Am Anfang war das Wort. Es ist am Ende
Nachdenken über Sprache und den verhängnisvoll verloren gegangenen Sinn moderner Kommunikation
Am Anfang war das Wort. Mit dem Wort verlässt der Mensch das Tierreich. Aber die Macht des Wortes erweist sich bis auf den heutigen Tag als sehr zwiespältig: Am Anfang war nicht nur das Wort, sondern auch die Furcht vor dem Wort - weil es, als Magie verkleidet, eine zweite Welt erschuf. Konnte die erste vordergründig Angst einflößte (weil zum Beispiel in jedem unbedachten Augenblick ein konkretes Raubtier auftauchen konnte), so kam nun eine Möglichkeit hinzu, solche Angst auf gleichsam hintergründige Weise zu schüren. Indem nämlich die mit dem Wort gerufenen Dinge eine Seele zu offenbaren schienen, die überall aus dem Nichts heraus in Erscheinung treten konnte. Wir nennen diese Anfangsperiode Animismus.
Der Geist der Zeit und die Selbstbespiegelung
Jedes mit Worten erreichbare Ding war nicht nur ein Ding, sondern auch Symbol für ein hinter dem Ding stehendes unsichtbares Wesen: dessen anima. So verlagerte sich die Angst vom Sichtbaren in das Magische, denn die Angst war ja nicht verschwunden, sie hatte nur eine neue Form angenommen.
Die Aufnahme des Wortes in den Kreis der wirklichen Dinge war: das Ritual. Diese Verflechtung der Symbolkraft von Worten mit anschaulich ausführbaren Handlungen am Magischen sollte die Anerkennung signalisieren, die man der Macht der Geister zollte. - Das Wort war die Tat, eine geistige Tat mit unabsehbaren Konsequenzen. Heute wäre man multimedial geneigt zu sagen: Nicht nur am Anfang, auch am Ende ist das Wort - was gleich zwei Bedeutungen hat: Das Wort ist inzwischen am Ende, weil es seine Symbolkraft an die virtuellen Bilder abgegeben hat, und am Ende der virtuellen Bilder ist die wirkliche Welt entleert. Es gibt sie gar nicht mehr. Und auch das Wort, das am Anfang stand, ist leer geworden, leer von jeder Magie und Symbolkraft. Am Ende steht das Wort, aber es ist jenes Wort, das wie ein Hauch im Winde verweht. Es vermag nicht mehr, etwas zu ergreifen und so ergreifend zu wirken. Aus dem Streben nach Wahrheit wurde großenteils das bloße Spiel mit den Worten, unterhaltsam und überflüssig.
Wer den Geist der Zeit verstehen will, der sucht nach den richtigen Worten. Aber die zerrinnen inzwischen, bevor sie eine Bedeutung erlangt haben. Sie bedeuten zu oft nichts Wirkliches mehr. In Wahrheit stehen die Worte in der Moderne bloß nebeneinander, ohne jeden Bezug. In der Konsumgesellschaft werden die Worte wie Waren nach der neuesten Mode verkauft. Man wirbt für sie auf Talkshows, wo sie sich spreizen und besonders grell kleiden können, damit man sie überhaupt noch wahrnimmt. Der moderne Mensch hat Worte und wechselt sie mit anderen. Das nennt man Kommunikation. Die Bank wechselt Geld und sie verleiht Geld an die Unbemittelten. Es gibt viele Banken. Mit den Worten ist es ähnlich. Wer keine hat, borgt sich welche. Wo, das ist allein seinem Empfinden überlassen. Wer ganz eigene Worte besitzt, der ist besonders arm dran, denn er kann sie nicht wechseln.
Der berufliche Umgang mit Worten ist stets geregelt. Da gibt es die Bürokraten- sprache, die Sprache der Politik, der Werbung, der Wissenschaft, der Astrologie und Psychologie, der Religion und Selbst(er)findung, die Sprache des Körpers und der Erotik, die Sprache des Sports und der Unterhaltung. Wer die Sprachregeln missachtet, hat seinen Beruf oder das Thema verfehlt, denn auch heute gilt: Am Anfang steht das (Code-)Wort! Wer es falsch benutzt, outet sich selbst oder wird geoutet, wie es neudeutsch heißt.
Das Reale und das Absurde
Und was macht das Wort in der Literatur und im Theater? Ist es dort das freie Wort? Aber was heißt das schon? Frei wovon? Wenn es frei ist von der Verpflichtung, sich den Sprachregelungen zu beugen, dann schwebt es entweder ohne alle Bindungen über den geknechteten Worten, in denen wir uns und unsere Welt verstehen, oder es zerrt diese uns in Gefangenschaft haltenden Worte ans Licht der Vernunft - um sie zu hinterfragen, ihre Selbstgefälligkeit zu brechen und sie ihrer Scheinheiligkeit zu entkleiden. Dann ist es das streitbare Wort der gesellschaftskritischen Literatur und des Gegenwartstheaters.
Kritik ist immer auch Hoffnung, dass sich an den Sprachregelungen Veränderungen anbringen lassen, zum Wohle der Gesellschaft. Die reflexive Literatur dagegen reflektiert nicht die herrschenden Sprachregelungen einer Gesellschaft, sondern die Kritik daran - um darüber hinausgehend sogar den Sinn einer solchen Kritik zu kritisieren. Es ist die Aufklärung über die Aufklärung, wie Hegel sagt, die der modernen Literatur jenes Feld absteckt, auf dem Worte gesät und geerntet werden können. Worte, die verzweifelt dagegen ankämpfen, entleert zu werden. Denn Entleerung wurde zum Immunschutz des gesellschaftlichen Systems: Alles ist erlaubt, bitte sehr, auch die schärfste Kritik, aber nur unter der Bedingung der Entleerung, die sofort da ist, wenn das Gegenteil der Kritik den gleichen Wahrheitsgrad besitzt.
Die Kritik zerbricht nicht mehr am Widerstand des Kritisierten, sondern an der Vielzahl der in verschiedene Richtungen zerrenden Kritiker. Nur das Absurde ist stabil. Weil sich das Vernünftige seiner Vernunft beraubt. Das Absurde, das der Vernunft spottet und das gute alte Wort verhöhnt, ist der Geist der Postmoderne. Man hat es überwunden, das Wort - bevor es überhaupt Gelegenheit hatte, auch nur die Spur einer Bedeutung anzunehmen. Es spiegelt in seinem intelligent verschachtelten Scheinsinn das Absurde und betrachtet sich nur noch als eine Brücke zu diesem Absurden hin. Ist das ein Trost? Solange man es noch sagen muss, ist es nicht das wahre Absurde.
Das Wort, das sich selbst vernichtet und das Gesagte ins Gegenteil verkehrt, bevor es gesagt werden kann, das ist das heutige Ideal. Wer auf dieser Stufe angekommen ist, der hat die Welt gleich zweifach hinter sich gelassen: Er hat die Absurdität der Wirklichkeit begriffen, mit Begriffen, die absurd sind, und er hat die Machbarkeit dieser Absurdität durchschaut. Und das verleiht eine völlig neue Art des Selbstverständnisses - für ein Sein in dieser Welt, das nicht mehr misshandelt werden kann, weil es alle Formen der Demütigung und Selbstentleerung zum Inbegriff des wahren Wertes von (scheinbar) unbeschadeter Individualität gemacht hat.
Zeitgeist hört auf, Geist zu sein
Damit das Wort in den Dienst des Gefühls treten und der Bauch den endgültigen Sieg über den Kopf erringen kann, muss es gegen sich selbst gerichtet werden. Damit sich Sinn in Sinnlosigkeit und Bedeutung in Bedeutungslosigkeit verwandelt. Der Zeitgeist hört auf, Geist zu sein. Er übergibt den Stab an das Zeitgefühl, das unter der Oberfläche schon mächtig rumort. Im Animismus bewirkte das Wort den Geist, wenn auch in seiner magischen Verkleidung. Heute bewirkt das Wort den Ungeist, aber nicht als verunglückten Geist, sondern als Nichtgeist. Und das ist das von allen rationalen Anfeindungen rein gebliebene Gefühl, weil es seine Unschuld vor dem Geist - der ja doch immer nur zum Quälgeist entartet - wiedergefunden hat.
Das Wort der Postmoderne symbolisiert nicht mehr den Geist, sondern nur noch lustbringend-unterhaltende oder erhebend-erhabene und uns selbst übersteigende Gefühle - mit denen wir auf neue Weise die Hintergründe unserer wirklichen Welt als den Glanz ihres virtuellen Scheins erlebbar machen. Der Geist ist das real Absurde, das Gefühl die Auflösung und Erlösung des absurd gewordenen Realen. Und wenn das Reale wirklich unheilbar absurd geworden ist...
Der Geist der Zeit und die Selbstbespiegelung
Jedes mit Worten erreichbare Ding war nicht nur ein Ding, sondern auch Symbol für ein hinter dem Ding stehendes unsichtbares Wesen: dessen anima. So verlagerte sich die Angst vom Sichtbaren in das Magische, denn die Angst war ja nicht verschwunden, sie hatte nur eine neue Form angenommen.
Die Aufnahme des Wortes in den Kreis der wirklichen Dinge war: das Ritual. Diese Verflechtung der Symbolkraft von Worten mit anschaulich ausführbaren Handlungen am Magischen sollte die Anerkennung signalisieren, die man der Macht der Geister zollte. - Das Wort war die Tat, eine geistige Tat mit unabsehbaren Konsequenzen. Heute wäre man multimedial geneigt zu sagen: Nicht nur am Anfang, auch am Ende ist das Wort - was gleich zwei Bedeutungen hat: Das Wort ist inzwischen am Ende, weil es seine Symbolkraft an die virtuellen Bilder abgegeben hat, und am Ende der virtuellen Bilder ist die wirkliche Welt entleert. Es gibt sie gar nicht mehr. Und auch das Wort, das am Anfang stand, ist leer geworden, leer von jeder Magie und Symbolkraft. Am Ende steht das Wort, aber es ist jenes Wort, das wie ein Hauch im Winde verweht. Es vermag nicht mehr, etwas zu ergreifen und so ergreifend zu wirken. Aus dem Streben nach Wahrheit wurde großenteils das bloße Spiel mit den Worten, unterhaltsam und überflüssig.
Wer den Geist der Zeit verstehen will, der sucht nach den richtigen Worten. Aber die zerrinnen inzwischen, bevor sie eine Bedeutung erlangt haben. Sie bedeuten zu oft nichts Wirkliches mehr. In Wahrheit stehen die Worte in der Moderne bloß nebeneinander, ohne jeden Bezug. In der Konsumgesellschaft werden die Worte wie Waren nach der neuesten Mode verkauft. Man wirbt für sie auf Talkshows, wo sie sich spreizen und besonders grell kleiden können, damit man sie überhaupt noch wahrnimmt. Der moderne Mensch hat Worte und wechselt sie mit anderen. Das nennt man Kommunikation. Die Bank wechselt Geld und sie verleiht Geld an die Unbemittelten. Es gibt viele Banken. Mit den Worten ist es ähnlich. Wer keine hat, borgt sich welche. Wo, das ist allein seinem Empfinden überlassen. Wer ganz eigene Worte besitzt, der ist besonders arm dran, denn er kann sie nicht wechseln.
Der berufliche Umgang mit Worten ist stets geregelt. Da gibt es die Bürokraten- sprache, die Sprache der Politik, der Werbung, der Wissenschaft, der Astrologie und Psychologie, der Religion und Selbst(er)findung, die Sprache des Körpers und der Erotik, die Sprache des Sports und der Unterhaltung. Wer die Sprachregeln missachtet, hat seinen Beruf oder das Thema verfehlt, denn auch heute gilt: Am Anfang steht das (Code-)Wort! Wer es falsch benutzt, outet sich selbst oder wird geoutet, wie es neudeutsch heißt.
Das Reale und das Absurde
Und was macht das Wort in der Literatur und im Theater? Ist es dort das freie Wort? Aber was heißt das schon? Frei wovon? Wenn es frei ist von der Verpflichtung, sich den Sprachregelungen zu beugen, dann schwebt es entweder ohne alle Bindungen über den geknechteten Worten, in denen wir uns und unsere Welt verstehen, oder es zerrt diese uns in Gefangenschaft haltenden Worte ans Licht der Vernunft - um sie zu hinterfragen, ihre Selbstgefälligkeit zu brechen und sie ihrer Scheinheiligkeit zu entkleiden. Dann ist es das streitbare Wort der gesellschaftskritischen Literatur und des Gegenwartstheaters.
Kritik ist immer auch Hoffnung, dass sich an den Sprachregelungen Veränderungen anbringen lassen, zum Wohle der Gesellschaft. Die reflexive Literatur dagegen reflektiert nicht die herrschenden Sprachregelungen einer Gesellschaft, sondern die Kritik daran - um darüber hinausgehend sogar den Sinn einer solchen Kritik zu kritisieren. Es ist die Aufklärung über die Aufklärung, wie Hegel sagt, die der modernen Literatur jenes Feld absteckt, auf dem Worte gesät und geerntet werden können. Worte, die verzweifelt dagegen ankämpfen, entleert zu werden. Denn Entleerung wurde zum Immunschutz des gesellschaftlichen Systems: Alles ist erlaubt, bitte sehr, auch die schärfste Kritik, aber nur unter der Bedingung der Entleerung, die sofort da ist, wenn das Gegenteil der Kritik den gleichen Wahrheitsgrad besitzt.
Die Kritik zerbricht nicht mehr am Widerstand des Kritisierten, sondern an der Vielzahl der in verschiedene Richtungen zerrenden Kritiker. Nur das Absurde ist stabil. Weil sich das Vernünftige seiner Vernunft beraubt. Das Absurde, das der Vernunft spottet und das gute alte Wort verhöhnt, ist der Geist der Postmoderne. Man hat es überwunden, das Wort - bevor es überhaupt Gelegenheit hatte, auch nur die Spur einer Bedeutung anzunehmen. Es spiegelt in seinem intelligent verschachtelten Scheinsinn das Absurde und betrachtet sich nur noch als eine Brücke zu diesem Absurden hin. Ist das ein Trost? Solange man es noch sagen muss, ist es nicht das wahre Absurde.
Das Wort, das sich selbst vernichtet und das Gesagte ins Gegenteil verkehrt, bevor es gesagt werden kann, das ist das heutige Ideal. Wer auf dieser Stufe angekommen ist, der hat die Welt gleich zweifach hinter sich gelassen: Er hat die Absurdität der Wirklichkeit begriffen, mit Begriffen, die absurd sind, und er hat die Machbarkeit dieser Absurdität durchschaut. Und das verleiht eine völlig neue Art des Selbstverständnisses - für ein Sein in dieser Welt, das nicht mehr misshandelt werden kann, weil es alle Formen der Demütigung und Selbstentleerung zum Inbegriff des wahren Wertes von (scheinbar) unbeschadeter Individualität gemacht hat.
Zeitgeist hört auf, Geist zu sein
Damit das Wort in den Dienst des Gefühls treten und der Bauch den endgültigen Sieg über den Kopf erringen kann, muss es gegen sich selbst gerichtet werden. Damit sich Sinn in Sinnlosigkeit und Bedeutung in Bedeutungslosigkeit verwandelt. Der Zeitgeist hört auf, Geist zu sein. Er übergibt den Stab an das Zeitgefühl, das unter der Oberfläche schon mächtig rumort. Im Animismus bewirkte das Wort den Geist, wenn auch in seiner magischen Verkleidung. Heute bewirkt das Wort den Ungeist, aber nicht als verunglückten Geist, sondern als Nichtgeist. Und das ist das von allen rationalen Anfeindungen rein gebliebene Gefühl, weil es seine Unschuld vor dem Geist - der ja doch immer nur zum Quälgeist entartet - wiedergefunden hat.
Das Wort der Postmoderne symbolisiert nicht mehr den Geist, sondern nur noch lustbringend-unterhaltende oder erhebend-erhabene und uns selbst übersteigende Gefühle - mit denen wir auf neue Weise die Hintergründe unserer wirklichen Welt als den Glanz ihres virtuellen Scheins erlebbar machen. Der Geist ist das real Absurde, das Gefühl die Auflösung und Erlösung des absurd gewordenen Realen. Und wenn das Reale wirklich unheilbar absurd geworden ist...
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