus in Heppenheim (Hessen). Für die Jahre 2013 und 2014 sollen die Mieter mehr als 7300 Euro Heizkosten zahlen. Ihnen wurden einmal 42 und einmal 47 Prozent der gemessenen Verbrauchseinheiten zugerechnet. Die Mieter finden das nicht plausibel. Der Vermieter verweigert die Einsicht in die Unterlagen der Ablesung.

Was haben die Vorinstanzen entschieden?

Das Landgericht (LG) Oldenburg verurteilte die EWE-Kunden zur Zahlung der Rechnung. Doch das Oberlandesgericht Oldenburg sah das anders. Es gebe angesichts des eher bescheidenen Lebensstils der Beklagten keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie die Strommenge selbst verbraucht hätten.

Im Fall der Heizkosten hatte die Vermieterseite in beiden Instanzen (Amtsgericht Bensheim und LG Darmstadt) Erfolg. Die Mieter müssten darlegen, warum die in Rechnung gestellten Heizkosten nicht berechtigt seien. Eine Einsicht der Mieter in die Abrechnungsunterlagen hielt das LG nicht für nötig.

Wie begründete der BGH seine Entscheidungen?

Im Falle der Heizkosten wurde das Landgericht heftig kritisiert. Dort sei alles schief gegangen, was schief gehen konnte. Der für das Mietrecht zuständige Senat des BGH stellte klar, dass die Darlegungs- und Beweislast beim Vermieter liege. Selbstverständlich habe der Mieter ein umfassendes Einsichtsrecht. Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und wies die Klage als unbegründet ab.

Um die EWE-Stromrechnung durchzusetzen, reicht es nach der Entscheidung des BGH nicht, dass das Unternehmen die Funktionsfähigkeit des Stromzählers überprüfen ließ. Beim Zehnfachen des Vorjahresverbrauchs bestehe »die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers«, der nach Paragraf 17 der Stromgrundversorgungsverordnung zur Zahlungsverweigerung berechtige. Der Versorger müsse den Beweis antreten, dass sein Kunde den Strom tatsächlich verbraucht habe. Der BGH bestätigte das OLG-Urteil.

Was sagen Verbraucherschützer?

Falls der Energieversorger in Streitfällen einen Stromzähler nicht aufbewahre, müsse es zu einer Beweislastumkehr kommen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie ein Drei-Personen-Haushalt zu solchem Stromverbrauch kommen soll. Heizkostenabrechnungen seien ein komplexes Thema, das besonders Mieter oft nicht durchschauen könnten. Die Erfahrungen zeigen: Ein Drittel der Abrechnungen sind falsch, bei einem Drittel bestehen begründete Zweifel an der Richtigkeit und nur etwa ein Drittel ist korrekt.

Was sind die Folgen der BGH-Entscheidungen?

Im Falle der Heizkostenabrechnung darf kein Vermieter den Einblick in die Ablese- und Abrechnungsunterlagen verweigern. Sie sind in der Pflicht, die Korrektheit ihrer Forderungen eindeutig nachzuweisen.

Das Urteil zum Stromverbrauch bereitet den Versorgern wie EWE Probleme. Sie müssten sich künftig mit der Frage befassen, auf welche Weise der Mehrverbrauch im Haushalt eines Kunden zustande gekommen ist, obwohl der Zähler intakt und die Ablesung korrekt ist. Dies sei jedoch schlicht unmöglich, da es die private Lebensführung des Kunden betreffe und das Vertragsverhältnis am Zähler ende, so ein EWE-Sprecher. Zunächst wollen man jedoch die Entscheidungsgründe abwarten. Man erhoffe sich klare Hinweise, wie Energieunternehmen in solchen Fällen künftig rechtssicher handeln können. dpa/nd

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