Zivilcourage wird mit Bußgeldern geahndet

Nach Blockade eines Nazi-Aufmarsches in Halbe bittet Justiz Antifaschisten zur Kasse

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach der versuchten Blockade eines Naziaufmarsches im brandenburgischen Halbe hat die Polizei an 30 Personen Bußgeldbescheide verschickt. Die setzen sich jetzt zur Wehr.
Demonstrieren in Brandenburg kann teuer kommen. Nach der versuchten Blockade eines Naziaufmarsches im brandenburgischen Halbe im März dieses Jahres haben rund 30 Beteiligte Bußgeldbescheide über 124 Euro erhalten. Die meisten haben Widerspruch eingelegt, weil sie das Blockieren von Naziaufmärschen nicht für eine Ordnungswidrigkeit halten, sondern für eine Notwendigkeit. In Halbe befindet sich einer der größten deutschen Soldatenfriedhöfe. Bei einem tagelangen Gemetzel, das als »Kesselschlacht von Halbe« bekannt ist, verloren in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges mehr als 24 000 Menschen ihr Leben. Was für die einen verblendetes Durchhalten und Fanatismus seitens der Deutschen gegen die Rote Armee ist, zeugt für die Anderen von »Heldentum«: Seit Jahren schon veranstalten Neonazis am Volkstrauertag Aufmärsche zum Halber Friedhof. In den letzten Jahren marschierten sie auch im Frühjahr, um ihr »Heldengedenken« zu begehen. Als im März eine von zwei angemeldeten Protestkundgebungen endete, blieben viele Leute auf der Naziroute stehen, anstatt sich zur anderen Kundgebung zu begeben. Nachdem die Aufforderungen der Polizei von den Anwesenden mit Pfiffen quittiert wurden, begannen Beamte teilweise recht rabiat die Straße freizuräumen. Ein Linksparteiabgeordneter fiel und brach sich bei dem Geschubse die Hand. Nachdem die Straße frei war, kesselte die Polizei rund dreißig Personen ein, fotografierte sie einzeln und erfasste die Personalien. Andere wurden später aus der Kundgebung geholt und der gleichen Prozedur unterzogen. Anfang April erhielten dann Antifas und auch Mitglieder der Linkspartei Bußgeldbescheide über 124,84 Euro, Minderjährige über 75 Euro. Allen wurde ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen. Im November 2005 war der Aufmarsch erstmals erfolgreich blockiert worden. Damals hatte das am Brandenburger Familienministerium ansässige »Bündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit« breit mobilisiert. Karin Weber (Linkspartei), Initiatorin des lokalen »Aktionsbündnisses gegen Heldengedenken und Naziaufmärsche«, äußerte Unverständnis über das Verhalten der Polizei. »Das Personen auch erkennungsdienstlichen Maßnahmen ausgesetzt wurden, ist ein Novum.« Alle, die sich bei der Linkspartei Dahme-Spreewald gemeldet haben, hätten Widerspruch gegen die Bußgeldbescheide eingelegt, erklärte Weber. Nach der Blockade im November 2005 habe es Strafanzeigen von Neonazis gegen die Polizei gegeben. Es sehe so aus, als habe sich die Polizei dieses Mal selber geschützt und nicht diejenigen, die Zivilcourage gezeigt haben,« so Weber gegenüber dem ND. Jan Soost, Sprecher des Bündnisses »NS-Verherrlichung stoppen!«, das die Antifa-Kundgebung in Halbe organisiert hat sagte, dass man im Bündnis befürchte, dass künftig in Brandenburg jeder Blockadeversuch auf diese Weise geahndet werde. »Allein deshalb müssen wir uns gegen die Bußgeldbescheide zur Wehr setzen«, so Soost. Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der AntifaschistInnen« (VVN-BdA) und Anmelder der Kundgebung kritisierte: »Es ist unglaublich, es wird zu Zivilcourage in der Auseinandersetzung mit nazistischem Gedankengut aufgerufen. Wird diese Aufforderung ernst genommen, dann schreitet die Polizei mit Gewalt dagegen ein.« Die Bußgeldbescheide stellten zudem eine Kriminalisierung von antifaschistischem Protest dar. Am 24. April endet die Rücknahmefrist für die Widersprüche. Dann drohen Gerichtsverfahren.
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