Behind The Mixer

  • Lesedauer: 3 Min.

Dem Genossen Walter Ulbricht waren die Bauarbeiter von Berlin, der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, eine Herzensangelegenheit. Weil sie 1953 nicht wussten, was sie mit der vielen Freizeit anfangen konnten, ließ er die Arbeitsnormen für die Werktätigen, die am Aufbau der Stalinallee wirkten, erhöhen. In der Folge kam es zu spontanen Freudenkundgebungen in der ganzen Republik.

Acht Jahre später versicherte Ulbricht der Weltöffentlichkeit, dass die Bauarbeiter der Deutschen Demokratischen Republik besseres zu tun hätten, als eine Mauer zwischen West- und Ostberlin zu errichten. Sie würden, so der Vorsitzende des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik, sich hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft werde voll ausgenutzt, äh, eingesetzt. Daraufhin schlossen sich spontan Werktätige zusammen, warfen den Betonmischer an, nahmen Kelle und Schaufel in die Hand und bauten neue Häuser - leider hörten sie auf, als sie die wenige Meter hohe Grundstückmauer errichtet hatten, die sich von da an 28 Jahre lang durch ganz Berlin zog. Über die Gründe, wieso das Werk nicht vollendet wurde, wird bis heute spekuliert. Vermutlich ging in der Mangelwirtschaft der DDR der Beton aus.

Heute herrscht kein Mangel mehr an Beton, weshalb an allen Ecken und Enden der Hauptstadt wieder gebaut wird. Es entstehen viele neue Häuser - mit und ohne Grundstücksmauer. Ein Maurertrupp bezog kürzlich bei uns gegenüber Quartier. Da das Haus schon längere Zeit steht und dem äußeren Anschein nach auch nicht sanierungsbedürftig ist, weckte die Ankunft der Baubrigade allgemeines Interesse.

Zunächst errichteten die Werktätigen eine Bretterwand. Was dahinter vor sich ging, war nicht zu sehen, dafür aber war reichlich Lärm zu vernehmen. Es wurde offensichtlich etwas vor einer Kunstgalerie errichtet, die unter dieser Adresse firmiert. Vor der Bretterwand stand ein kleiner Betonmischer für den Hausgebrauch. Nach den Betriebszeiten des Mischers zu urteilen, wurde etwas Monumentales gebaut.

Das Kollektiv war mehrere Tage lang am Arbeiten. Als es seine Tätigkeit beendet und den Bretterverschlag entfernt hatte, kam eine Mischmaschine zum Vorschein - eingegossen in einen Betonblock.

Jetzt rätselt der halbe Kiez über dieses Bauwerk. Ist es Pfusch am Bau, Kunst oder kann das weg? Vielleicht aber will sich die Galerie ja auch nur einen anderen Namen geben. Bislang hieß sie »After The Butcher« (vormals befand sich hier eine Fleischerei). Künftig könnte sie sich ja »Behind The Mixer« nennen.

Morgen, das habe ich mir fest vorgenommen, werde ich die Installation aufsuchen und zu Ehren Ulbrichts und der Werktätigen der Mauer, äh, Maurerbrigaden der Deutschen Demokratischen Republik ein paar Filzpantoffeln auf den Betonblock stellen.

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