Mit 1 PS durch die Altmark

Wie weiland das fahrende Volk mit dem Planwagen durch die Landschaft zuckeln? Für solche Touren vermietet Landwirtin Nenny Albold Pferd und Wagen. Mitbringen muss der Reiselustige vor allem eines: Zeit und viel Muße.

  • Harald Lachmann, Salzwedel
  • Lesedauer: ca. 5.0 Min.

Nenny Albold, die im nördlichen Sachsen-Anhalt einen kleinen Bauernhof führt, verleiht ihre Kaltblüter samt maßgeschneiderter Planwagen an Urlauber. Diese können dann auf abgesteckten Rundrouten bei 4-5 km/h die Seele baumeln lassen. Einen Kutschbockschein braucht man für die meist einwöchigen Trecks nicht - was der unerfahrene Städter an Tier- und Zügelbeherrschung benötigt, hat er nach einem Tag locker drauf.

Dorus scheut plötzlich. Nervös wirft der große Wallach den Kopf zur Seite und verlangsamt den Schritt. Was macht ihn unsicher? Vermutlich die kleine Schutzhütte links am Wegesrand. Ihr dunkles Inneres kommt ihm wohl unheimlich vor. Und was Pferde nicht kennen, noch nie gesehen haben, vergrault sie leicht. Es sind halt Fluchttiere. Also muss der graue Riese beruhigt werden: »Keine Angst, Dorus! Nirgendwo Gefahr! Kannst ruhig weitergehen!«
Die Sonne meint es gut. Die Weiden zur Linken auf einer Koppel werfen staksige Schatten und der nahe Waldsaum leuchtet kräftig grün. Der holprige Weg führt schließlich durch ein Waldstück, biegt dann nach links - mitten hinein in eine schöne lange Apfelallee. Dorus, ein holländischer Kaltblüter, schnauft aufregt durch die Nüstern. »Weiter gehts, Dorus! Keine Schwäche zeigen, mein Alter!«

Planwagenurlaub wie in Irland
Nenny Albold, eine gelernte Rinderzüchterin, ist die Grand Dame hinter den Planwagentouren, die es so kein zweites Mal in Deutschland gibt. Sie hatte die Idee, sie stellte die Routen zusammen, nach ihren Vorgaben wurden die Planwagen gebaut. Zu ihrem kleinen Landwirtschaftsbetrieb gehören auch die meisten der sieben Kaltblüter, die seit 2005 regelmäßig von Urlaubern durch die Altmark kutschiert werden.
Als Kind hatte die Rheinländerin mit ihren Eltern in Irland Planwagenurlaub gemacht. Das fiel ihr ein, als sie vor fünf Jahren nach einer Idee suchte, um sich, ihre vier Kinder und den Bauernhof in der Altmark über Wasser zu halten. Und was in Irland gehe, in Frankreich ebenso, warum solle das nicht auch hier funktionieren, entgegnete sie all den vielen Skeptikern, die es schlicht für abenteuerlich hielten, unerfahrenen Städtern nach einer kurzen Einweisung tagelang Pferd und Wagen anzuvertrauen.
Sieht man Dorus im mehr oder weniger gleichmäßigen Schritt die Feldwege entlangtrotten, versteht man, was die 47-Jährige meinte, als sie sagte: »Alles steht und fällt mit dem Pferd.« Es ist das Entscheidende an solch einer Tour. Und der stattliche Wallach mit Hufen groß wie Abendbrotteller ist nicht nur kräftig und grau wie ein Elefant, sondern ebenso sensibel - und entsprechend leicht zu dirigieren.
»Da steckt eine zarte Taube drin, mancher Dackel ist robuster«, scherzte Nenny, als wir vorm Einspannen zunächst das allmorgendliche Ritual zelebrierten: Pferde von der Koppel holen, striegeln, Hufe putzen, Geschirr anlegen.
Nach etwas Üben entpuppt sich auch das Gewirr aus Seilen und Zaumzügen als recht logisch und gar nicht so kompliziert. Dreimal wiederholt, und man beherrscht es halbwegs, zumindest wenn man zu zweit ist. Denn einem allein, so zeigt sich schnell, fehlt meist eine Hand.

Mit der Zeit schwindet die Anspannung
Unermüdlich zuckelt derweil Dorus durch die Natur. Alte Feldsteinkirchen grüßen zuweilen am Weg, kleine Weiher und mal eine Herde neugierig heranstürmender Jungkühe. Mit der Zeit schwindet die Anspannung beim Halten der Zügel. In dem Maße, wie man selbst lockerer wird, werden es auch die Seile.
Es ist halt eine Tour der Entschleunigung, der Rückbesinnung auf den Charme der Langsamkeit, ohne Hast und Wettfahrten. Gerade stressgeplagte Städter locke dies zu ihnen, um mal für eine Woche auf dem Planwagen Sinne und Seele baumeln zu lassen, erzählte Nenny.
Es ist schon gegen eins; Zeit für die Mittagsrast auf einer Wiese am Rand eines Dorfes. Der Platz ist indes nicht zufällig gewählt. Denn damit die Reise durch die Altmark nicht nur Irrfahrt wird, gibt Nenny jedem ausführliche Karten mit Rundreiserouten mit, auf denen sich etwa alle 15 Kilometer, also nach drei bis fünf Stunden, ein Etappenziel findet. Hier gibt es dann Weide, Grünfutter und Wasser für das Pferd sowie sanitäre Einrichtungen für die Crew.
Doch bevor es ans Picknicken geht, wird Dorus ausgeschirrt. Mehr noch: Statt ihn anzubinden, führt ihn stets einer aus der Truppe am Halfter, damit er sich bewegen und dabei fressen kann. Erst das Tier, dann der Mensch, heißt das Motto, das einen über die gesamte Woche begleitet.
Am Morgen hatte uns Nenny ausdrücklich mit auf den Weg gegeben: »Lasst ihn unterwegs nicht fressen und füttert ihn erst, wenn ihr Pause macht. Sonst gewöhnt er sich daran und will nicht wieder laufen, bevor es nicht Leckerlis gibt.«

Vorsicht in engen Kurven
Nach der Rast führt die Route über eine Fernstraße und wenig später durch ein langgestrecktes Dorf mit mehreren engen Kurven. Vorsicht ist also geboten. Rechtskurven muss man beispielsweise in großem Bogen nehmen, damit nicht nur das Pferd, sondern auch der vier Meter lange Wagen gut um die Ecke kommt, ohne Verkehrsschilder oder parkende Autos zu streifen.
Für das Abendquartier ist der Reiterhof Dammkrug in Güssefeld vorgesehen. Nachdem das Pferd versorgt ist, wird ein wenig am Lagerfeuer gebrutzelt. Schließlich stößt auch Nenny hinzu. Sie ist gut gestimmt; eben hat sie mit neuen Interessenten telefoniert. »Wir sind nun im zweiten Jahr und schwimmen uns gerade frei«, meint sie zuversichtlich. Zumindest könnten sie die Rechnungen bezahlen - Futter, Tierarzt, Hufschmied
Immerhin bekommt sie nun keine EU-Gelder aus dem Förderprojekt Leader plus mehr. Das hatte ihr zunächst mit 240 000 Euro auf die Beine geholfen, nicht zuletzt für die logistische Vorbereitung. Denn wochenlang war sie die Gegend abgefahren, immer auf der Suche nach verschiedenen Rundstrecken, die planwagentauglich, abwechslungsreich und nicht allzu verkehrsfrequentiert sind.
Die fünf luftbereiften Planwagen, jeder gut acht Quadratmeter groß, sind großzügig ausgestattet - mit Küche, Wandschränken, Liegen sowie einer Sitzecke samt großem Tisch, die sich in drei Minuten zur familientauglichen Großschlafecke umbauen lässt. Auch sie finanzierte Brüssel. »Deshalb gehören sie auch noch uns. Wir vermieten sie praktisch an Frau Albold«, erzählt Peter Warlich, Chef des Altmärkischen Aufbauwerkes Apenburg, dem Trägerverein für die Leader-Projekte. Er freut sich über den Mut der Pferdefrau, sich diese Geschichte zugetraut zu haben.

Planwagensaison: Mai bis Oktober, Start- und Zielpunkt: Apenburg, ...

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