Chaos im Arzneischrank der Knäste

Justizsenat legte den Untersuchungsbericht zur Medikamentenaffäre im Strafvollzug vor

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 2 Min.
Ob die bisher als Affäre geltenden Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Medikamenten im Strafvollzug Skandal genannt werden müssen, zeichnet sich auch nach dem gestern vorgelegten Bericht einer unabhängigen Untersuchungsgruppe nicht ab. Fakt scheint allerdings, dass die Abläufe bei der Beschaffung und Verteilung der Arzneimittel sowie der Kontrolle eher dem Zufall denn strengen Regeln einer beamteten Verwaltung folgten. Der General-Auftrag an die Apotheke wurde laut Analyse nicht ausgeschrieben. Schlüssel zu Methadonschränken lagen irgendwo herum. Der Bedarf wurde nicht ausreichend nachgewiesen, die Vorräte nicht regelmäßig geprüft, die Bestände nur lückenhaft dokumentiert. Das gesamte medizinische Personal war befugt, in Arzneischränke zu greifen und bei der Apotheke Medikamente anzufordern - selbst auf Bestellungen ohne Unterschrift wurde geliefert und in Rechnung gestellt, heißt es in dem Prüfbericht. Kaum ein Vorgang sei aussagekräftig schriftlich belegt. Wie hoch der Schaden letztlich zu beziffern sei, lasse sich wohl nicht mehr feststellen, sagte Werner Heinrichs vom Landesrechnungshof Brandenburg, der die Untersuchungsgruppe geleitet hatte. »Dass ein Schaden eingetreten ist, daran habe ich keinen Zweifel«, äußerte Heinrichs. Ob für Gefangene georderte Arzneimittel abgezweigt, für private Zwecke aus den Anstalten geschafft und gar verkauft wurden, konnte die Untersuchungsgruppe nicht bestätigen. Fünf Bedienstete waren in diesem Zusammenhang im September 2006 angezeigt worden. Die entsprechenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind inzwischen beendet, so Sprecher Michael Grunwald. Ob es jedoch zur Anklage kommt, sei noch nicht abzusehen. Nur wenige Arzneien seien selbst verbraucht oder für Angehörige verwendet worden. Hinweise auf einen Handel hätten sich nicht ergeben, meinte Grunwald. Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) nannte die Strukturen für den Umgang mit Medikamenten katastrophal und kündigte eine Neuorganisation an, die den Missbrauch unmöglich machen soll. Die jetzt vorliegenden Fakten gäben weder einen Beleg für Schuldige noch für Unschuldige her. Ihr schwebt u. a. eine Zentralapotheke für den gesamten Berliner Strafvollzug im neuen Haftkrankenhaus Plötzensee vor. Auf diese Weise würden Unregelmäßigkeiten frühzeitig sichtbar und könnten eher abgestellt werden. Auch gelte es, gewissermaßen Profile für Verantwortlichkeiten festzuschreiben, so die Senatorin. Zudem würde es wieder Ausschreibungen für Apotheken geben. Im Haushalt 2006/2007 sind 1,7 Millionen Euro für medizinische Verbrauchsmittel für die Knäste eingestellt, darunter 850 000 Euro für Medikamente. Ob es zu Konsequenzen disziplinarischer Art kommt, werde derzeit noch geprüft, sagte Gisela von der Aue abschließend.
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