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  • Verödung der Innenstädte

Das Henne-Ei-Problem der Kleinstädte

Wie im mecklenburgischen Ludwigslust versucht wird, der Verödung der Innenstadt zu begegnen

  • Iris Leithold, Ludwigslust
  • Lesedauer: 4 Min.

Verblasste Reklameschilder erinnern an einstiges Leben hinter den Schaufensterscheiben: Ein Modegeschäft, ein Ottoversand-Shop, ein Schuhladen, ein Restaurant, ein Nagelstudio. In Teilen der Ludwigsluster Innenstadt ist der Leerstand von Einzelhandelsgeschäften unübersehbar. Die knapp 13.000 Einwohner zählende Kommune im Südwesten Mecklenburg-Vorpommerns ist mit ihrem Problem nicht allein: Abgesehen von Lebensmittelmärkten, sind die Geschäfte des Einzelhandels im ganzen Land rückläufig.

Das Statistische Landesamt hat errechnet, dass der Einzelhandel im Nordosten 2017 real zwar fast so viel verkauft hat wie 2010 (99,4 Prozent). Doch während gerade in Lebensmittelmärkten der Absatz um 12,4 Prozent wuchs, schrumpfte er in allen anderen Geschäften zusammen um 14,4 Prozent.

Experten sehen mehrere Gründe für diese Entwicklung, von der nach Worten von Markus Preißner vom Institut für Handelsforschung in Köln vor allem kleinere Städte im ländlichen Raum betroffen sind. Er nennt Stichworte wie Demografie, Landflucht und Urbanisierung. Viele Landstädte hätten ein Henne-Ei-Problem, sagt er. »Die Nachfrage sinkt und dann sinkt das Angebot, wodurch die Nachfrage weiter sinkt«, stellt er fest. Viele Kunden würden dann zum Shoppen in die nächste größere Stadt fahren oder online einkaufen. »Rund jeder zehnte Euro im Einzelhandel wird heute online umgesetzt«, sagt Preißner. Einige Branchen, wie Elektronik, Mode und Spielzeug, seien stärker betroffen. Im Lebensmittel-Einzelhandel betrage der Online-Anteil bisher hingegen nur etwa zwei Prozent.

»Wir verdammen den Online-Handel nicht«, sagt Kay-Uwe Teetz vom Einzelhandelsverband Nord in Rostock. Er sei eine Realität und es gebe auch Unternehmen im Nordosten, die davon profitierten. »Die Welt ist in ständiger Veränderung.« Jede Stadt müsse ihren und jeder Einzelhändler seinen Weg finden. Eine Möglichkeit sei zum Beispiel eine Verkleinerung der Shopping-Zone einer Stadt. Wichtig sei auch das Schaffen von Erlebnissen, um Kunden anzuziehen. »Ein gutes Beispiel ist der Laden Pier 14 in Heringsdorf, der Gastronomie und Bekleidungs-Einzelhandel kombiniert«, sagt Teetz.

Wenn es keine Nachfolge-Interessenten für Einzelhandelsgeschäfte gibt, liegt das seiner Meinung nach auch an der guten Arbeitsmarktlage. Viele zögen ein Leben als Angestellter einer Existenz als selbstständiger Einzelhändler vor.

Eine, die es anders macht und mit ihrer Geschäftsidee im ländlichem Raum expandiert, ist Anja Eckstein. Auf einem »Hochzeitshof« in Glaisin bei Ludwigslust eröffnete sie vor Jahren ihr Geschäft für Dekorationen und Festausstattungen. Inzwischen nennt sie ihren Laden dort »Wohncafé« - bei Kaffee und Kuchen kann man skandinavische Lifestyle-Inspirationen auf sich wirken lassen und sie auch kaufen. Im November 2017 eröffnete Eckstein dann ein zweites Geschäft in der Ludwigsluster Schloßstraße: Skandinavische Wohn-Accessoires und dazu passende Floristik. »Die ›Weiße Libelle‹ ist gut angelaufen«, sagt die 38-Jährige zufrieden. »Viele Kunden sagen uns, dass so etwas hier bisher gefehlt hat.« Der Erfolg macht Mut zu mehr: Im schleswig-holsteinischen Örtchen Satrup hat jüngst ein Franchise-Ableger der »Weißen Libelle« aufgemacht.

Die Lage und das Ambiente der historischen Schloßstraße in Ludwigslust seien toll, sagt die junge Unternehmerin. Was ihr weniger gefällt, sind die Büros zwischen den Geschäften. »Für die Passanten und Touristen ist das nicht interessant.« Kay-Uwe Teetz vom Einzelhandelsverband sieht das ähnlich. »Banken, Versicherungen et cetera - überall dasselbe«, sagt er.

Anja Eckstein macht Mut zur Eröffnung eines Ladens. »Wenn man eine gute Idee hat, soll man loslegen«, sagt sie. Viele junge Leute würden sich nicht trauen. »Aber wenn man ein bisschen rechnet und einen guten Vermieter findet, dann kann man den Schritt durchaus wagen«, findet sie. Wichtig sei das richtige Personal, das mit hinter der Idee steht. Das sagt auch Handelsforscher Preißner: »Mit Personal muss ich beim Kunden punkten, das ist ein zentraler Erfolgsfaktor für den stationären Handel.«

Die Städte versuchen, ihre Zentren mit Hilfe von Einzelhandelskonzepten zu beleben. Das Ludwigsluster Konzept sieht zum Beispiel vor, keine Einkaufsmärkte mehr auf der grünen Wiese zuzulassen, um nicht noch mehr Kaufkraft aus dem Zentrum abzuziehen. Entsprechend kritisch wird von vielen Akteuren in Westmecklenburg der geplante Bau eines großen Factory-Outlet-Centers an der A24 am Stadtrand von Wittenburg (Landkreis Ludwigslust-Parchim) gesehen. Laut einer Studie des Wiesbadener Instituts Ecostra im Auftrag der Investoren ist zum Beispiel für die Hagenower Innenstadt ein Umsatzabzug von 800.000 bis 900.000 Euro im Jahr zu erwarten. Der Einzelhandel in Ludwigslust könnte demnach 400.000 bis 500.000 Euro verlieren. dpa/nd

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