Der Skandal um das Massaker von Batak

Aufregung in Bulgarien um das kollektive Gedächtnis der Nation

  • Thomas Frahm, Sofia
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

»Feindbild Islam - Geschichte und Gegenwart antiislamischer Stereotype in Bulgarien am Beispiel des Mythos vom Massaker in Batak«, dieses Forschungsprojekt auch deutscher Wissenschaftler sorgte jetzt in Sofia für viel Aufregung.

Von bestimmten Medien geschürt, erlebte Bulgarien in der vergangenen Woche einen Skandal, von dem kritische Intellektuelle und Wissenschaftler im Lande meinen, dass es sehr wenig Ursache für so viel Aufregung gab. Kurz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament, für die kaum Interesse herrscht, liegt der Verdacht nahe, dass nicht zuletzt so manchem Politiker eine eher unbedeutende Ausstellung samt angeschlossener wissenschaftlicher Plapperrunde recht waren, um die Stimmung anzuheizen und zu demonstrieren, bei wem die nationalen Interessen Bulgariens am besten aufgehoben sind. Begonnen hatte es mit einer Einzelstudie, die die Kunsthistorikerin Martina Balewa im vergangenen Jahr in der Wochenzeitung »Kultura« publizierte. Sie hatte untersucht, wie ein Gemetzel im Dorf Batak in den Südwest-Rhodopen 1876 während der nationalen Erhebung gegen die Osmanen (April-Aufstände) zum Bestandteil der nationalen Gründungsmythen Bulgariens wurde. Martina Balewa fragte sich, warum gerade dieses Ereignis und nicht eines der vielen anderen, die fast zeitgleich stattfanden. Sie vertrat die These, dass die Aktion eines polnischen Malers, der 16 Jahre nach dem Ereignis mit einem Fotografen die Massakerszenen nachgestellt hatte, um auf dieser Grundlage ein wildpathetisches Schlachtengemälde in Delacroix-Manier zu malen und es in Bulgarien auszustellen, den Baumeistern der jungen bulgarischen Nationalgeschichte die dringend benötigten Anschauungsmaterialien geliefert habe, um das Massaker von Batak mit der nötigen »Authentizität« versehen zu können. Nicht das tatsächliche Ereignis, sondern seine bildlichen Darstellungen hätten also das kollektive Gedächtnis der Menschen geprägt. Da die Opfer Christen und die Täter Muslime waren, besaß das einen gewissen Zündstoff. Balewas These, dass sich die Erinnerung nach Konfessionsangehörigkeit unterscheide, hätte dabei schon früher für Aufregung sorgen können. Doch Mitte 2006, als sie ihre Überlegungen publizierte, blieb es noch ruhig. Erst jetzt, als sie ihre Arbeit in ein größeres Projekt namens »Geschichtswerkstatt Europa« einbrachte und zusammen mit dem Osteuropa-Institut der FU Berlin daraus ein Ausstellungsprojekt und eine begleitende Konferenz in Sofia entwickelte, wurde die Sache publik. Sie gelangte in die auflagenstarke Presse, die die Gelegenheit nutzte, um Balewa als weiblichen Judas hinzustellen, die ihr Land für eine Handvoll Silberlinge (Euro) verraten und verkauft habe. Präsident Georgi Parwanow reagierte sofort und sprach von einer »Provokation unserer Nationalgeschichte«. Premier Sergej Stanischew monierte, dass Bulgarien von Projekten wie diesem in Europa wieder einmal als Land von Rassisten und Geschichtsfälschern hingestellt werde, und Boshidar Dimitrow, Direktor des Nationalhistorischen Museums, entwickelte gar eine ganze Verschwörungstheorie, indem er vermutete, dass hinter dem von zwei deutschen Stiftungen geförderten Projekt reiche Türken stünden, die dem jungen EU-Mitglied Bulgarien schaden und damit die Position der Türkei verbessern wollten, die wegen des Genozids an den Armeniern am Pranger stehe. Auf den ersten Blick passt alles ins Schema des politischen Populismus, der derzeit in ganz Osteuropa im Aufwind ist. Auf den zweiten Blick entsprechen die Reaktionen der Offiziellen genau dem, was wir ohnehin vom Balkan erwarten: Nationalchauvinismus, Rassismus und Intoleranz. Auf den dritten Blick jedoch tut sich ein kulturpolitisches Problem auf, das vom altkapitalistischen Westeuropa gern unter den Tisch gekehrt wird: Die meisten Probleme auf dem Balkan sind Westimporte, manchmal aus kaltem geostrategischen oder wirtschaftspolitischen Interesse, manchmal einfach aus Naivität. Im Westen läuft seit 2001 und der Aufnahme des Kampfes gegen den weltweiten Terrorismus religiöser Fundamentalisten eine heftige Debatte für und wider die Verteufelung des Islam. Es ist also für ein gerade erst der EU beigetretenes Land wie Bulgarien von erheblichem Interesse, nicht zu den Fanatikern gezählt zu werden, sondern zu jenen, die den liberalen Grundkonsens Europas teilen. Wenn aber dann der deutsch-österreichische Projektleiter Ulf Brunnbauer von der FU Berlin ein Konzept unter dem Titel »Feindbild Islam - Geschichte und Gegenwart antiislamischer Stereotype in Bulgarien am Beispiel des Mythos vom Massaker in Batak« einreicht, dann muss er sich nicht wundern, dass bei einer so militanten und jede verstehende Annäherung an die spezifisch bulgarische Situation ausschließenden Formulierung die Gemüter in Wallung geraten. In Bulgarien sind nämlich weder die Türken noch der Islam Feindbilder; dies ist eine unzulässige Gleichsetzung mit der Herrschaft einer kleinen Oberkaste am Serail in Istanbul, unter der in Bulgarie...

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