Dem Schlachthof droht ein Tod auf Raten

Wiesenhof-Betriebsrat bangt um 700 Jobs, falls das Umweltamt den Ausbau in Niederlehme nicht genehmigt

Hähnchen schlachten und zerlegen, das Fleisch verarbeiten - dies geschieht bei der Märkischen Geflügelhof-Spezialitäten GmbH in Niederlehme (Dahme-Spreewald) gewöhnlich in drei Schichten. Steht ein Tiertransporter lange im Stau, zieht sich die Spätschicht zuweilen bis 1 Uhr nachts hin. Doch die Produktionsarbeiter stört das nicht, denn dann gibt es die steuerfreien Nachtzuschläge, die den schmalen Lohn aufbessern.

Insofern ist der Ärger der Kollegen verständlich, dass die Spätschichten gegenwärtig ausfallen. Das Landesumweltamt erlaubt diese Schichten nicht. Es hat den Wiesenhof-Konzern gezwungen, sich einzuschränken. Dabei sollen hier statt täglich 120 000 Hähnchen künftig 160 000, in Spitzenzeiten sogar 240 000 geschlachtet werden. Die Genehmigung ist allerdings noch nicht erteilt. Trotzdem hatte der Betrieb die Schlachtleistung vorfristig hochgefahren - wegen eines Engpasses nach einem Großbrand in einem niedersächsischen Schlachthof. Erst als das Umweltamt ein Zwangsgeld festsetzte und ein weiteres Zwangsgeld androhte, führte der Konzern die Schlachtleistung auf das bisher erlaubte Maß zurück.

Dass die Zuschläge entfallen und manche Familien jetzt Probleme haben, ihre Miete und alle Rechnungen zu bezahlen, ist nicht die alleinige Sorge der Belegschaft. Die Kollegen haben Angst vor Personalabbau. Im Extremfall, wenn Wiesenhof wegen der Beschränkungen keine Zukunft für den Standort Am Möllenberg 5-9 sehe, stünden vielleicht sämtliche rund 700 Arbeitsplätze auf dem Spiel, warnt der Betriebsratsvorsitzende Ricardo Schreiber. Er spricht von einem »nicht zu verstehenden Pingpongspiel der Behörden auf dem Rücken der Arbeitskräfte«, von möglicherweise dramatischen Auswirkungen für die Mitarbeiter und die Stadt Königs Wusterhausen, zu der Niederlehme als Ortsteil gehört. »Von unserer Seite sind alle Auflagen erfüllt worden, aber wir bekommen die Genehmigung trotzdem nicht«, beklagt Schreiber. Die Filteranlagen zur Minimierung der Geruchsbelästigung der Anwohner seien beispielsweise schon lange installiert, sagt Schreiber, und Messungen ergaben Werte unterhalb der gerade noch zulässigen Obergrenze, hat er gehört. Der Betriebsrat habe sich schriftlich an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) gewandt. »Wir wollen wissen, ob irgendwann eine Genehmigung kommt und warum sie uns bis jetzt verwehrt wird.«

»Es gibt kein Pingpongspiel der Behörden«, beteuert dagegen Thomas Frey vom Landesumweltamt. Im Gegenteil: Die für das Genehmigungsverfahren zuständigen Kollegen, »sehen sich als Partner, wenn es darum geht, den Wirtschaftsstandort Brandenburg voranzubringen«. Zur Dauer des Verfahrens habe das Unternehmen jedoch selbst beigetragen, etwa weil es für die erforderliche öffentliche Auslegung seiner Pläne fehlerhafte Unterlagen zur Verfügung gestellt habe, sodass die Auslegung wiederholt werden musste. Auch sei der im Winter eingeforderte Nachweis der Eignung der Abluftreinigungsanlage nicht im erwarteten Zeitrahmen erbracht worden. Vorschläge zur Beschleunigung des Verfahrens habe der Konzern nicht angenommen. Das Umweltamt müsse sich an das Bundes-Immissionsschutzgesetz halten und das Genehmigungsverfahren so durchführen, dass es hinterher vor Gericht Bestand hat, betont Frey.

Mit Klagen ist so oder so zu rechnen. Das Bündnis Tierfabriken-Widerstand, das nach eigenen Angaben überall in Ostdeutschland gegen große Mastanlagen und Schlachthöfe mobil macht, suchte bereits im November 2016 nach Ansatzpunkten für juristische Schritte. Im September 2017 protestierten Hunderte Menschen vor dem Schlachthof gegen die Kapazitätserweiterung. Im März 2018 blockierten dann 30 Tierschützer an einem Montagmorgen den Werkseingang. Auch die Grünen sind an der Sache dran.

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